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Diskussion um Stundentafel: Mehr Mathe und Deutsch - weniger Kunst, Musik, Englisch und Werken? Startseite Topmeldung
Individuelle Förderung Bildungsgerechtigkeit Bildungsqualität Differenzierung Leistungsdruck Schülerzentriert

"Wir wollen ganzheitliche Bildung - kein Streichkonzert!"

In der Pressekonferenz am 27. Februar verkündete die bayerische Kultusministerin zusätzliche Mathematik- und Deutschstunden an den Grundschulen. An anderer Stelle soll gestrichen werden. Im Interview mit den BR24 Nachrichten hält Simone Fleischmann dagegen.

Angesichts der Ankündigungen des Kultusministeriums begrüßt der BLLV zwar eine Stärkung der Kernkompetenzen, insbesondere Mathematik und Deutsch, kritisiert aber ein „Streichkonzert“ zulasten ganzheitlicher Bildung und fordert eine Stärkung der Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen!

Im Interview mit den BR24 TV-Nachrichten betont BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: „Ein Kind muss natürlich lesen können, es muss rechnen können, es muss zuhören können und es muss schreiben können. Aber es gibt noch andere Kompetenzen und der BLLV kämpft für ganzheitliche Bildung.“

Herz, Kopf und Hand - es braucht weiterhin alles!

„Was ist denn ganzheitliche Bildung? Lernen mit Kopf, mit Herz und mit Hand! Und da sehen wir es natürlich kritisch, dass gerade an den Fächern Kunst, Musik, Englisch und Werken womöglich gestrichen wird. Eine Fokussierung auf die Basiskompetenzen ist wichtig. Aber jetzt sind wir sehr gespannt, wie es im Laufe der Diskussion weitergeht. Wir würden uns gerne einbringen, weil eigentlich kann nichts gestrichen werden. Kinder brauchen mehr, mehr Förderung, mehr Bildung und mehr Ganzheitlichkeit und nicht weniger“, erläutert Simone Fleischmann.

Mehr und besserer Unterricht – mitten Im Lehrkräftemangel?

Doch abseits fragwürdiger Prioritätensetzung gibt es bei der Umsetzung ohnehin ein ganz konkretes Problem, stellt die BLLV-Präsidentin klar: „Die Lehrkräfte fallen leider nicht vom Baum. Wir müssen alles dafür tun, dass der Lehrberuf wieder attraktiver wird. Wie wird er denn attraktiv? Dann, wenn wir nach der Arbeit wieder erfüllt nach Hause fahren, wenn wir erfüllt im Unterricht sind, wenn wir ‘Good Stories‘ erzählen können und wenn ich Ihnen dann hier erzählen kann, dass es der schönste Beruf ist, den es gibt. Denn es ist der schönste Beruf. Wir brauchen aber die Rahmenbedingungen dafür. Dann sind die Lehrerinnen und Lehrer glücklich, die Kinder glücklich und die Eltern auch“, so Fleischmann weiter.

Zum Glücklichsein gehört aber auch ein Quantum Freiheit an den Schulen, damit diese nach ihren Möglichkeiten und nach ihrer Expertise den Unterricht vor Ort bestmöglich und auf ihre Situation zugeschnitten gestalten können. Aber sind dann nach der vierten Klasse beim Übertritt überhaupt gleiche Voraussetzungen da für die Kinder?

Danach gefragt sagt die BLLV-Präsidentin: „Wissen Sie, es ist jetzt schon nicht jede Grundschule gleich. Wir müssen von diesem Gleichheitsgedanken Abstand nehmen. Flexibilisierung und Eigenständigkeit haben wir jetzt schon und die müssen wir auch haben. Jede Schule muss die Löcher dort stopfen, wo gerade Löcher sind. Wir stecken mitten im Lehrermangel, wir stecken in einer Migrationsdiskussion, wir haben erhöhte Anforderungen an die Schule, wir wollen die Basiskompetenzen und die Ganzheitlichkeit fördern und es ist einfach jede Schule anders. Dumm ist nur, dass wir einfach zu wenige sind und jetzt sollen wir – mal flapsig gesagt - vor Ort die Karre aus dem Dreck ziehen. Das ist nicht gerade einfach.“

Ist der jetzt beschlossene Umbau der Stundentafel überhaupt leistbar?

