Heinemann Edelstein (1870 bis 1944)
In der Gemeinde Sugenheim im Kreis Würzburg leben 1925 insgesamt 56 Juden. Im Jahr 1939 kann man in dem 596 Seelen großen Ort keinen einzigen mehr finden. Einer dieser vertriebenen oder ermordeten Juden ist Heinemann Edelstein. Er wird am 7. September 1870 in Unterriedenberg, einem Ort nördlich von Würzburg, als Sohn von Löb und Regina, geb. Wolf, geboren und ist in Sugenheim von 1899 bis 1932 als Hauptlehrer, Kantor und Schächter tätig. Am 9. Mai 1898 heiratet er standesamtlich die vier Jahre jüngere Jeanette Kahn in Oberaltertheim. Sie bekommen später zusammen drei Kinder.
Ausbildung, Kriegsteilnahme und Ruhestand
Heinemann Edelstein besucht die Israelitische Lehrerbildungsanstalt (ILBA) in Würzburg, die er 1890 verlässt. Vermutlich beginnt er seinen beruflichen Werdegang anschließend als Lehramtskandidat, seine Anstellungsprüfung legt er 1895 ab. Am 1. April 1895 beginnt er als Religionslehrer in Wiesenfeld zu arbeiten. Diese Tätigkeit setzt er ab dem 16. November 1896 als Schulverweser in Poppenlauer, einem Nachbarort von Sugenheim, fort. Am 1. Mai 1899 wird er schließlich in Sugenheim zum Volksschullehrer ernannt, wo er bis zu seinem Ruhestand bleiben wird. In diesem Jahr wird auch sein erstes Kind, Ludwig, geboren. Diesem folgen 1900 Tochter Lina und weitere zwei Jahre später Tochter Rosa.
Mit Beginn des ersten Weltkrieges wird sein Sohn Ludwig noch als Jugendlicher an die Front müssen und dabei eine Gasvergiftung erleiden. Er wird glücklicherweise wieder vollständig gesund werden. Am 14. August 1939 wird er über England nach Palästina auswandern. Seine Schwestern sind zu diesem Zeitpunkt schon länger dorthin emigriert. Dem im Ort sehr beliebten Heinemann Edelstein bescheinigt ein Arbeitszeugnis von 1913 noch „genügende Leistungen“ und ein „tadelloses Verhalten“. Schon 1915 wird ihm aber mit der Gesamtnote zwei ein besseres Arbeitszeugnis ausgestellt.
Heinemann Edelstein wird ab 1. Mai 1924 im Alter von 53 Jahren in den einstweiligen Ruhestand mit Wartegeld versetzt, was in etwa einem Zwangsurlaub entspricht. Dies geschieht, da die jüdische Schule in Sugenheim 1924 aufgrund von Schülermangel geschlossen wird. Am 1. Januar 1934 wird er schließlich nach §6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den endgültigen Ruhestand versetzt, ist also ab sofort Hauptlehrer außer Dienst. Seine Ruhestandsbezüge in Höhe von rund 4130 Reichsmark pro Jahr werden ihm von der Kreiskasse Ansbach ausgezahlt. Das entspräche heutzutage etwa dem drei- bis vierfachen Betrag in Euro.
Palästinareise
In einem Brief der Regierung von Franken steht jedoch, es bedürfe keiner besonderen Anerkennung für seine „nicht gerade strapaziöse Dienstleistung“. Zu dieser Zeit arbeitet er jedoch bereits seit 25 Jahren im Ort und ist sogar bei manchen beliebter als der Pfarrer. 1936 brechen Heinemann Edelstein und seine Frau zu einer Besuchsreise zu ihren Töchtern nach Palästina auf. Am 3. März besteigen sie in Triest das Schiff nach Palästina. Sie wollen dort für 11 Wochen bleiben und haben 800 Reichsmark für die Wiedereinreise nach Deutschland auf einer Bank hinterlegt. Über den Verlauf der Reise und ihre Rückkehr ist nichts bekannt. Heinemann und Jeanette Edelstein ziehen am 23. Oktober 1936 in die Hans-Sachs-Straße 1/II in München. Zu diesem Zeitpunkt wohnen fast keine Juden mehr in der Gemeinde Sugenheim, was wahrscheinlich der Grund für den Umzug ist. In der Nachbargemeinde Ullstadt leben sogar seit 1935 gar keine Juden mehr.
