Rudolf Kaufmann (1909 bis vermutlich 1941)

Familiäre Situation, Kindheit und Jugendzeit

Georg Rudolf Kaufmann wurde am 3. April 1909 in Königsberg geboren. Sein Vater, Walter Kaufmann, war Universitätsprofessor für Experimentalphysik an der Universität zu Königsberg. Rudolf Kaufmanns Mutter hieß Frieda Kaufmann (geborene Kuttner). Sowohl Rudolf Kaufmann als auch seine Eltern waren evangelisch. Seine Großeltern jedoch waren Juden, was ihm später zum großen Verhängnis wurde. In seiner Kindes- und Jugendzeit besuchte er die humanistische Abteilung des staatlichen Hufengymnasiums in Königsberg. Dort legte er am 20. Februar 1927 seine Reifeprüfung ab.

Beruflicher Werdegang

Nach seinem Schulabschluss begann Rudolf Kaufmann Naturwissenschaften zu studieren. 1927/28 besuchte er die Universität in Königsberg, 1928/29 die Universität in München und 1929/30 kehrte er zur Universität in Königsberg zurück. Im Sommer 1930 wechselte er an die Universität Greifswald, wo er sich besonders der Geologie widmete.  

Promotion

Mit Schreiben vom 14. Oktober 1932 beantragte Rudolf Kaufmann beim Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald seine Zulassung zum Doktorexamen. Sein Hauptfach war Geologie; Mineralogie und Zoologie stellten die Nebenfächer dar. Am 18. Oktober 1932 erfolgte die Einreichung seiner Dissertation „Variationsstatistische Untersuchungen über die Artabwandlung und Artumbildung an der Oberkambrischen Trilobitengattung“. Inhaltlich ging es in der Doktorarbeit um die Evolutionsgeschichte einer Klasse meeresbewohnender fossiler Gliederfüßler, die sogenannten Trilobiten. Sowohl diese Arbeit als auch die mündliche Doktorprüfung wurde von Kaufmanns akademischen Lehrern „mit Auszeichnung“ bewertet. Daraufhin wurde er am 24. Februar 1933 zum Doktor der Philosophie ernannt.

Auslandsaufenthalte nach Machtantritt Hitlers

Zur gleichen Zeit hatten die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland angetreten. Aufgrund der Konfession seiner Großeltern wurde Rudolf Kaufmann nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von diesen als „nichtarisch“ angesehen. Kaufmanns Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche spielte dabei keine Rolle. Ab 1. Juli 1933 wurde er aufgrund seiner „nichtarischen“ Abstammung nicht weiter am Institut beschäftigt. Kaufmann verließ kurze Zeit später Greifswald und ging nach Dänemark. Im Winter 1933/34 hielt sich Rudolf Kaufmann in Kopenhagen auf, wo er sich intensiv mit der Fotografie beschäftigte. Auch an der dortigen Universität war er für einige Monate angestellt. Im Frühjahr 1934 zog Rudolf Kaufmann nach Italien. Sein Vorhaben, dort Landwirtschaft zu studieren, scheiterte jedoch daran, dass ihn sein Vater aufgrund von neuen Devisenbestimmungen nicht mehr von Deutschland aus unterstützen konnte. Trotzdem blieb Rudolf Kaufmann weiterhin in Bologna und arbeitete sehr erfolgreich als Fotograf. Außerdem war er am Geologischen Institut beschäftigt.

Ingeborg Magnusson

Im Sommer 1935 lernte Rudolf Kaufmann die 28-jährige Schwedin Ingeborg Magnusson kennen. Zwei Tage verbrachten die beiden miteinander; den ersten in Bologna, den zweiten in Venedig. Dann musste Ingeborg wieder zurück nach Schweden. Trotz der nur sehr kurzen Bekanntschaft hielten die beiden über mehrere Jahre regen Briefkontakt; wirklich sehen konnten sie sich nur sehr selten. Rudolf Kaufmann war nur noch bis Juli 1935 in Italien. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber – er hatte in einem Warenhaus namens „Old England“ gearbeitet – endete zu diesem Zeitpunkt.  

