"Der aktuelle IQB Bildungstrend zeigt in Zahlen, was wir als Lehrerinnen und Lehrer längst wissen: Die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in der vierten Klasse in den Bereichen Deutsch und Mathematik nehmen in erschreckender Weise seit Jahren ab. Dabei schneiden wir in Bayern im deutschen Vergleich gut ab. Jetzt könnten wir sagen: „Wenn das Schiff sinkt und wir noch als Kapitän an Bord sind und die Fahne hochhalten, dann ist das schön.“ Ist es aber natürlich nicht.
MIT UPDATE 18.10.: IQB-Bildungstrend zeigt, dass viele Kinder in Bayern abgehängt werden
Der IQB Bildungstrend spricht eine eindeutige Sprache: Die Schwächsten der Gesellschaft werden auch in der Bildung abgehängt. Grund dafür: Fehlende Fördergelder und Lehrkräftemangel.
BR Fernsehen: Satiresendung "Quer" (20.10.2022)
In gewohnt satirisch-kritischer Art beleuchtet das TV-Magazin "Quer" die Ergebnisse der aktuellen IQB-Studie. Die leidtragenden Kinder sind die, die aus sozial schwachen Familien kommen und deren Stimmen wenig Gehör finden. Moderator Christoph Süß stellt genau die richtige Frage: Wo bleibt eigentlich der Aufstand? -> Video angucken auf br.de
Das liegt vor allem daran, dass wir in Bayern eine andere sozioökonomische Struktur haben als viele andere Bundesländer, damit lassen sich aber Lehrkräftemangel und mangelnde Ausstattung der Schulen nicht wegdiskutieren. Und wegdiskutieren lassen sich auch nicht die vielen Kinder die auch in Bayern abgehängt werden und nicht mehr mitkommen und unsere Unterstützung brauchen. Denn auch hier erreichen rund 14 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht die Mindeststandards im Bereich Lesen. Und auch in Bayern sank die Zahl der Viertklässlerinnen und Viertklässler, die die Regelstandards erreichen deutlich. Beispielsweise um jeweils rund zehn Prozent in den Bereichen Zuhören und Orthografie.
Medienberichte
BR24 (17.10.2022)
Vielfältige Gründe nennt die Leiterin der Grundschule Ismaning Camerloherstraße, Antje Radetzky, für die alarmierenden Ergebnisse des IQB-Bildungstrends: "Es fehlt einfach die Unterstützung. Außerdem haben wir immer mehr Kinder, die Deutsch als Zweitsprache sprechen und da allein von der Sprache her Schwierigkeiten haben. Außerdem wird heute nicht mehr so viel gelesen wie früher." Was Abhilfe leisten würde, weiß Radetzky genau: Zusätzliche Lehrkräfte, die die entsprechenden Kinder aus dem Unterricht nehmen und mit ihnen Lesen üben – und zwar regelmäßig. Nur sind diese Lehrkräfte zur Zeit immer damit beschäftigt, in anderen Klassen zu vertreten, weil einfach kein Personal da ist.
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann ergänzt: "Wir haben die Förderlehrer nicht. Wir haben die multiprofessionellen Teams nicht. Wir bräuchten einen zweiten Lehrer in der Klasse. Einer allein kann das nicht auffangen."
-> Bericht ansehen auf BR24
Süddeutsche.de (17.10.2022)
Dass die bayerischen Viertklässler im Bundesvergleich noch relativ gut dastehen, erklärt Simone Fleischmann, in der Süddeutschen Zeitung mit der sozioökonomischen Struktur in Bayern, die sich von der in anderen Bundesländern unterscheide. Es lasse sich aber nicht wegdiskutieren, wie viele Kinder "auch in Bayern abgehängt werden und nicht mehr mitkommen und unsere Unterstützung brauchen." Die Schwächen decke der Bericht genau auf: "Die Kinder brauchen jetzt Förderung, sie brauchen Differenzierung."
-> Nachlesen auf süddeutsche.de: Warum Viertklässler immer schlechter lesen und rechnen
Die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort sehen täglich was den Kindern fehlt und was es ausmacht, dass wir zwei Jahre Corona hinter uns haben. Wir spüren die Kompetenzdefizite täglich. Wir können es aber nicht auffangen. Wir haben die Fördergelder nicht. Wir haben die Professionalität nicht. Wir haben die zweite Lehrkraft nicht in der Klasse. Wir müssen nicht lange warten, bis die Schuld am Mangel den Lehrerinnen und Lehrern in die Schuhe geschoben werden soll. Das hören wir jetzt schon ab und an. In der Grundschule sind wir Lehrkräfte diejenigen, die mal „ein bisschen mehr arbeiten müssten“.
Einschätzung des aktuellen IQB-Bildungstrends von Bildungsjournalist Christian Füller
"Damit ist das deutsche Schulwesen wieder auf dem Stand von vor 20 Jahren, als der Pisa-Schock die Bundesrepublik traf. In Bayern etwa gibt es im Jahr 2021 genauso viele Schüler, die im Lesen den Mindeststandard nicht erreichen, wie im Jahr 2000: 14 Prozent. Obwohl der notorische Pisasieger zwischendurch bei nur acht Prozent Risikoschülern angekommen war. Das bedeutet: 20 Jahre Schulentwicklung sind umsonst, alles zurück auf Anfang", analysiert Bildungsjournalist Christian Füller. Auf der Suche nach Ursachen nennt er drei Gründe: Lehrermangel, zu wenig Messungen die handfeste Vergleiche möglich machen und der sinkende Bestand an Kindern, die mit Büchern aufwachsen.
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Aber was fehlt uns denn und um welche Kinder geht es wenn immer mehr die Mindeststandards in Mathe und Deutsch nicht erreichen? Welche Kinder erreichen denn überproportional häufig den Mindeststandard nicht? Kinder aus schwachen Familienverhältnissen! Und Kinder mit Migrationshintergrund! Diese Schwächsten im System brauchen die beste Förderung und die besten Pädagoginnen und Pädagogen. Und wir sind gerade einfach zu wenige. Wir haben nicht mal pro Klasse einen Profi und sind oft froh, wenn irgendein Mensch vor der Klasse steht. Der Bericht zeigt genau auf, welche Defizite wir auffangen sollten. Aber mit wem? Mit welcher Profession, mit welcher Qualität machen wir das?
Die Kinder brauchen jetzt Förderung, sie brauchen Differenzierung, das heißt auch mal eine Kleingruppe. Sie brauchen die Förderlehrkräfte, sie brauchen die Schulpsychologinnen und -psychologen und die Beratungslehrkräfte. Und sie brauchen Zeit von uns Lehrerinnen und Lehrern, um ganzheitlich gebildet zu werden. Dafür brauchen wir die Ressourcen und darum müssen wir jetzt gegen den Lehrkräftemangel vorgehen: Mit attraktiven Arbeitsbedingungen, mit einer gerechten Besoldung für alle Schularten und mit einer flexiblen Lehrerbildung."
-> Zur gemeinsamen Pressemitteilung des VBE (Verband Bildung und Erziehung) und des BLLV zur Studie IQB Bildungstrend: "Die Rahmenbedingungen für Bildung in Deutschland müssen sich jetzt grundlegend ändern."