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Der Dialog mit allen Beteiligten ist der richtige Weg Startseite Topmeldung
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Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel: Gesunde Lehrkräfte müssen im Mittelpunkt stehen

München – Der Lehrkräftemangel an Bayerns Schulen wird inzwischen auch von der Politik und der Bayerischen Staatsministerin für Unterricht und Kultus Anna Stolz offiziell anerkannt. Jetzt wurde vom Kultusministerium auch ein Gesamtkonzept Unterrichtsversorgung für das Schuljahr 2025/2026 vorgelegt. Dabei werden folgende Handlungsfelder benannt: „Gewinnung zusätzlichen Personals“, „Nutzung des Potentials des Bestandspersonals“ und „Absenkung von Personalbedarfen“. Der zuvor eingeschlagene Weg, alle Beteiligten in einem Dialogprozess mitzunehmen, wird vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ausdrücklich begrüßt. Die vom Ministerium getroffenen Entscheidungen sind allerdings differenziert zu bewerten. Völlig vergessen wurden dabei auch wieder einmal die Fach- und Förderlehrkräfte.

Simone Fleischmann, die Präsidentin des BLLV, betont: „Die Offenheit und der Dialogprozess der Ministerin sind ausdrücklich zu loben. Die einzelnen Maßnahmen sind allerdings sehr unterschiedlich zu werten. Im Vordergrund müssen die gesunde Lehrkraft und die Attraktivität des Berufs stehen. Dies sehen wir bei weitem nicht in allen Maßnahmen gegeben. Denn eines ist klar: Mitten im größten Lehrkräftemangel leisten die Kolleginnen und Kollegen an Grund-, Mittel- und Förderschulen schon seit Jahren ihren weit über die Belastungsgrenze gehenden Beitrag.“ 

Gewinnung zusätzlichen Personals

Die Maßnahmen zur Gewinnung zusätzlichen Personals sind sehr zu loben. Informationsangebote, Werbekampagnen, Beratungsangebote und gezielte Information von Abiturientinnen und Abiturienten – wie im Konzept benannt – gehören in Zeiten des Fachkräftemangels auf die Agenda aller Betriebe und besonders des Öffentlichen Dienstes. Vieles davon wurde jahrelang vernachlässigt – jetzt haben die jahrelangen Forderungen des BLLV endlich Gehör gefunden.

Hochwertiger Quereinstieg, Zweitqualifikationen, Nachqualifikationen oder Entfristungsprogramme sind ebenfalls Teil des Konzepts zur Personalgewinnung. Diese müssen allerdings gleichberechtigt für alle Schularten laufen. Ein Ausstechen um Personal unter den Schularten muss vermieden werden. Der BLLV fordert deshalb, die vollständige Besoldungsgerechtigkeit für die Grund- und Mittelschullehrkräfte mit der Umsetzung von „A13“ schon zum nächsten Schuljahr vorzunehmen. Nur dann kann die Verteilung des neu zu qualifizierenden Personals auf Augenhöhe zwischen den Schularten geschehen.

Nutzung des Potentials des Bestandspersonals

Die Nutzung des Bestandspersonals ist der erste große Knackpunkt dieses Gesamtkonzepts. Teilzeitkräfte haben Gründe dafür, weniger Stunden zu arbeiten. In der Regel sind dies immer noch die eigenen Kinder, die betreut oder die eigenen Eltern, die gepflegt werden müssen. Der Erhalt der familienpolitischen Teilzeit ist deshalb ein sehr hohes Gut. Außerdem sind diese Kolleginnen und Kollegen oft bereit, im Notfall für „ihre“ Schule und für „ihre“ Kinder auch während des Schuljahres das Stundenmaß aufzustocken. Die Bereitschaft zur freiwilligen Mehrarbeit ist aber kein Selbstläufer. Denn oft fehlt den Lehrerinnen und Lehrern die Planungssicherheit, wann und wo sie arbeiten. Die Kommunikation könnte in diesem Bereich weiter verbessert werden – dann würden Lehrkräfte oft auch ein höheres Stundenmaß wählen.

Im Gymnasium hat man in den letzten Jahren mit einem Mehr an Personal schon vorgebaut. In den letzten Jahren wurden vorausschauend jeweils alle Bewerberinnen und Bewerber eingestellt. Das hilft nun bei der Bewältigung der Schülermehrung durch das neunjährige Gymnasium „G9“. 

