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Bildungsqualität

Der Akt mit dem Schülerakt

Welche Unterlagen über Schülerinnen und Schüler dürfen an die nächste Schule weitergegeben werden? Die maßgeblichen Regelungen lassen so viel Spielraum, dass die Rechtsabteilung den Dialog mit dem Kultusministerium gesucht und dazu Klarheit geschaffen hat.

Der Fall

Bei einer Versammlung erfährt ein Beratungslehrer, dass im Bereich seines Nachbarschulamts die Schülerakten nach der 4. Klasse nicht von den Grundschulen aussortiert und „entkernt“ werden, sondern der gesamte Schülerakt an die folgende staatliche Schule weitergegeben wird. Lediglich IQ-Tests sowie SPZ-Gutachten werden entfernt.

Aus seiner Arbeitspraxis heraus empfindet der Kollege dieses Vorgehen als sinnvoll und sehr gut. Gerade in der Schulberatung ist es für ihn von Vorteil, wenn beispielsweise alle Zeugnisse vorliegen. Aber auch für die Lehrkräfte in den aufnehmenden fünften Klassen kann es nur hilfreich sein, wenn sie frühzeitig auf mögliche Förderbedarfe hingewiesen werden. Und schließlich würde dieses Verfahren auch die Verwaltungsangestellten der abgebenden Schulen entlasten, an denen das Aussortieren der Akten in den meisten Fällen hängen bleibt.

Er schlägt deshalb dem zuständigen Schulamt vor, auch im eigenen Landkreis in dieser Weise vorzugehen. Der fachliche Leiter hält wenig von der Idee. Er führt insbesondere datenschutzrechtliche Bedenken an und beharrt darauf, dass die Akten auch weiterhin zerpflückt und nur das absolut Notwendige weitergegeben wird. Der Kollege bittet die Rechtsabteilung um Klärung des Sachverhalts. 

Die Rechtslage

Das Führen von Schülerunterlagen wird den Schulen durch Art. 85 Abs. 1a Sätze 1 und 3 BayEUG auferlegt: „Für jede Schülerin und jeden Schüler führen die Schulen die für das Schulverhältnis wesentlichen Unterlagen als Schülerunterlagen. (…) Das zuständige Staatsministerium regelt durch Rechtsverordnung insbesondere den Inhalt, die Verwen-dung, vor allem den Zugriff und die Weitergabe, sowie die Art und Dauer der Aufbewahrung der Schülerunterlagen.“

Bei den erwähnten Rechtsverordnungen handelt es sich zum einen um den Teil 5 der Bayerischen Schulordnung  (§§  37-42) und zum anderen um die KMBek Durchführungshinweise zum Umgang mit Schülerunterlagen vom 13. Oktober 2015 (Az. II.1-BS4310.1/1/1/4). Nach § 37 BaySchO gehören zu den Schülerunterlagen unter anderem das Schülerstammblatt; die Abschlusszeugnisse; die Zeugnisse; der Schullaufbahnbogen; die Notenbögen; die Zwischenberichte; die schriftlichen Angaben über bereits durchgeführte Maßnahmen und diagnostische Grundlagen bei Schülern mit besonderem Förderbedarf sowie Unterlagen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz; die schriftlichen Stellungnahmen zum sonderpädagogischen Förderbedarf, insbesondere das sonderpädagogische Gutachten und der förderdiagnostische Bericht; die Förderpläne; die Schülerlisten an Grundschulen und Mittelschulen; alle sonstigen schriftlichen, die einzelne Schülerin oder den einzelnen Schüler betreffenden wesentlichen Vorgänge, die zur nachvollziehbaren und transparenten Dokumentation der Schullaufbahn zwingend notwendig sind.

Für Verwirrung sorgt in diesem Zusammenhang offenbar immer wieder eine Formulierung in § 39 Abs. 1 der Bayerischen Schulordnung. Dort heißt es in den Sätzen 2 und 3: „Bei dem Übertritt von der Grundschule an die weiterführende Schule ist das Jahreszeugnis der Jahrgangsstufe 4 weiterzugeben. Weitere Schülerunterlagen sind im Original oder – soweit nicht mehr im Original vorhanden – als Abschrift weiterzugeben, soweit diese für die weitere Schulausbildung erforderlich sind.“

Manche Schulleitungen nehmen diesen letzten Halbsatz offenbar zum Anlass, die Schülerakten regelrecht zu „entkernen“ und alles zu entfernen, oft verbunden mit der Aussage, man wolle den Kindern einen Neuanfang an der nächsten Schule ermöglichen. Dass dabei auch grundlegende Informationen verloren gehen, wird entweder nicht gesehen oder bewusst in Kauf genommen. 

Die Nachfrage beim KM

Da der Wunsch des Kollegen nach Weitergabe aller Unterlagen nachvollziehbar war, wandte sich die Rechtsabteilung direkt an das Kultusministerium. Wir betonten, dass insbesondere die Kenntnis über Lernstandsdiagnosen, Förderpläne et cetera wichtig seien, damit wir nicht bei jedem Kind neu anfangen müssen. Ebenso halten wir es für wichtig zu wissen, ob das Kind etwa nur einmal zum Nacharbeiten war oder fast jede Woche, von weiteren Erziehungs- oder gar Ordnungsmaßnahmen ganz zu schweigen. Selbst wenn diese mit Datum in der entsprechenden Liste aufgeführt werden, sagt das noch (zu) wenig aus. Dass ein Verweis erteilt wurde, ist  für sich allein eine relativ belanglose Information, solange die Lehrkraft nicht weiß, warum oder wofür der Verweis  erteilt wurde.

