Ludwig Fleischmann (1915 bis 1997)
Herkunft
Ludwig Fleischmann wurde am 25. Februar 1915 in Altenmuhr/Gunzenhausen geboren. Sein Vater Isaak Fleischmann, von Beruf Viehhändler, gehörte der israelitischen Religion an. Als Ludwig noch keine eineinhalb Jahre alt war, fiel sein Vater am 19. Juli 1916 im Ersten Weltkrieg. Mit seiner Mutter Klara Fleischmann, geborene Gerst, lebte Ludwig in seiner Kindheit in Altenmuhr, vermutlich in ärmlichen Verhältnissen. Klara war ebenfalls Jüdin. Über ihren späteren Verbleib ist leider nichts bekannt.
Kindheit und Jugend
Als Zehnjähriger kam Ludwig Fleischmann an die Realschule Gunzenhausen, etwa sechs Kilometer entfernt von der Ortschaft Altenmuhr, in der er lebte. (Zeugnisse oder sonstige Informationen aus dieser Zeit liegen leider nicht vor.)
Ausbildung
Von 1928 bis 1931 besuchte Ludwig die Israelitische Präparandenschule in Höchberg. Die Lebensumstände und die Versorgung an der Schule waren ausreichend, aber einfach. Der Tag war streng durchorganisiert: Er begann um 7 Uhr mit dem Morgengebet und einem einfachen Frühstück, von 8 bis 12 Uhr war Unterricht. Dann gab es Mittagessen und bis um 14 Uhr Zeit für Sport. Nach dem Nachmittagsgebet gingen die Schüler bis um bis 16 Uhr nochmals zum Unterricht, anschließend sollten sie spazieren gehen. Am Abend hatten sie rund zwei Stunden Zeit für die Hausaufgaben, bei Einbruch der Dunkelheit fand das Abendgebet statt. Nach der Präparandenschule ging Ludwig Fleischmann ab dem Jahre 1931 in die Israelitische Lehrerbildungsanstalt in Würzburg (ILBA), wo er 1934 sein Examen machte. Die erste Lehrerprüfung schloss er im April desselben Jahres als Volksschullehrer und Religionslehrer mit "lobenswert" ab. Die zweite Prüfung konnte er nicht mehr ablegen, da er zu dieser Zeit schon geflüchtet war.
Berufsleben
Ludwig Fleischmanns Vorbereitungsdienst begann am 7. Mai 1934. Während dieser Zeit war er an mehreren Schulen als Schulamtsbewerber tätig, vergleichbar mit einem Referendar. Seine erste Stelle bekam er an der Volksschule im unterfränkischen Hammelburg. Dort unterrichtete er Religion, was ihm als Vorbereitungszeit für den Volksschuldienst anerkannt wurde. Auf Hammelburg folgte München. Hier war Fleischmann von Oktober 1934 bis Mai 1935 an der Israelitischen Volksschule als Schulamtsbewerber angestellt. Ab dem 15. April 1935 wohnte Fleischmann in Demmelsdorf 29 a. Hier arbeitete er parallel zum Vorbereitungsdienst in der jüdischen Kultusgemeinde als Religionslehrer und Kantor. Für diese Beschäftigung bekam er monatlich ein Gehalt von 140 RM, zudem war es eine feste Anstellung. Neben seiner Tätigkeit in Demmelsdorf unterrichtete er im Zuge seines Vorbereitungsdienstes zeitweise an der Israelitischen Volksschule in Nürnberg und war Lehrer der Israelitischen Sonderklasse in Bamberg. Am 24. Juni 1935 wurde Fleischmann für den Wehrdienst gemustert und unter dem Tauglichkeitsgrad 1 eingestuft. Sein Wehrdienstverhältnis war Ersatzreserve 2.Vorbereitung der Flucht Am 23. Juni 1938 beantragte Ludwig Fleischmann die Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst. Diese erfolgte am 1. Juli 1938. Fleischmann gab bekannt, ausreisen zu wollen, und bat deswegen um Befreiung vom Wehrdienst. Dies wurde genehmigt, sein Wehrpass wurde einbehalten. Dem Demmelsdorfer Bürgermeister nannte Ludwig Fleischmann als Grund für die Auswanderung seine kinderlose Cousine in den USA. Sie übernehme die Bürgschaft für ihn, so dass er finanziell abgesichert sei. Fleischmanns Reisepass wurde am 10. August 1938 ausgestellt. Darin war notiert: Haarfarbe: schwarz, Augenfarbe: braun, Gesichtsform: oval. Es ist davon auszugehen, dass Fleischmann um sein Leben fürchtete und deswegen auswanderte. Im Wiedergutmachungsbescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus aus dem Jahr 1957 heißt es: "Er hat sich zu diesem Schritt offensichtlich nur entschlossen, um eine drohende zwangsweise Entlassung zu verhindern und zu erwartenden, gegen Juden gerichteten Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen."