Wenn man, wie im Konzept geplant, ältere Kolleginnen und Kollegen länger im Dienst halten möchte, dann muss man die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass die Lehrerinnen und Lehrer auch gesund bleiben. Die Statistik sieht leider anders aus. Nur noch 12,75 Prozent der Kolleginnen und Kollegen erreichen an ihren Schulen im Grund- und Mittelschulbereich die Altersgrenze. Gleichzeitig geht ein Drittel wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand. „Aus den älteren Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen der Notmaßnahen des Piazolo-Pakets 2020 schon bis aufs Letzte ausgebeutet wurden, kann man jetzt wirklich nicht noch mehr rausholen“, kommentiert dazu Simone Fleischmann.

Die Gesundheit der Lehrkräfte ist ausschlaggebend

Alle Einschränkungen im dienstlichen Bereich betreffen bisher nur die Grund-, Mittel- und Förderschulen. Dazu gehören Beschränkungen der Teilzeitmöglichkeiten oder des Antragsruhestands, sowie die Einschränkung von Freistellungsmodellen. Gleichzeitig haben diese Maßnahmen vor allem zu mehr begrenzter Dienstfähigkeit und zu einer höheren Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit geführt. Für den BLLV ist weiterhin das höchste Ziel, diese Notmaßnahmen aus dem Jahr 2020 zurückzuführen und auf die Gesundheit der Lehrkräfte zu achten. Gleichzeitig sollte die Belastung auf alle Schularten gleichmäßig verteilt werden. Gegenseitige Unterstützung tut in solchen Zeiten Not.

Die im Konzept des Kultusministeriums benannte Maßnahme, arbeitsmarktpolitische Beurlaubungen in Zukunft nicht mehr zu genehmigen, ist darüber hinaus hinfällig. Die Möglichkeit arbeitsmarktpolitischer Beurlaubungen wurde in allen Schularten schon mit dem „Modernisierungsgesetz 2“ aus dem Beamtengesetz gänzlich gestrichen.

Attraktivität des Lehrberufs erhalten und erhöhen

Die geplante zukünftige Wiedergenehmigung von Sabbatmodellen in allen Schularten ist ein wichtiger Schritt für die Attraktivität des Lehrberufes und auch für die Unterrichtsversorgung. Junge Leute würden beispielsweise seltener ein „Aussetzjahr“ zwischen Studium und Referendariat einlegen. Andere Kolleginnen und Kollegen könnten nach einigen Dienstjahren einmal aussetzen, um wieder Kraft zu tanken und Ältere könnten gesund in den Ruhestand treten. Damit wäre eine wichtige Zusage der Kultusministerin von ihrem Amtsantritt umgesetzt.

Das Arbeitszeitkonto trifft im aktuellen Konzept leider weiterhin die Grundschullehrkräfte alleine. Hier muss es endlich eine gesetzeskonforme Lösung geben – insbesondere nachdem der BLLV erfolgreich gegen die bisherige Form des Arbeitszeitkontos vor dem Verwaltungsgerichtshof geklagt hatte. Sicherlich wird eine Gruppe von Lehrkräften hier noch ein bis zwei Jahre ein Arbeitszeitkonto ansparen müssen. Es muss aber sichergestellt werden, dass die erste Gruppe von Lehrkräften, für die die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gilt, einen schnellen Ausgleich erhält und alle anderen die Zusicherung bekommen, nicht zwangsweise in anderen Schularten eingesetzt zu werden.

Absenkung von Personalbedarfen

Das Paket „Absenkung von Personalbedarfen“ bringt einige – teils unauffällige – Maßnahmen mit sich, die es aus Sicht des BLLV durchaus in sich haben: Klassenstärken erhöhen, Stundentafel kürzen, verbundbezogene Klassenbildung ausnützen und Einiges mehr. Alle diese Maßnahmen senken nicht nur die Bildungsqualität, sondern belasten wieder die Lehrkräfte, die ohnehin schon sehr hoch belastet sind. Und bei der geplanten Kürzung von Anrechnungsstunden muss klargestellt werden, dass diese keine Wohltat des Dienstherrn sind, sondern den Lehrkräften über diese Stundenzuweisung ermöglichen, neben dem Unterricht bestimmte andere Tätigkeiten für den Dienstherrn auszuführen. Wenn hier gekürzt wird, muss auch das Engagement der betroffenen Kolleginnen und Kollegen zwangsläufig zurückgehen. Weniger Anrechnungsstunden bedeutet natürlich auch, weniger Zeit für die zusätzlichen Aufgaben. Und hier Abstriche vorzunehmen, nachdem sämtliche Teilzeitanträge für das nächste Schuljahr schon abgegeben wurden, spricht nicht für ein vertrauensvolles Miteinander.