Als im Jahr 1937 der In- und Auslandsreisepass des Ehepaars schon mehrere Wochen abgelaufen ist, stellt Heinemann am 13. Dezember einen Antrag auf Passverlängerung für sich und seine Frau am Polizeipräsidium München mit dem Anliegen, seine Töchter Mitte Februar 1938 in Palästina zu besuchen. Dieser Antrag wird jedoch am 11. Januar 1938 trotz Unbedenklichkeitsbescheinigungen von der Stadt München, des Finanzamts und der Devisenstelle abgelehnt und könne laut Polizeipräsidium nur bewilligt werden, wenn das Ehepaar dauerhaft auswandern will. Heinemann und Jeanette Edelstein hatten jedoch am 5. Januar 1938 bei der Gestapo ausgesagt, dass sie nicht vorhätten auszuwandern.
Am 24. Januar 1938 stellt Heinemann aufgrund der Ablehnung des Auslandsreisepasses nur einen Antrag auf einen Inlandsreisepass, woraufhin ihm jedoch ein In- und Auslandsreisepass von dem Polizeipräsidium ausgestellt wird, der bis zum 18. April 1940 gültig ist. In seinem aktuellen Pass findet sich folgende Personenbeschreibung: „Gestalt: mittel, Gesicht: oval, Farbe der Augen: grau, Farbe der Haare: weißgrau, besondere Kennzeichen: keine“. Nicht erwähnt wird, dass er wohl unter einem Tremor leidet, was sich aufgrund der Analyse seiner handschriftlichen Briefe vermuten lässt.
Am 8. November 1938 bekommt er eine Bestätigung der Regierung von Ober- und Mittelfranken, dass er seinen Wohnsitz nach Palästina verlegen darf, was jedoch nie geschehen wird.
Von der Hans-Sachs-Straße wird Heinemann Edelstein am 10. November 1938 in der Reichspogromnacht und der folgenden Massenverhaftungen ins Konzentrationslager Dachau gebracht, wo er die Häftlingsnummer 19477 erhält. Eine Woche später wird sein Reisepass vom Polizeipräsidium eingezogen. Er wird erst 35 Tage später wieder entlassen. Werner Cahnmann ist genau zur gleichen Zeit inhaftiert und beschreibt die Zustände in dem Konzentrationslager sinngemäß wie folgt: Die Haft soll für die Juden als Abschreckung dienen. Sie sollen damit eingeschüchtert und zur Auswanderung bewegt werden. Die Häftlinge werden mehrfach geschlagen und getreten, wenn sie zu langsam sind. Auch verschwinden einige Inhaftierte, die zum Beispiel an einem kalten und windigen Abend mehrere Stunden stillstehen müssen und dabei zusammenbrechen. Sie werden von SS-Männern weggeschleppt und nie wieder gesehen. Viele werden zu Tode geprügelt, gefoltert oder ziehen sich schwere Krankheiten zu. Ein Freund von Werner Cahnmann stirbt schon nach einem Tag an Insulinmangel, da er zuckerkrank ist. Die Baracken, in denen sie schlafen müssen, sind völlig überfüllt und auch in der Kantine ist es schwierig, während der kurzen Pause an Essen zu kommen. Der Tagesablauf besteht für die Häftlinge aus herum marschieren, warten und verhört werden, während sie sich zusätzlich ständig von den Wachleuten beschimpfen lassen müssen: „Gesetzlosigkeit war die oberste Regel.“
Emigrationsantrag, Verfolgung, Deportation und Tod
Nach seiner Zeit als Häftling im KZ Dachau stellt Heinemann Edelstein am 13. Februar 1939 erneut einen Reisepassantrag. Dieses Mal gibt er die Auswanderung nach Palästina als Grund an. Dem Antrag wird stattgegeben, da von keiner Seite, nicht einmal von der Gestapo, Bedenken gegen eine Auswanderung bestehen. Im September 1939 will das Ehepaar ausreisen, was jedoch wegen des Krieges nicht möglich ist, der zu diesem Zeitpunkt gerade ausgebrochen war. Heinemann Edelstein bittet daraufhin am 4. Juni 1940 den Polizeipräsidenten von München um eine Verlängerung ihrer Reisepässe, damit ihnen die Auswanderung doch noch ermöglicht werde. Dies wird ihnen jetzt jedoch verweigert und sein Reisepass eingezogen. Somit bleiben alle Bemühungen, doch noch seinen Kindern nach Palästina zu folgen, ohne Erfolg.