Emigration in die USA
Das Schiff "Aquitania" startete am 7. September 1938 von Cherbourg, Frankreich, in die USA. Fleischmann brach aber schon am 1. September von Demmelsdorf auf, um auf dem Weg noch das Grab seines Vaters auf einem Soldatenfriedhof nahe Lille zu besuchen. Am 13. September 1938 erreichte die "Aquitania" New York. Fleischmann war damals 23 Jahre alt. Durch die Emigration in die USA verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft und war zunächst für einige Jahre staatenlos.
Neues Leben in den USA
Fleischmann war ein Jahr Schüler an der Rabbinerschule Ner Israel in Maryland, Baltimore, und wohnte während dieser Zeit im Schülerheim. Von Oktober 1939 bis Juni 1944 studierte er an der Eastern University Buchhaltung und arbeitete nebenbei bei der Fuller Brush Hartford Company 25 bis 45 Stunden wöchentlich als Vertreter. Als Fleischmann sein Studium beendet hatte, führte er die Berufsbezeichnung Handelsvertreter oder Geschäftsmann. Im Februar 1945 ging er jedoch zunächst zur US-Armee. Zu diesem Zeitpunkt war er 30 Jahre alt und lebte unverheiratet in Baltimore, Maryland. Sein Dienst bei der Armee war für die Dauer des Krieges und die sechs nachfolgenden Monate angesetzt. Im Oktober 1945 erhielt er schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft vom Gericht Louisville, Kentucky. Nach seiner Zeit als Soldat arbeitete Fleischmann als Buch- und Wirtschaftsprüfer. Am 24. August 1947 heiratete Fleischmann. Der Name seiner Frau ist trotz umfassender Recherche bis heute unbekannt geblieben. Ludwig Fleischmann hatte drei Söhne. Ezra Francin wurde am 31. Januar 1946 geboren. Am 17. Mai 1951 kam Joseph zur Welt und zwei Jahre später, am 13. Juni 1953, Jack.Wiedergutmachungsbescheid Am 26. Oktober 1956 stellte Fleischmann über seine Anwälte Kempner und Levin einen Antrag auf Wiedergutmachung. Es wurde gefordert, Ludwig Fleischmann nachträglich zum Lehrer zu ernennen und ihn entsprechend zu pensionieren. Am 12. Juni 1957 erließ das Bayerische Staatsministerium den Wiedergutmachungsbescheid. Fleischmann erhielt ein Ruhegehalt und wurde zudem berechtigt, die Amtsbezeichnung "Lehrer a.D." zu führen. Zu dieser Zeit lebte er in New York.
Tod
Am 3. Oktober 1997 starb Ludwig Fleischmann im Alter von 82 Jahren in New York eines natürlichen Todes.
Quellen
- Social Security Death Index about Ludwig Fleischmann
- Sterbeurkunde
- US World War II Enlistment Records, 1938-1946 about Ludwig Fleischmann
- Kentucky; Naturalization Records 1906-1991 record for Ludwig Fleischmann 1940
- United States Federal Census about Ludwig Fleischmann New York passenger Lists, 1820-1957 (zugeschickt von der Botschaft der USA)
- Bayerisches Hauptstaatsarchiv MK 49584 (Wiedergutmachung)
- Gemeindearchiv Muhr, Geburtsurkunden, Meldeakten
- Staatsarchiv Bamberg K5/10034 I (Porträtfoto)
- Stadtarchiv Bamberg C3539 (jüdische Sonderschule)
Fotos
- Flade, Roland: Lehrer, Sportler, Zeitungsgründer, die Höchberger Juden und die Israelitische Präparandenschule (Schriften des Staatsarchivs Würzburg, Heft 12), Würzburg 1998
- Guth, Klaus/Groiss-Lau, Eva: Jüdisches Leben auf dem Dorf: Annäherung an die verlorene Heimat Franken, in: Guth, Klaus (Hrsg.): Landjudentum in Oberfranken, Geschichte und Volkskultur, Band 3, 1 Aufl., Petersberg 1999
Verfasserin Miriam Schaptke
Ich bin im zweiten Semester Studentin der Geschichte und Politik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg und werde diesen Sommer 20 Jahre alt. "Mitschuld" an meiner Studienwahl hat wohl das W-Seminar "Menschen aus Bamberg und Umgebung also Opfer der Nationalsozialisten", das ich im Zuge meines Abiturs in den Jahren 2012-2014 am Eichendorff-Gymnasium in Bamberg, unter der Leitung von Frau Franze, belegte. Dieses Seminar war von der engen Zusammenarbeit mit dem Projekt Erinnern des BLLV geprägt. So entstand neben einer Biographie, die gleichzeitig meine Seminararbeit ist, ein Gedächtnisblatt. Dem Endergebnis voran gingen zwei spannende Jahre, in denen ich, unterstützt von Frau Gerhardus und Frau Franze, forschen und suchen durfte.