Das gilt eben auch für die immer wieder festgestellten Probleme bei den Basiskompetenzen, die ja gerade auch eine Folge des dauernden Lehrkräftemangels sind. In diesem Spannungsfeld geben Lehrkräfte ohnehin alles, schildert Simone Fleischmann: "Wir leisten all die Herausforderungen jetzt schon. Alle Kolleginnen und Kollegen stehen zusammen und wir werden im Dialog mit der Ministerin alles geben. Es geht jetzt auch darum, wie wir uns längerfristig aufstellen. Es kann nicht sein, dass die Kinder weniger Werken haben. Es kann nicht sein, dass die Kinder nicht mehr Englisch lernen. Und wir vor Ort sollen jetzt streichen, was gerade so geht. Längerfristig geht es an die Lehrpläne. Längerfristig müssen wir kämpfen für ganzheitliche Bildung in Bayern." Ganzheitliche Bildung bedeutet dabei eben Lernen mit Herz, Kopf UND Hand - weswegen mit Blick auf Letzteres insbesondere eben nicht beim Werken und Gestalten gestrichen werden sollte!

Dabei ist der BLLV-Präsidentin ein Aspekt besonders wichtig: "Das gilt auch für den Religionsunterricht", betont Fleischmann. "Viele fragen jetzt, ob drei Stunden Religionsunterricht sein müssen und ob nicht eine oder zwei Stunden reichen. Aber es geht hier nicht um die Stundenanzahl. Hier geht es um Wertebildung. Es geht um Demokratiebildung. Wir könnten auch mit den Kleinsten schon politische Bildung machen. Wir brauchen Zeit für die ganze Persönlichkeit eines Kindes. Und Kinder sind mehr als Lesen, Rechnen und Schreiben. Das müssen sie können. Aber dann erwarten wir noch wesentlich mehr. Und das könnte man wunderbar in einem qualitativ veränderten Religionsunterricht tun. Also da darf man dann auch nicht kürzen, sondern wir müssen überlegen, wie wir die Bildung aufstellen“, fordert die BLLV-Präsidentin.
 

TV-Interview bei BR24 in voller Länge



Medienberichte

Das schreibt die Passauer Neue Presse im Wortlaut:

"Während der Bayerische Musikrat die Pläne als „verheerend für die Entwicklung unserer Kinder“ bezeichnet, wehrt sich auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) gegen ein „Streichkonzert“ bei den musisch-kreativen Fächern. Verbandspräsidentin Simone Fleischmann begrüßt im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern zwar grundsätzlich die Stärkung der Kernkompetenzen, fordert aber die ganzheitliche Bildung dabei nicht aus den Augen zu verlieren. „Lernen mit Kopf, mit Herz und mit Hand“, gibt sie daher als Devise aus."
 


Das schreibt BR 24 im Wortlaut:

"Simone Fleischmann, die Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), sagte in BR24 zu den Plänen für die Grundschule: "Es kann nicht sein, dass Kinder nicht mehr Werken haben, es kann nicht sein, dass die Kinder nicht mehr Englisch lernen, und wir vor Ort sollen jetzt streichen, was gerade so geht. Das ist erst mal eine gute Lösung, aber längerfristig geht es an die Lehrpläne, längerfristig müssen wir kämpfen um ganzheitliche Bildung in Bayern."
 


Simone Fleischmann im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur


Für die Berichterstattung über die "PISA-Offensive" des bayerischen Kultusministeriums bittet Deutschlandunk Kultur Simone Fleischmann um eine Einschätzung. Die BLLV-Präsidentin äußert sich wie folgt im Wortlaut:

Über den Ansatz der „PISA-Offensive“:

Diskussionen über Streichungen bringen uns gerade im Bereich der Kompetenzsteigerung Lesen, Rechnen, Schreiben nicht weiter. Das heißt, alles, was man jetzt irgendwie umschichtet, ist am Schluss nicht besser. Denn die Tischdecke ist insgesamt zu klein. Wir haben Lehrermangel und insgesamt zu viele Herausforderungen. Das heißt, all diese Ideen, wie man da jetzt umschichtet und was man wohin packt, werden am Schluss daran scheitern, dass wir zu wenige Lehrer haben, zu wenige Angebote und auch zu wenig individuelle Förderung.

Geht es um Noten oder um Bildung?

Wir haben hier in Bayern leider ein stark selektives Schulsystem, das stark leistungsorientiert ist. Und mir scheint es bald so, als ob die Fächer, die keine Noten bringen, in denen man keine Schulaufgaben schreibt, irgendwie auch nichts wert sind. Ich war 15 Jahre lang selber Schulleiterin in einer großen Grund- und Mittelschule. Da hast du natürlich erstmal geguckt, dass die Kleinen versorgt sind, dann hast du lieber die Großen heimgeschickt, wenn Lehrkräfte fehlten, dann hast du die Förderung gestrichen mit nur zwölf Kindern, weil du 26 andere Kinder ohne Klassenleitung dastehen hattest. Dann hast du überlegt: Mein Gott, könnte nicht jetzt vielleicht die Kunstlehrerin lieber noch Mathe fördern, damit die Kinder da noch weiterkommen? Wir sind also leider trainiert im Löcher stopfen…