Am 4. Februar 1939 bekommt Heinemann Edelstein ein Schreiben des Polizeipräsidiums, das ihn dazu auffordert, sich ab sofort Heinemann Israel Edelstein zu nennen. Seine Frau musste Sara als zweiten Namen annehmen. Dieser Aktion ging die „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ am 17. August 1938 voraus. Deshalb mussten alle deutschen Juden, die nicht ohnehin einen jüdischen Namen trugen, die Zweitnamen „Israel“ beziehungsweise „Sara“ tragen.
Acht Monate nach seiner Entlassung am 8. August 1939 zieht er mit seiner Frau in das Hildebrandhaus, eine Künstlervilla in der Maria-Theresia Str. 23/I in München. Die Besitzerin, Elisabeth Braun, gewährte dort bis zu ihrer eigenen Deportation 15 verfolgten Mitbürgern Obdach, weshalb sie unter anderem Anfeindungen der Arisierungsstelle ausgesetzt war. Von dort zieht Edelstein am 15. August 1941 zu dem Kollegen Julius Kissinger, welcher ebenfalls aus dem Raum Würzburg stammt, in die Bürkleinstraße 16/II.
Spätestens am 27. Juni 1942 werden Heinemann und Jeanette Edelstein von den Nationalsozialisten in das Milbertshofener Sammellager in der Knorrstraße 148 gebracht. Julius Kissinger war schon am 20. November 1941 mit der ersten Deportation aus München nach Kaunas verschleppt worden. Das Lager im Stadtteil Milbertshofen wurde schon seit Herbst 1941 als Durchgangslager für die von München ausgehenden Deportationen genutzt. Anfangs nur als Lager für die aus ihren Wohnungen vertriebenen Juden vorgesehen, ändert sich seine Funktion mit dem Beginn der Deportationen.
Heinemann und Jeannette Edelstein fallen in eine Reihe von 24 Transporten, die im Sommer 1942 in das Ghetto nach Theresienstadt gehen. Dabei werden immer bis zu 50 Personen in einem Waggon verschleppt, der an einen normalen Personenzug angehängt wird. Um die zu deportierenden Juden zu sammeln und einen reibungslosen Ablauf gewährleisten zu können, werden sie einige Tage zuvor in das Barackenlager gebracht, auf dem bis zu 1376 Menschen auf engstem Raum leben müssen.
Am 2. Juli 1942 werden sie mit dem Häftlingstransport II/11 in das Theresienstädter Ghetto deportiert. Die Häftlingsnummer von Heinemann Edelstein lautet 512, die seiner Frau 513. Das Ghetto war vorwiegend für alte Menschen gedacht. Es war völlig überfüllt und die Zustände waren katastrophal. Es war überall dreckig, die Internierten hatten zu wenig Essen und froren ständig. Die Folge waren schwere Krankheiten wie Lungenentzündungen und letztendlich der Tod. Heinemann Edelsteins ganzer Besitz wird vom Oberfinanzpräsidium eingezogen und mit einem Schiff in einem Liftvan, einem Container, über den Rhein nach Köln transportiert[6]. Auch das Geld des Ehepaars, insgesamt 965 Reichsmark, wird ihnen abgenommen.
Jeanette Edelstein stirbt am 6. Februar 1943 um 15 Uhr in Theresienstadt. Als Todesursache wird von dem Lagerarzt der Nationalsozialisten „Mydogeneratio Cordis“, also Herzversagen angegeben. Über ein Jahr später, am 10. Mai 1944, stirbt Heinemann Edelstein im Alter von 73 Jahren. Bei Heinemann Edelstein fällt auf, dass er des Öfteren, vor allem während seiner Reise nach Palästina, die Möglichkeit hatte, seinen Kindern ins Ausland zu folgen. Er tat dies jedoch nicht. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Hätte er es aber getan, so hätte er den Nationalsozialismus vermutlich zusammen mit seinen Kindern überleben können.
Quellen
- BayHStA MK 42625. 32028
- Stimpfig: Sugenheim, S. 108Karl Ernst Stimpfig: Die Juden in Sugenheim und Ullstadt-eine Dokumentation, Scheinfeld 2001, S.100
- StAN Reg.Mfr. Abg. 1978 Nr. 5132, 1929-1955 Heinemann Edelstein Nr. 1164b57, Schreiben der Reg v. Obf u. Mfr. Kammer des Innern.
