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Statement von Prof. Dr. Theresa Summer, Fachdidaktik Englisch, Otto-Friedrich-Universität Bamberg Startseite Topmeldung

Sechs Gründe, warum der Englischunterricht an Grundschulen gestärkt werden sollte

Die schlechten PISA-Resultate in Deutsch und Mathematik haben Diskussionen um eine Kürzung von Fächern aufgeworfen – auch des Englischunterrichts. Muss ich erst gut Deutsch können, bevor ich Englisch lernen kann? Die Antwort ist simpel: Nein!

Warum sollte der Englischunterricht an Grundschulen besser gestärkt als gekürzt werden? Prof. Dr. Theresa Summer von der Fachdidaktik Englisch an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg stellt sechs Gründe vor: Wir brauchen mehr Englisch in der Grundschule!

1. Weil der Englischunterricht Sprachkompetenzen (und mehr) grundlegend vorantreiben kann!

Jüngste Studien zum Effekt von Englischunterricht an Grundschulen deuten darauf hin, dass ein früher Beginn durchaus erfolgsversprechend ist. Die jüngst publizierte Studie von Raphaela Porsch et al. (2023) zeigt beispielsweise, dass Lernende, die gar vor der 3. Klasse mit Englischunterricht begonnen haben, über ein besseres Lese- und Hörverstehen verfügen als Lernende, die später bzw. ab der 4./5. Klasse mit Englischunterricht begonnen haben. Darüber hinaus wissen wir von Forschungsarbeiten zum Pilotprojekt „Bilinguale Grundschule“ in Bayern, dass insbesondere noch mehr und bilingualer Englischunterricht an der Grundschule das Deutsch nicht verschlechtert und sogar zu besseren Leistungen führen kann und zwar: im Fach Mathematik. Somit ist es an der Zeit, nicht nur in Bayern, sondern deutschlandweit ein fundiertes Gesamtkonzept und Standards für den frühen Englischunterricht zu entwickeln. Englisch muss sich als zentrales Fach an der Grundschule etablieren und dabei fächerübergreifende Ansätze integrieren und bilinguale Programme systematisch an Schulen etablieren.

2. Für mehr Frieden in Europa und auf der Welt!

In der Grundschule können im Rahmen des Englischunterrichts, der die sprachliche und sozio-kulturelle Vielfalt unserer Kinder in den Blick nimmt, erste Schritte zur Anbahnung inter- und transkultureller kommunikativer Kompetenzen vollzogen werden. Eine Kürzung des Englischunterrichts würde demzufolge bedeuten, dass Lernende weniger Gelegenheiten erhalten würden, ihre eigenen Sprachkenntnisse zu reflektieren und im Rahmen eines spielerischen Umgangs lernen, aufgeschlossen aufeinander zuzugehen. In heutigen Grundschulklassen hat durchschnittlich ca. jedes zweite bis dritte Kind einen Migrationshintergrund und wächst potenziell mehrsprachig auf. Diese sprachlichen und kulturellen Ressourcen muss der Englischunterricht aufgreifen. Der Englischunterricht ist konzeptionell gar darauf ausgerichtet, Lernende zu befähigen, sich als tolerante, aufgeschlossene und demokratische Personen zu entwickeln, und daher braucht ein kulturell vielfältiges Klassenzimmer einen früh beginnenden Fremdsprachenunterricht Englisch, der Mehrsprachigkeit grundlegend wertschätzt und durch das gemeinsame Erlernen der Weltsprache Englisch die Förderung von Toleranz und Miteinander in den Vordergrund rückt.  

3.  Für mehr Nachhaltigkeit!

Der Englischunterricht befindet sich in der fachdidaktischen Forschung auf einem Weg hin zu globalem Lernen, wo Themen rund um Nachhaltigkeit in den Vordergrund gerückt werden und Lernende zu aktivem Handeln angeregt werden. Dabei geht es beispielsweise bei dem Einführen von Wortschatz und Chunks nicht um rein sprachliche Funktionalität, sondern auch um das Erlernen relevanter Wörter rund um Natur und Nachhaltigkeit. Für die Praxis heißt das, dass Kinder nicht nur Pflanzennamen lernen, sondern auch etwas über das Anpflanzen von Bäumen oder einen Einblick erhalten in Kinderrechte und ein friedliches Miteinander. Fächerübergreifende Vorhaben können hier besonders zielführend sein und der Englischunterricht spielt dabei eine zentrale Rolle für die Entwicklung globaler Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen.  