Freiwilligkeit als wichtigste Leitlinie

Grundsätzlich ist der Weg, auf freiwillige Maßnahmen im dienstrechtlichen Bereich zu setzen und einen Mix aus verschiedenen Ansätzen heranzuziehen, der richtige. Die Freiheit und die Rückendeckung für die Kolleginnen und Kollegen zur Umsetzung dieser Maßnahmen, muss vom Kultusministerium kommen. Flexible Lösungen für die Schulen mit dem sogenannten „Werkzeugkasten“ und mit der Möglichkeit, dem Personal entgegenkommende Lösungen zu finden, müssen deutlicher hervorgehoben werden. „Es wurde Zeit, dass dieses Gesamtkonzept endlich erscheint und die Schulfamilie etwas mehr Planungssicherheit für das nächste Schuljahr bekommt. Für die Zukunft, vor allem beim Lehrkräftemangel in der Mittelschule, müssen aber bald weitere Dialogprozesse laufen und gemeinsam Lösungen gefunden werden“, betont Gerd Nitschke, 1. Vizepräsident des BLLV.

Endlich Verbesserungen bei Fach- und Förderlehrkräften

Und noch etwas muss endlich in die Planungen einfließen: Nämlich die Situation, die Arbeitsbedingungen und die Ausbildungssituation der Förder- und Fachlehrkräfte. Hätten wir genug Förderlehrkräfte könnten Grund- und Mittelschullehrkräfte wieder verstärkt den Kernunterricht übernehmen. Bei Fachlehrkräften sieht es ähnlich aus: Grund- und Mittelschullehrkräfte müssen heute Fachunterricht geben, anstatt in ihren studierten Fächern eingesetzt zu werden. Attraktivität, Werbung und alle weiteren Maßnahmen für die verschiedenen Schularten müssen auch auf diese Professionen übertragen werden. Bessere Arbeitsbedingungen, eine höhere Besoldung und mehr Studienplätze in allen bayerischen Regionen sind die Forderungen des BLLV. 

Das Resümee der BLLV-Präsidentin: „Die Attraktivität des Berufs kann nur gesteigert werden, wenn endlich wirksam entbürokratisiert wird, wenn im Unterricht auf Kernkompetenzen fokussiert wird, wenn die Prüfungskultur an den Schulen verändert wird und wenn wir endlich weniger Projekte und Aufgaben an den Schulen haben anstatt immer nur mehr – es geht um das Streichen von Aufgaben und nicht um immer weitere neue Vorhaben und Pflichten für die Kolleginnen und Kollegen. In Zeiten des Lehrkräftemangels an allen Schularten geht es mit Blick auf die Lehrkräftegesundheit jetzt an den Schulen um die Pflicht und nicht um die Kür!“


Die Regelungen des Bayerisches Staatsministeriums für Unterricht und Kultus im Detail:
» "GESAMTKONZEPT: Unterrichts- und Personalversorgung im Schuljahr 2025/2026"
 

Medienberichte

Simone Fleischmann im Wortlaut in der Süddeutschen Zeitung:

"Aus den älteren Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen der Notmaßnahmen des Piazolo-Pakets 2020 schon bis aufs Letzte ausgebeutet wurden, kann man jetzt wirklich nicht noch mehr rausholen."

Die SZ zur Auswirkung größerer Klassen und der fehlenden Reaktion auf das Urteil gegen Mehrarbeit für Grundschullehrkräfte:

“Fleischmann kritisiert zudem, dass Einschnitte wie größere Klassen ebenfalls zu Lasten der Lehrer gehen. Und dass noch ungeklärt ist, wie das Kultusministerium die vom Verwaltungsgerichtshof als rechtswidrig eingestufte Stunde Mehrarbeit des Piazolo-Pakets für Grundschullehrkräfte ausgleichen will.”