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Daten sind cool

Entbürokratisierung bitte! Denn Bürokratie im Schulalltag nervt, weil sie selten pädagogischen Nutzen bringt. Dabei zeigen andere Länder, wie sich mit guten Tools zur Datenerfassung, KI-Unterstützung und Dashboard-Anzeigen Bildungsqualität steigern lässt.

Entbürokratisierung – dass dieses Wort in den Ohren von Lehrkräften, Schul- und Schulamtsleitungen sowie an den Bezirksregierungen derzeit wie eine Verheißung klingt, wer wollte es ihnen verdenken? Ständig sind Daten zu ermitteln, zu verarbeiten, auszuwerten. Vergleichstest hier, Leistungserhebung da, Arbeitszeitnachweise dort. Daten nerven. Weg damit!

Wirklich? Daten könnten durchaus einer vertieften Pädagogik den Weg bereiten. Und sogar der Eigenverantwortlichen Schule. Vorausgesetzt, man geht richtig vor.

Diese fürchterliche Szenerie werde ich nie vergessen: Wochenende, spätnachts, der Boden im Wohnzimmer übersät von Zetteln. Meine Mutter und mein Vater – er war selbst Lehrer – sind zu Hilfe gekommen, sie können diesen Wahnsinn auch nicht fassen. Doch der Albtraum ist real: Als Leiterin einer großen Grund- und Mittelschule bin ich schon wieder auf der Suche nach fehlenden Lehrerstunden. 1.536 müssten bei der verpflichtenden Dokumentation herauskommen, um sieben Stunden geht die Rechnung nicht auf. So lässt sich das dem Schulamt nicht übermitteln. 

Also weiter suchen, nicht schlafen jetzt, nicht ans Unterrichten denken oder ans Schule Leiten. Suchen! Und dann doch wieder die Tricks der kreativen Buchführung anwenden. Die muss ich hier nicht näher ausführen, aber die kennt jeder, der schon mal die gefürchtete Oktoberstatistik zum Beginn eines Schuljahres zu erstellen hatte.  

Und wozu das alles? Läuft doch, die Lehrerinnen und Lehrer arbeiten, niemandem fehlt etwas. Außer mir diese verdammten sieben Stunden. So macht der Beruf keinen Spaß. Niemandem. Auch heutzutage nicht. Und jetzt sieht es auf einmal so aus, als würden wir endlich von diesem Wahnsinn erlöst werden. Weniger Bürokratie! Das rufen vom Ministerpräsidenten abwärts alle. Für die „Entbürokratisierung“ hat der sogar die Stelle eines  Beauftragten der Staatsregierung eingerichtet. Es kommt auch gut an, wenn die Kultusministerin gelobt, weniger Kultusministerielle Schreiben rauszuhauen und auch weniger Daten zu erheben. Kolleginnen und Kollegen an den Schulen auf diese Weise zu entlasten. Anna Stolz hat die Verbände dazu aufgerufen, Vorschläge einzureichen. Über 500 sollen eingegangen sein. Toll. Freut uns. Und was ist draus geworden? Bis jetzt: nichts. 

Aber Moment mal! Vielleicht sollten wir ja gar nicht weniger Daten erheben. Schulforscherin Prof. Dr. Anne Sliwka hat in unserem Gespräch (S. 36) formuliert: „Mehr Daten, mehr Freiheit!“ Für uns in Bayern klingt das wie ein Gedankenexperiment. Aber in Kanada, Singapur, Estland und manch anderem Staat ist es gelebte Realität. Da werden auch ständig Daten erhoben, dort muss aber niemand stundenlang Zettel suchen und Excel-Tabellen ausfüllen, die in dem einen System funktionieren und im anderen nicht. 

Sozioökonomische Hintergründe von Familien, Leistungserhebungen und Bildungsbiografien von Kindern, subjektives Wohlbefinden und objektive Risiken, … – solche Daten sind in den Schulsystemen dieser Länder KI-gestützt und automatisch verarbeitet in sogenannten Dashboards jederzeit verfügbar und vor allem: intuitiv zu handhaben. Wie ein Armaturenbrett im Auto. Im dichten Verkehr erfasst man die Ziffern und Zeiger ja auch auf einen Blick und nicht nach eingehendem Grübeln.   

Wie cool wäre es denn, wenn wir uns nicht wochenlang Daten förmlich aus den Fingern saugen müssten, nur damit irgendwo irgendeine Rechnung aufgeht? Wenn wir Daten hätten, die uns keinen zusätzlichen Aufwand machen und uns stattdessen Zeit verschaffen würden, mit den Ergebnissen und praktischen Erkenntnissen umzugehen, schnell darauf zu reagieren. Wie cool wäre es denn, wenn wir individuelle Lernbiografien von Kindern über alle Schularten und alle Jahrgangsstufen hinweg mit einem Klick zur Hand hätten? Wenn wir wüssten, was genau an Fördereinheiten die 7c gerade jetzt braucht, weil die Kinder diese oder jene Stärken und Schwächen zeigen? Wenn wir von der Schulaufsicht fachlichen Rat einholen könnten, statt nach durchgemachten Statistik-Nächten Rede und Antwort zu stehen.  

Die Lust auf einen sinnvollen Umgang mit Daten ist uns gründlich vermiest worden. Im Moment stimmt es ja: Sie nerven. Dabei könnten sie der Garant sein für professionelles Schulmanagement, evidenzbasierte Schulentwicklung und individuelle pädagogische Arbeit. Aber während auf einem Dashboard in Calgary, Tallinn oder Singapur wieder ein Warnsignal aufleuchtet, weil eine Joana, ein Andrei oder eine Chan immer wieder in Kernfächern fehlen und es jetzt angezeigt ist, gerade auf sie persönlich einzugehen, schrillen bei uns die Alarmglocken: Oh Gott, Daten! Nichts wie weg damit!  

Klar, auf diesen Zettel-Albtraum hat niemand mehr Bock. Aber mit einem aufgeräumten Schreibtisch allein ist auch nichts gewonnen. Ich würde lieber den Traum von der datengestützten Pädagogik wahr werden lassen. Dafür müssten wir aber verstehen: Daten sind cool – wenn wir sie richtig erheben und richtig auswerten. Nämlich geschützt, mühelos und absolut nutzenorientiert. Dann ermöglichen Daten sogar, wofür wir schon lange kämpfen: die Eigenverantwortliche Schule. Hallo, aufwachen! Mehr Daten, mehr Freiheit – das sind zwei Schuhe, die sehr wohl ein Paar ergeben: Sieben-Meilen-Stiefel der Pädagogik.  

>> zur bayerischen schule #1: Entbürokratisierung



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