4. Weil Englisch in einer Kultur der Digitalität Realität des alltäglichen Lebens ist!

Kinder in der Grundschule sind durch popkulturelle Einflüsse und digitalen Technologien wie Smartphones und Tablets häufig sehr früh der englischen Sprache ausgesetzt. Sie hören englischsprachige Poplieder, die sie anfangs nicht verstehen, „liken“ eine Chat-Nachricht, benutzen „Apps“ und sehen gar dem großen Geschwisterkind über die Schulter, während sie oder er ein englisches TikTok-Video ansieht. Dass Lehrkräfte an der Lebensrealität der Lernenden andocken sollten, ist ein unumstrittenes fachdidaktisches Prinzip. Der Englischunterricht an der Grundschule kann darauf eingehen und eine kritische Reflexion anbahnen, wenn beispielsweise Ausdrücke wie „What the f!“ mit nachhause gebracht werden und Kinder keine Ahnung haben, was dies bedeutet. Insofern fordert eine Kultur der Digitalität eine ernsthafte und frühe Auseinandersetzung mit Englishes, um Lernende in ihrer mehrsprachigen Lebensrealität zielführend zu begleiten.

5. Damit internationale Wirtschaftsbeziehungen weiter gedeihen können!

Englisch ist eine Weltsprache, die nicht nur in über 60 Ländern eine offizielle Amtssprache, sondern darüber hinaus eine zentrale Sprache der Weltwirtschaft und Politik ist. Deutschland und insbesondere auch Bayern weisen sich als wirtschaftsstarkes Land bzw. Bundesland aus. Internationale Kontakte sind dabei in sämtlichen Betrieben essenziell und werden von Unternehmen grundlegend häufig vorausgesetzt. Kinder früh mit einer Weltsprache in Kontakt zu bringen sollte für alle Bundesländer Deutschlands eine Selbstverständlichkeit sein, die insbesondere eine fachlich fundierte Ausbildung von angehenden Lehrkräften erfordert – eine zentrale Aufgabe der bayerischen Universitäten.

6. Für kompetente und motivierte Lernende an weiterführenden Schulen!

Im Grundschulalter sind Kinder größtenteils sehr aufgeschlossen, eine neue Sprache zu lernen. Sie scheuen sich nicht davor, neue Laute wie das „th“ auszuprobieren und dabei auch Fehler zu machen – Dinge, die essenziell sind für den Fremdsprachenerwerb. Dementsprechend müssen wir junge Kinder möglichst früh an Englisch heranführen, damit sie nicht nur notwendige Grundlagen und Kompetenzen für weiterführende Schulen erwerben können, sondern auch möglichst positiv und motiviert an das Erlernen weiterer Sprachen herantreten können. Anders gesagt: Stellen wir uns vor, ein Kind lernt erst in der 5. Klasse (mit zehn!) auf Englisch bis zehn zu zählen und seinen Namen zu sagen? Dass das international betrachtet beschämend wäre, müssen wir an dieser Stelle offen aussprechen.

Zusammengefasst:
Die vorliegenden sechs Gründe bezeugen die Wichtigkeit einer Stärkung des Englischunterrichts – insbesondere wegen der schlechten PISA-Resultate im Fach Deutsch und Mathematik. Das Einführen englischsprachiger Routinen im Unterricht, bayernweite bilinguale Programme, gut qualifizierte Lehrkräfte und ein möglicherweise noch früherer Beginn des Englischunterrichts wäre die Antwort auf die Frage, wie bessere Leistungen unserer Lernenden grundlegend an Schulen erzielt werden können. Wir müssen die Lage ganzheitlich betrachten und dürfen nicht Fächer gegeneinander ausspielen oder gar Schulen selbst überlassen, ob sie Englisch kürzen oder nicht. Ein derart zentrales Fach hat nicht nur eine Berechtigung, sondern kann in aktuellen politischen Krisen in Europa eine nicht zu unterschätzende Rolle für eine stabile und friedliche Zukunft Europas spielen.

Prof. Dr. Theresa Summer (Foto (c) Benjamin Herges)

Juniorprofessur für Fachdidaktik Englisch
Jr.-Prof. of Teaching English as a Foreign Language (TEFL)
Qualitätsoffensive Lehrerbildung



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