Lehrertätigkeit in Coburg

Schließlich kehrte Rudolf Kaufmann im Sommer 1935 wieder nach Deutschland zurück. Nun war er darauf angewiesen, möglichst schnell eine neue Arbeitsstelle zu finden. Er ließ nichts unversucht und bewarb sich bei den verschiedensten Stellen und Institutionen sowohl im In- als auch im Ausland. Im Herbst 1935 erhielt Rudolf Kaufmann zwei Stellenangebote, zum einen als privater Assistent bei einem Wissenschaftler in Berlin, zum anderen als Turnlehrer an einer jüdischen Schule, dem Internat „Prediger Hirsch“ in Coburg. Er entschied sich für letzteres und unterrichtete ab dem 15. Oktober 1935 die Schulfächer Turnen, Geografie, Biologie, Physik und Zeichnen. Die Schule befand sich von April 1935 bis November 1938 in einem Haus unter der Anschrift Hohe Straße 16 in Coburg, welches dem Begründer des Internats, Hermann Hirsch, gehörte. In dem Internat wurden Jungen und Mädchen von der 5. bis zur 8. Klasse unterrichtet. Insgesamt waren das 43 Schüler und Schülerinnen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus dem Internat eine der „angesehensten privaten jüdischen Erziehungsanstalten im gesamten deutschen Reich.“Während seiner Tätigkeit als Lehrer wohnte Rudolf Kaufmann ganz in die Nähe des Internats, in einem Haus in der Hohen Straße 9 in Coburg.

Verhaftung

Rudolf Kaufmann und Ingeborg planten für Anfang August 1936 ein erneutes Treffen. Letztlich kam aber Rudolf Kaufmann nicht wie versprochen am 5. August 1936 in Stockholm an. Am 13. August 1936 erhielt Ingeborg Magnusson einen Brief Rudolf Kaufmanns, in dem er ihr mitteilte: „Ich muss dir mit diesem Brief einen unendlich großen Kummer bereiten, der nie wieder gut zu machen ist. […] Ich war dir vor 2 ½ Monaten in Unbesonnenheit einmal treulos gewesen, wurde damals vorübergehend krank und bin deswegen in Untersuchungshaft gekommen, heute vor 2 Wochen.“

Die Untersuchungshaft hatte er am 31. Juli 1936 im Gerichtsgefängnis Coburg angetreten. Es erfolgte eine Anklage wegen „Rassenschande“. Man warf ihm vor gegen das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehe“ verstoßen zu haben, indem er eine Nacht mit einer deutschen Witwe verbrachte. Rudolf Kaufmanns Strafverteidiger war der Rechtsanwalt Thomas Dehler aus Bamberg. Er betonte im Prozess immer wieder die Reue Rudolf Kaufmanns und forderte eine milde Strafe. Das Gericht folgte dem nicht. Selbst Rechtsanwalt Dehler wurde in der Presse dafür angegriffen, dass er Rudolf Kaufmann überhaupt als Rechtsanwalt beistand. So fanden sich in einem Artikel im nationalsozialistischen Hetzblatt „Der Stürmer“ nachfolgende Ausführungen: „Rechtsanwälte […], die es fertig bringen, das für Geld zu verteidigen, was der Staat durch Gesetz als ein Verbrechen erklärt hat, haben einen minderwertigen Charakter und gehören von der Anwaltsliste gestrichen.“

Zuchthausstrafe in Amberg

Am 10. Dezember 1936 wurde Rudolf Kaufmann vom Landgericht Coburg zu drei Jahren Zuchthausstrafe verurteilt.  Am 30. April 1937 wandte sich das Landgericht Coburg an den Rektor der Universität Greifswald und beantragte, Rudolf Kaufmann den Doktortitel zu entziehen. Infolge dessen erging ein Beschluss der Universität Greifswald, wonach Rudolf Kaufmann der Doktortitel aberkannt wurde. Obwohl Dehler Revision gegen das Strafurteil einlegte, musste Rudolf Kaufmann am 15. März 1937 seine Haftstrafe antreten. Er lebte von nun an als Gefangener im Zuchthaus Amberg. Dort arbeitete er unter anderem auf dem Feld, im Steinbruch und später auch im Straßenbau. Anfang Sommer 1938 erhielt Kaufmanns Schwester Trude Teichert eine Einwanderungserlaubnis für ihn nach Australien.  