Warum der Modus „Löcher stopfen“ nur noch mehr Löcher reißt:

Die größte Problematik ist also die, dass wir Löcher stopfen und dass wir in der Grundschule hier in Bayern seit Jahren jetzt schon auf diesen Krisenmodus fahren. Und deswegen gibt es nur eine Forderung an die Politik. Und die heißt: Wir müssen die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen stärken, sonst gehen noch mehr in die Dienstunfähigkeit. Und sonst studieren es noch weniger. Das heißt, man muss sich immer bewusst sein, wo man jetzt kürzt oder wo man was wegnimmt, wo man den Kindern was wegnimmt oder den Lehrern was wegnimmt – das zahlt alles nicht auf die Attraktivität dieses Berufes ein.

Warum es kontraproduktiv ist, die ganzheitlichen Fächer zu kürzen:

Wir haben hier bei uns in unserem Lehrerverband einen Lernbegriff, einen Bildungsbegriff nach Pestalozzi. Das ist nun mal bekanntlich Lernen mit Herz, mit Kopf und mit Hand. Also sind wir diejenigen, die sagen: Verdammt noch mal, es kann doch nicht wahr sein, dass genau die Fächer jetzt optional werden, die den Kindern Spaß machen, die zur Ganzheitlichkeit beitragen, die auch mal was Praktisches sind. Es ist schon wichtig, dass Kinder Deutsch und Mathematik können. Das wissen wir. Aber wie viel Spaß haben Kinder oft im Sportunterricht? Wie viel Energie ziehen sie aus einem tollen Musikunterricht? Wie schön ist es, ein Werkstück zu Hause herzuzeigen und zu sagen: ‘Schau mal, das habe ich gemacht.‘ Und das motiviert mich dann auch, in eine Deutschförderung zu gehen. Das motiviert mich dann auch, in Mathematik ein bisschen was Härteres zu trainieren, was ich vielleicht nicht so gut verstanden habe. Deswegen sind wir gegen jegliche Schwächung der ganzheitlichen Bildung. Denn dazu gehören genau diese Fächer wie Kunst, Musik und Werken. Wir fordern: Weg von diesem Streichkonzept, hin zur ganzheitlichen Bildung. Dafür brauchen wir mehr Stunden und nicht weniger Stunden.

Wie es gelingen kann, junge Menschen für den Beruf zu begeistern:

Die Tischdecke wird nur dann größer, wenn wir alle miteinander dazu beitragen, dass Schule für Kinder, für Lehrer und für Eltern wieder ein Ort wird, in dem es schön ist - ich sage das mal ganz blumig. Lehrerinnen und Lehrer, die aus dem Unterricht rausgehen und sagen: ‘Ja, es ist halt einfach der schönste Beruf!‘ Du hast mit den Kindern viel geschafft. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind ja prinzipiell die besten Werbeträger. Wenn wir dahin kommen, dass wir Good Stories erzählen können, dann sagt sich ein junger Mensch: ‘Ich war ja selber in der Schule, ich weiß ja, wie es da so ist, und jetzt merke ich auch, dass die Lehrer echt zufrieden sind, dass man Förderung bekommt, dass es AGs gibt, dass Schule halt auch ein ganz wichtiger gesellschaftlicher Ort ist. Und ich mache das jetzt auch!‘ Also: Die Tischdecke wird größer, indem wir die Attraktivität dieses Berufs stärken – und das geht nur, indem die jetzige Kernmannschaft gestärkt wird, damit sie überzeugt für diesen Beruf werben kann.

» zum Bericht auf Deutschlandfunk Kultur: "'PISA-Offensive' an bayrischen Grundschulen – Kreativität wird gekürzt"
 


Das schreibt Chiemgau 24 im Wortlaut:

"Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayrischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) sieht das Problem ebenfalls beim Lehrermangel. Die Attraktivität des Lehrerberufes müsse gesteigert werden. Sie hofft, dass Kultusministerin Stolz das „Piazolo-Paket“ abschafft. Dieses trat 2020 unter Kultusminister Michael Piazolo in Kraft. Unter anderem wurde darin das Sabbatjahr für Lehrer abgeschafft, die Arbeitswochenstundenzahl erhöht und die Möglichkeit, in Teilzeit arbeiten zu können, beschränkt.

Eins sei Fleischmann wichtig: 'Es darf kein Fach hinten runterfallen', sagt sie. Denn auch die kreativen Fächer seien für die Schüler wichtig. 'Kinder bestehen nicht nur aus Deutsch und Mathe – sie müssen sich kreativ austoben können, ansonsten verlieren sie die Lust an der Schule.'“

 


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