Gewalt in der Gesellschaft, Gewalt in der Schule – das schlichteste und gefährlichste Handlungsmuster zum Durchsetzen eigener Ziele und zum Lösen von Konflikten ist stärker präsent denn je. Was tun gegen diesen empirisch belegten Trend? Schnell mal ein Gesetz erlassen? Gefragt ist groß angelegte und nachhaltige Unterstützung für diejenigen, die als Vorbilder wirken und Werte vermitteln: die Lehrerinnen und Lehrer.
Immer wieder in den vergangenen Monaten und Jahren gab es Vorfälle, die uns wegen der Brutalität und schieren Unmenschlichkeit der Täter erschüttert haben, die Angst machen. Mit solchen Ereignissen geht eine andere Art der Verrohung einher: ein gesellschaftlicher Diskurs nämlich, der geprägt ist von Schuldzuweisungen, von Hass und Hetze, vom Populismus der schnellen und vermeintlich einfachen Lösungen. Diese Facette der Gewalt erleben wir auch an den Schulen. Sie sind ja die Gesellschaft im Kleinen.
Was ich hier beschreibe, ist nicht meine eigene gefühlte Wahrheit. Zusammen mit unserem Dachverband VBE – dem Verband Bildung und Erziehung – führen wir mit dem Umfrage-Institut forsa seit neun Jahren regelmäßige Befragungen zum Thema „Gewalt an den Schulen“ durch. Und die Tendenz ist deutlich: Rund zwei Drittel der Schulen in Bayern und bundesweit berichten, dass die Gewalt zunimmt und in den vergangenen fünf Jahren Lehrkräfte an ihrer Schule direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. Von Schülern und Eltern, erschreckenderweise aber auch von Kolleginnen und Kollegen oder von Fremden, die gar nichts mit der Schule zu tun haben.
Woher das kommt? Naja, die Kinder und Jugendlichen bekommen doch ungefiltert mit, wie andernorts Konflikte angegangen werden. Da ist zum einen diese Gesellschaft der Polykrisen und eine Öffentlichkeit, in der es kaum noch Leitplanken gibt. Politiker beschuldigen sich bei Gewaltexzessen gegenseitig, statt gemeinsam konstruktiv zu handeln; es fehlt an gegenseitiger Achtung, Empathie und Diskussionskultur. Und da ist zum anderen das häusliche Umfeld, Eltern, die ungute Muster schon zu Hause vorführen.
Und wir an den Schulen erleben dementsprechend vermehrt Kinder, die beleidigen und mobben, die schlagen und treten. Wir werden Zeuge solchen Verhaltens – und immer öfter auch Opfer. Als pädagogische und oft auch psychologisch geschulte Profis wissen wir: Gewalt bei Schülern ist fast immer Ausdruck von „ich weiß mir nicht anders zu helfen“. Entsprechend dankbar reagieren sie, wenn sie Alternativen kennen lernen. Sie verstehen dann durchaus, dass Gewalt alle belastet und für niemanden zu echtem Wohlbefinden führt, zu echten Freundschaften oder zu guten Noten. Und handeln entsprechend.
Genau deswegen brauchen wir Gewaltprävention an den Schulen. Das ist die Lösung – denn wir Lehrerinnen und Lehrer sind es, die beeinflussen können, dass Gewalt nicht zur Standardlösung für Konflikte oder für das Erreichen eigener Ziele wird. Damit die Prävention greifen kann, müssen sich die Kinder aber so früh wie möglich als kompetent und selbstwirksam erleben. Sie müssen Alternativen zur Gewalt einüben können, sie müssen die Chance haben, Werte zu erfahren. Deshalb gehen Gewaltprävention und Demokratiepädagogik Hand in Hand. Und deswegen brauchen wir Bildung für Herz, Kopf und Hand.
Wir wissen sehr genau, was wir brauchen, wenn es darum geht, Lösungen gegen das Problem der zunehmenden Gewalt und Verrohung fest zu etablieren, statt immer nur oberflächlich und hitzig zu diskutieren, wenn wieder etwas Schlimmes passiert ist. Zuallererst darf Gewalt an der Schule kein Tabuthema mehr sein. Wir müssen offen darüber reden. Zugleich müssen wir eine demokratische Schulkultur etablieren, aufgebaut auf erprobter Demokratiepädagogik. Eingeführt werden müssen auch konkrete Präventionsmaßnahmen wie Anti-Aggressions-Trainings. An den einzelnen Schulen brauchen wir multiprofessionelle Teams, Schulpsychologen, Beratungslehrerinnen und -lehrer sowie Schulsozialarbeit – was wir als BLLV schon lange fordern.
Gleichzeitig müssen wir als Lehrerinnen und Lehrer unserer Rolle als Vorbilder gerecht werden. Ebenso wie die handelnden Akteure in der Politik. Das Thema muss in die Mitte der Gesellschaft rücken und in die Mitte der Schulen. Dafür müssen Zeit und Ressourcen bereitgestellt werden. Es geht um unsere Zukunft. Wenn wir die Problematik der zunehmenden Gewalt bewältigen wollen, müssen wir uns entscheiden: Finden wir es richtig, einfach mal schnell ein Gesetz zu ändern? Oder wollen wir die Gesellschaft auf einen richtigen Weg führen, auch wenn das nicht unmittelbar vorzeigbare Erfolge bringt? So viel ist sicher: Aktionismus hilft nicht. Der leichte Weg wird schnell zum härtesten.