Ein Ministerialrat aus dem KM setzte sich daraufhin  mit uns in Verbindung. Wir stimmten überein: Die Formulierung aus der BaySchO, dass Unterlagen weitergegeben werden können „soweit diese für die weitere Schulausbildung erforderlich sind“, lässt im Prinzip sehr viel Freiraum, aber es gibt immer wieder Bedenkenträger, die alles auf  das Notwendigste beschränken wollen, nämlich nur auf das letzte Zeugnis. Der Mitarbeiter des KM stimmte uns aber zu, dass es sich nach dem Bedarf der aufnehmenden (!) Schule richte, was weitergegeben werden muss. 

Präzisierung

Die Aussage aus dem KM hebt eindeutig auf den Bedarf  der aufnehmenden Schule ab. Durch diese Betonung wird zugleich eine Formulierung aus der KMBek hinsichtlich des Schullaufbahnbogens präzisiert: „Unter Nr. 1 sind bereits durchgeführte Fördermaßnahmen, Maßnahmen zum Nachteilsausgleich und /oder Notenschutz oder zur Vorbereitung des Schulübergangs zu vermerken; Angaben über eine  ggf. stattgefundene schulpsychologische Beratung sind  jedoch nicht zulässig (vgl. § 37 Satz 3 BaySchO). Die letzten schriftlichen Bewilligungen zu diesen Maßnahmen sind dem Schullaufbahnbogen als Anlagen anzufügen. Im Rahmen der Abstimmung nach Art. 30 a Abs.1 Satz 3 BayEUG entscheiden die Schulen eigenverantwortlich, ob und inwieweit die Weitergabe dieser Anlagen für die weitere Schulausbildung erforderlich ist.“ Somit lässt sich nun also feststellen, dass es bei Uneinigkeit zwischen abgebender und aufnehmender Schule letztere ist, welche die Entscheidung zu treffen hat.  

Fazit

Nach in der Regel vier Jahren Grundschule – aber auch bei jedem anderen Wechsel zumindest zwischen staatlichen Schulen – ist es essenziell, dass nicht nur ein Bruchteil der über die Schülerinnen und Schüler gesammelten Unterlagen weiter geht, sondern alles. Denn nur so kann sich auch die aufnehmende Schule ein Bild machen und Erkenntnisse darüber gewinnen, mit wem sie es künftig zu tun haben wird.

Der abgebenden Schule kommt hierbei die größere Verantwortung zu, denn sie entscheidet zunächst, welche Unterlagen sie überhaupt aufbewahrt und dann, welche davon sie weitergibt. Es ist aber sachlogisch, dass Unterlagen, die einmal für wichtig befunden wurden, diesen Status nicht durch Weggang eines Kindes verlieren, sondern auch der aufnehmenden Schule dienen können. Immer wieder bei Null zu beginnen, ist pädagogisch kaum sinnvoll.  

Kommentar: Sabotage pädagogischer Arbeit

“Was pädagogisch sinnvoll ist, kann rechtlich nicht unzulässig sein”, war ein Credo des BLLV-Ehrenpräsidenten Albin Dannhäuser und so formulierte es auch die ABJ (Vorgängerorganisation des Jungen BLLV) Mitte der 1990er Jahre auf gelben Aufklebern in roter Schrift. Diese Aussage mag nicht verabsolutierbar und universell anwendbar sein, trifft aber zumindest im vorliegenden Fall den Kern. Wenn Fünftklässler an ihre neue Schule kommen und diese erfährt aus „ausgemisteten“ Schülerunterlagen gerade einmal, wie das Kind heißt und dass es schon einmal eine Schule von innen gesehen hat, dann wird die weitere Arbeit unnötig erschwert.  

Rechtssicherheit durch Aussage des KM

Bei Schülerinnen und Schülern nach mehreren Jahren Schulbesuch teilweise faktisch bei Null zu beginnen, kann weder  im Sinne der Kinder noch der Kollegialität sein und lässt sich auch nicht mit Datenschutz, Elternwillen oder Chance zum Neubeginn überzeugend begründen. Vielmehr grenzt so ein Vorgehen an Sabotage der pädagogischen Arbeit der nächsten Schule. Zumindest zwischen staatlichen Schulen – alle Beteiligten haben die gleichen Schweigepflichten – sollte es daher kein Problem darstellen, alles weiterzugeben, was nicht explizit durch Rechtsverordnung untersagt ist. 

Mit der klaren Aussage aus dem KM, dass die aufnehmende Schule den Bedarf bestimmt, besteht nun auch Rechtssicherheit an den abgebenden Schulen und man muss sich dort  nicht mehr den Kopf zerbrechen, was denn nun im Schülerakt bleiben darf und was nicht. Deshalb, liebe Schulleitungen, habt etwas mehr Mut und Vertrauen in die anderen Schulen: Die werden mit dem Material, das ihr gesammelt habt, bestimmt verantwortungsbewusst im Sinne der Schülerinnen und Schüler umgehen. Nicht nur die, sondern auch eure Verwaltungsangestellten, an denen viel der Aussortierarbeit hängen bleibt, werden es euch danken.  


» zur bayerischen schule #1: Entbürokratisierung



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