- Http://fredriks.de/HVV/kaufkraft.htm [03.10.2012, 12:18]
- StAM MK 42625 5205 1/3.
- StAN LRA Scheinfeld Abg.1977, Nr. 3760 1.
- StadtAM Objekt Nr. 2675, S. 2.
- StAN Reg, K. d. I. Abg. 1968, Judensachen Nr. 30 Verhältnisse der Israeliten im BA Scheinfeld 1862-1936
- StAM Polizeidirektion München 12015, Schreiben von Heinemann Edelstein an das Polizeipräsidium München
- StAM Polizeidirektion München 12015 143/112
- StAM Polizeidirektion München 12015, Antrag für Reichsangehörige
- StAM Polizeidirektion München 12015, Reisepass von Heinemann Edelstein vom 24. Januar 1938
- StAM Polizeidirektion München 12015, Reisepass gültig bis 20.11.1937
- StAM Polizeidirektion München 12015, Brief von Heinemann Edelstein an das Passamt München
- StAN LRA Scheinfeld Abg. 1978, Nr. 5132 01
- StAM Polizeidirektion München 12015, Führung der Judenkartei
- StAN Reg.Mfr. Abg. 1978 Nr. 5132, 1929-1955 Heinemann Edelstein Nr II/5-1153a25, Brief von B. Tautz-Pfahler an Kreisreg. v. Mfr. am 29. Mai 1955
- StAM Polizeidirektion München 12015 Anzeige
- StadtAM Objekt Nr. 2675, S.1. Max Ottensoser, Alex Roberg,: ILBA. Israelitische Lehrerbildungsanstalt Würzburg, 1864-1938, by the Alumni of 1930-38, Detroit, Michigan 1982, S. 224
- StAN Reg.Mfr. Abg. 1978 Nr. 5132, 1929-1955 Heinemann Edelstein Nr 25144 §6
- StAN Reg.Mfr. Abg. 1978 Nr. 5132, 1929-1955 Heinemann Edelstein Nr. 1164b57, Schreiben der Reg v. Obf u. Mfr. Kammer des Innern
- StAM OFinD 8392, Vermögenserklärung: Lina (handschriftlich)
- StadtAM Objekt Nr. 2675, S.1. [11] BayHStA MK 42625. 5205, 1/5
- StAM OFinD 8392 05205-BII 512/513, Vermögenserklärung Heinemann Edelstein
- ITS Bad Arolsen, 101/055 Block 8, Stube 4
- ITS Bad Arolsen, Doc. No. 10636754#1 KZ Dachau Schreibstubenkarte
- StAM Polizeidirektion München 12015 Abt.I/PL
- ITS Bad Arolsen, Doc. No. 10636754#1 KZ Dachau Schreibstubenkarte
- Werner Cahnmann: Deutsche Juden. Ihre Geschichte und Soziologie, Münster 2005, S.134-141
- StAM Polizeidirektion München 12015 Passverzeichnis 17692
- StAM Polizeidirektion München 12015 B.Nr. 49402 II B 3
- StAM Polizeidirektion München 12015 Abt. II.P.A. Schreiben von Heinemann Edelstein an das Passamt München vom 4. Juni 1939
- StAM Polizeidirektion München 12015 III- 2764/10
- StAM Politzeidirektion München 12015 Polizeipräsidium Abt.II/EMA/114
- StadtAM Objekt Nr. 2675, S.2
- Http://www.monacensia.net/Hildebrandhaus.htm [01.11.2012, 12:03]
- StAM OFinD 8392 B.Nr.16748/42.
- StAM OFinD 8392 05205-BII 512/1 P
- Http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?id=898370&submit=1&page=1&maxview=50&offset=0 [03.10.2012, 15:34]
- Siehe hierzu: Strnad, Zwischenstation “Judensiedlung” - Verfolgung und Deportation der jüdischen Münchner, München 2011
- Http://wwww.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.335622 [03.10.2012, 15:42]
- Http://www.ghetto-theresienstadt.info/terezinghetto.htm#alte [01.11.2012, 11:09]
- StAM OFinD 8392 05205-BIII 512 P
- StAM OFinD 8392 05205-BII 512
- Http://www.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT.ITI.15857 [03.10.2012, 17.27], Todesfallanzeige
- Http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?id=853870&submit=1&page=1&maxview=50&offset=0 [03.10.2012, 17:23].
Verfasser
Stefan Grasser und Andreas Wimmer, Gymnasium Markt Schwaben (Arbeit 2013)