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„Lehrkräftemangel zur Chefsache machen“

UPDATE: INTERVIEW "BILDUNG MUSS CHEFSACHE WERDEN" | Der Vorsitzende des BLLV-Dachverbands VBE, Udo Beckmann, fordert Länderchefs auf, mehr Geld zu investieren, um Lehrkräftemangel zu beheben. Die Herausforderungen seien riesig und es mangele an Nachwuchs.

UPDATE 12.8.  Udo Beckmann im Interview mit der WELT:
» "Vier-Tage-Woche, gekürzte Stundenpläne, größere Klassen – 'massive Hilflosigkeit'"

Klare Ansage für ganz Deutschland: Aus Sicht von Udo Beckmann, Vorsitzender der BLLV-Dachverbands Bildung und Erziehung (VBE), ist die Situation an den deutschen Schulen dramatisch: „Das neue Schuljahr beginnt in Kürze, und die Herausforderungen sind durch die weiter andauernde Corona-Pandemie und die Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine riesengroß“, sagt Beckmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. “Gleichzeitig fehlt es schon an Personal, um überhaupt den ganz normalen Schulalltag zu bewältigen“, stellt Beckmann klar.

Mit den üblichen Notlösungen und Beschwichtigungsparolen ist es daher nicht mehr getan – es braucht stattdessen einen Paradigmenwechsel: “Der Kampf gegen den Lehrkräftemangel muss in den Ländern endlich zur obersten Priorität werden“, fordert der VBE-Vorsitzende. “Das wird nur funktionieren, wenn in den Landeshaushalten über viele Jahre erheblich mehr Geld für Schulen und Bildung eingeplant wird, als dies jetzt der Fall ist. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten müssen den Kampf gegen den Lehrkräftemangel endlich zur Chefsache machen und über die Ressorts hinweg zur Aufgabe Nummer eins erklären – sonst werden die Lernbedingungen für die Kinder und Jugendlichen nicht besser.“

Dauerhafter Lehrkräftemangel schreckt Nachwuchs ab

Auch der BLLV hat angesichts der in Bayern geplanten Kürzungen des Unterrichtsangebots, Vergrößerung der Klassen und vermehrtem Einsatz von nicht ausgebildetem Personal gefordert, die immer schmerzhafteren Kurzfristmaßnahmen, die einen drastischen Verlust an Bildungsqualität für Kinder und Jugendliche bedeuten, endlich in eine vernünftige Langristplanung zu überführen – beispielsweise durch die Eingangsbesoldung von A13 für alle Lehrämter, die mittlerweile in vielen Bundesländern Usus ist, eine flexiblere Lehrerbildung und nachhaltigem Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen.

Dazu gehört auch, die Situation für potenziellen Nachwuchs im Blick zu behalten. Denn wenn die Politik jetzt nicht entscheidende Maßnahmen ins Feld setzt, droht der Lehrkräftemangel zur Dauerschleife zu werden: “Diese aufreibende Situation des Dauermangels macht den Job zusehends unattraktiver und wird noch mehr junge Menschen davon abhalten, sich für den Beruf als Lehrkraft zu entscheiden“, analysiert Udo Beckmann.

Auf Kosten der Lehrkräfte an den Schulen

Auch die Kritik des BLLV, dass die Bayerische Staatsregierung den Lehrkräftemangel deshalb nicht klar und ehrlich öffentlich macht, weil sie darauf baut, dass die Lehrkräfte vor Ort aus professionellem Selbstverständnis immer wieder ihre eigenen Belastungsgrenzen überschreiten werden, um irgendwie den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, sieht Udo Beckmann als bundesweites Phänomen: „Es muss Schluss damit sein, dass die Politik das hohe Engagement und das Berufsethos der Lehrkräfte weiter schamlos ausnutzt.“

Das Fazit des VBE-Bundesvorsitzenden ist daher eindeutig: “Sonntagsreden haben wir genug gehört. Die Politik muss endlich damit beginnen, die Schulen mit den notwendigen Ressourcen auszustatten!“