Entlassung

Am 12. Oktober 1939 wurde Rudolf Kaufmann entlassen. Er kam vorerst bei seinem Bruder in Köln unter. Im November 1939 kehrte er schließlich in seine Heimatstadt Königsberg zurück. Sein Vorhaben nach Schweden auszuwandern scheiterte daran, dass Rudolf Kaufmann dort keine Anstellung bekam. Dies wäre Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis gewesen.  

Flucht nach Litauen

Im Dezember 1939 floh er nach Litauen. Dies deutete er gegenüber Ingeborg Magnusson mit folgenden Worten an: „Ich habe eine sehr abenteuerliche Zeit hinter mir, und jetzt kann ich doch wenigstens etwas den Schleier in kurzen Worten lüften: Bei Nacht und Nebel und guten Geld und Worten hierhin. Unbekannt bleiben. Einmal nur durch Zufall dem Zurückschicken entronnen. Laufereien über Laufereien. Beziehungen suchen noch und noch. Verhaftet. Auf dem Bahnhof bei drohendem Rücktransport Fluchtversuch. Verprügelt. Telefonischer Zurückruf in letzter Minute. Unerwartete Beziehungen in unglaublichem Zusammenhang. Gnadenfrist für 3 Tage. Sollte irgendwie verschwinden. Jetzt: Aufenthaltsvisum und Aussicht auf vorläufige Anstellung als Geologe.“ Dort kam Rudolf Kaufmann bei einer Familie Holzman unter. Zur Familie gehörten der Vater Max, die Mutter Helene und die beiden Töchter Marie und Margarete. Die Anschrift in Litauen lautete Visinskio Straße 22, Wohnung 2 in Kaunas. Hier betrieb die Familie Holzman die Filiale einer Buchhandlung, in der auch Rudolf Kaufmann aushalf. Am 21. Juli 1940 wurde die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik ausgerufen. Die Buchhandlung der Holzmans wurde enteignet. Dafür bekam Rudolf Kaufmann ab Oktober 1940 eine Anstellung in der neugebildeten geologischen Landesanstalt Litauens.

Kein Entkommen

Im Herbst 1940 lernte Rudolf Kaufmann eine Frau, Ilse Moses, kennen. Dies war auch der Zeitpunkt, zu dem er die Hoffnung auf eine künftige Beziehung mit Ingeborg Magnusson endgültig aufgab. Schon wenige Monate später, im März 1941, heiratete Rudolf Kaufmann Ilse Moses.

Im Juni 1941 überfiel Hitler die Sowjetunion und besetzte die litauischen Gebiete. Nachrückende Einheiten der Sicherheitspolizei und der Schutzstaffel begannen auch in Litauen mit der Verfolgung und Ermordung von Juden. Zu dieser Zeit wurde Kaufmann von zwei deutschen Soldaten zufällig erkannt und auf offener Straße ermordet. Genaueres zum Zeitpunkt und den Umständen der Ermordung ist nicht bekannt.

Erinnerung an Rudolf Kaufmann

Trotz seines kurzen Lebens hinterließ Rudolf Kaufmann Spuren in unserer Gesellschaft. In der Paläozoologie gilt seine Dissertation bis heute als eine unverzichtbare Leistung, da seine darauf aufbauenden Ammonitenforschungen Grundlagen in diesem Wissenschaftszweig legten.Im Jahr 2000 wurde Rudolf Kaufmann offiziell von der Universität Greifswald rehabilitiert.