Ich entschied ich mich für dieses Projekt, da mich die Thematik des Dritten Reiches, der Nationalsozialismus und das jüdische Leben schon seit Kindheitstagen interessieren. Ich erhoffte mir, durch die intensive Auseinandersetzung noch mehr darüber zu erfahren. Der Reiz, ein Leben, das Schicksal eines Menschen, herauszuarbeiten, welches sonst vielleicht "untergegangen" wäre, beeinflusste meine Entscheidung.
"Erfahrungen, die ich nicht missen möchte"
Während der Nachforschungen machte ich viele Erfahrungen, die ich heute nicht mehr missen möchte. Zahlreiche Archivbesuche, Telefonate mit Heimatforschern, E-Mail-Korrespondenzen mit Behörden in der USA und Spurensuche vor Ort bestimmten die Recherche. Zu Beginn gab es viele Enttäuschungen und die "Detektivarbeit" lief schleppend, doch ich ließ mich nicht entmutigen und durch tatkräftige Unterstützung der beiden Betreuerinnen stieß ich nach und nach auf mehr und mehr Informationen. So setzte sich das Puzzle zusammen und die Arbeit wurde von Tag zu Tag spannender.
Ich schrieb über einen verfolgten, jüdischen Lehrer, dem die Flucht in die USA gelang – Ludwig Fleischmann. Er wurde als einziges Kind eines Viehhändlers geboren, welcher kurz nach der Geburt seines Sohnes im Ersten Weltkrieg fiel. Ludwig wuchs in Armut bei seiner Mutter auf. Nach der Realschule folgte die Präparandenschule und schlussendlich besuchte er die Israelitische Lehrbildungsanstalt in Würzburg, in welcher er zum Lehrer ausgebildet wurde. Sein darauffolgendes Referendariat konnte er jedoch nie beenden, da er vor der Verfolgung der Nationalsozialisten fliehen musste. So gut wie mittellos kam er im September 1938 mit nur 23 Jahren mit dem Schiff in New York an. Dort schaffte er es, sich nach und nach und unter großen Strapazen ein geregeltes Leben aufzubauen. Er arbeitete letztendich als Wirtschaftsprüfer, gründete eine Familie und starb im Alter von 82 Jahren eines natürlichen Todes.
Es gibt keinerlei Quellen, die belegen könnten, dass er jemals wieder nach Deutschland zurückkehrte, zu groß wohl die Enttäuschung seiner alten Heimat gegenüber. An Schicksale wie das Ludwig Fleischmanns muss erinnert werden! An die Kraft, den Mut und das Glück, das er hatte!
"Mit jeder neuen Information wuchs mein Eifer"
Im Laufe der Recherche lernte ich Ludwig Fleischmann und sein Leben immer besser kennen, und mit jeder neuen Information wuchs mein Eifer. Ich baute regelrecht einen Bezug zu diesem Menschen auf. Eine große Enttäuschung war sicherlich, dass ich auf meine beiden Briefe an seinen Sohn Ezra keine Antwort bekam. Doch ich habe jederzeit Verständnis gegenüber seiner Familie.
Auch heute noch denke ich gerne an die Nachmittage zurück, an denen ich über das Leben des verfolgten Lehrers recherchierte, und ich kann mit Sicherheit sagen: Die Arbeit war nicht umsonst. Sie erinnert an einen Menschen, der sonst womöglich in Vergessenheit geraten wäre.