» zum Artikel "Verband Bildung und Erziehung fordert: Kampf gegen Lehrkräftemangel muss Chefsache werden“

» Pressemitteilung des VBE: "Eine gefährliche Entwicklung: Schulen und Kitas sind keine Verschiebebahnhöfe für politische Verantwortung“

Udo Beckmann im Interview mit der WELT

Vier-Tage-Woche, gekürzte Stundenpläne, größere Klassen – „massive Hilflosigkeit“

Zum Schulbeginn in einigen Bundesländern hat Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger die Hoffnung auf "normalen Schulalltag" geäußert. Im Interview mit der WELT hat Udo Beckmann, Vorsitzender des BLLV-Dachverbands VBE (Verband Bildung und Erziehung), erläutert, warum eine solche öffentliche Aussage für Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort problematisch ist. "Damit wird die seit Langem bestehende Mangelverwaltung als normal verkauft und so getan, als gäbe es keine Einschränkungen mehr", so Beckmann.

Der VBE-Vorsitzende fordert von der Poltitik eine deutliche Änderung im Verhalten und in der Kommunikation über Bildung: "Politiker in Bund und Ländern müssen einräumen, dass die ganze Masse an Problemen – Unterrichtsausfall, Streichung von Angeboten, Raummangel, fehlende digitale Ausstattung und so weiter – auf politische Versäumnisse zurückzuführen ist. Konflikte könnten reduziert werden, wenn man Probleme auf politischer Ebene offensiver anspricht. Es geht darum, Erwartungen an die Realität anzupassen. Und klarzumachen: Für die Versäumnisse ist nicht das Personal in den Bildungseinrichtungen verantwortlich."

Bildung endlich zur Chefsache machen

Die Realität sieht leider völlig anders aus, schildert Beckmann: "Stattdessen werden Probleme kaschiert. Stundenpläne werden gekürzt, Klassen vergrößert. In Sachsen-Anhalt wird eine Vier-Tage-Woche ausprobiert, und in Berlin diskutiert man, die Schulstunde von 45 auf 40 Minuten zu kürzen. All das zeigt eine massive Hilflosigkeit." Die einzige sinnvolle Konsequenz aus der Sicht des VBE-Vorsitzenden: "Es ist an der Zeit, dass die Politik zugibt: Wir haben es verbockt. Erst dann kann ein echter Aufbruch gelingen."

Dieser Aufbruch muss dabei von höchster Stelle kommen, denn: "Es sind nicht die Schulministerinnen und -minister, die das einfach nicht hinkriegen. Wir erleben häufig, dass sie innerhalb der Landesregierungen alleingelassen werden. Das muss sich ändern." Wie das auch der BLLV in Bayern gefordert hat, sind aus Beckmanns Sicht die Länderchefs zum Handeln aufgerufen: "Wenn wir eine Trendwende wollen, muss der Fachkräftemangel sowohl in Kitas als auch in Schulen in den Ländern zur Chefsache werden. Wenn sie Defizite benennen, muss die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident im Kabinett klarstellen: Bildung hat oberste Priorität, das benötigte Geld muss zur Verfügung gestellt werden."

Sinnvolle Taten statt hehrer Zielversprechungen

Ziele müssten dabei energetische und generelle Schulsanierungen sein, mehr Studienplätze für das Lehramt, Bürokratieabbau, deutlicher Ausbau der Multiprofessionalität und Konzentration auf pädagogische Arbeit statt immer mehr fachfremder Tätigkeiten.

Ansonsten sieht Udo Beckmann das im Koaltionsvertrag der Bundesregierung ausgerufene "Jahrzehnt der Bildungschancen" in weiter Ferne: "bisher sind das schöne Worte ohne Taten. Ich sehe nicht, wie Bildungsgerechtigkeit nur ansatzweise erreicht werden soll. Stattdessen ist Deutschland auf dem Weg, Bildungsungerechtigkeit zu verschärfen."

» zum Interview im Wortlaut