Auch zwei Stolpersteine erinnern bis heute an den begeisterten Geologen und Lehrer Rudolf Kaufmann. Einer befindet sich in der Hohen Straße 30 in Coburg vor dem ehemaligen Internat „Prediger Hirsch“. Seit dem Jahr 2008 erinnert ein zweiter Stolperstein in der Friedrich-Loeffler-Straße 23d in Greifswald vor dem ehemaligen Geologischen Institut an Rudolf Kaufmann. Am 9. November 2012, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, wurde dieser und 10 weitere Stolperstein von Unbekannten aus dem Pflaster herausgebrochen. Am 23. Mai 2013 wurden die zerstörten Stolpersteine in Greifswald durch neue ersetzt.

Quellen und Bildnachweise

Quellen- und Literaturverzeichnis:

  • Litauisches Zentrales Staatsarchiv, F. 377, ap. 12, b. 164
  • Sammlung Reinhard Kaiser
  • Staatsarchiv Amberg, Justizvollzugsanstalt Amberg 1608
  • Stadtarchiv Coburg, A10911
  • Standesamt 1 Berlin, 878/1909
  • Universitätsarchiv Greifswald, K 603
  • Universitätsarchiv Greifswald, Phil Diss II - 622
  • Universitätsarchiv Greifswald, R372
  • Broschüre des Stadtarchivs Greifswald: Gedenkweg zur Erinnerung an die Deportation der
  • Pommerschen Juden am 13. Februar 1940
  • Das Leben ist so bitter für uns beide, in: Ostfriesen-Zeitung vom 28.12.2012
  • Fromm, Hubert: Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg 1990
  • Holzmann, Margarete / Kaiser, Reinhard (Hg.): Dies Kind soll leben. Die Aufzeichnungen der
  • Helene Holzmann 1941-1944, München 2002
  • Kaemmel, Thomas: Der Bubnoffschüler Dr. Rudolf Kaufmann (1909-1941?). Eine notwendige
  • Erinnerung, in: Zeitschrift für geologische Wissenschaften, Bd. 37, Heft 6, 2009, S. 373-377
  • Kaiser, Reinhard: Königskinder. Eine wahre Liebe, Berlin 2006
  • Sassin, Horst R.: Widerstand, Verfolgung und Emigration Liberaler 1933-1945, Bonn 1983 

Für die Bildrechte danken wir Reinhard Kaiser und dem Verlag Schöffling & Co., sowie der Universität Greifswald. Die Fotos von Rudolf Kaufmann, Ingeborg Magnusson und der Familie Holzman sind erstmals in den Büchern von Reinhard Kaiser (Königskinder. Eine wahre Liebe, Frankfurt: Schöffling 1996) und Helene Holzman (Dies Kind soll leben. Aufzeichnungen 1941-1944, Frankfurt: Schöffling 2000) abgedruckt worden - mit freundlicher Genehmigung von Greta Magnusson (Ingeborg Magnusson), Raimund Kaufmann (Rudolf Kaufmann) und Margarete Holzman (Familie Holzman).

Abbildungsverzeichnis: 

1. Ingeborg Magnusson im Gras sitzend. (Königskinder, S. 14)
2. Rudolf Kaufmann, Herbst 1939 (Königskinder, S. 77)
3. Familie Holzman in ihrem Wohnzimmer in Kaunas, 1940 (Königskinder, S. 113)
4. Titelblatt der Dissertation von Rudolf Kaufmann (Universität Greifswald)

 

 

Die Verfasserin Laura Ernst

Ich heiße Laura Ernst, bin 17 Jahre alt und besuche das Eichendorff-Gymnasium in Bamberg. Von Anfang an weckte das Leben Rudolf Kaufmanns großes Interesse bei mir. Rudolf Kaufmann hielt sich zeitweise in Litauen auf. Ich stehe zu diesem Land aufgrund meiner Abstammung in enger Beziehung, weshalb es für mich gut möglich war, in litauischen Archiven zu recherchieren. Ein weiterer Berührungspunkt ist ein gemeinsames Hobby. Rudolf Kaufmann hat leidenschaftlich wie ich auch gern geturnt.