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Sprachstandsscreening im Praxistest – Ein Kommentar Startseite Topmeldung
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„Das kann heiter werden“: Irritierende Fortbildung zu den Sprachstandstests

Ein Erlebnisbericht von Katharina Rottler, Beratungslehrerin sowie 3. Vorsitzende und Stv. Geschäftsführerin im BLLV Mittelfranken zu ihrer ersten Erfahrung mit BaSiS, dem Bayerischen Screening des individuellen Sprachstands.

Am 3. Februar habe ich an der ersten „BaSiS-Fortbildung“ teilgenommen.  BaSiS steht dabei für „Bayerisches Screening des individuellen Sprachstands“. Es war ein Erlebnis mit vielen Irritationen, offenen Fragen und am Ende bei mir und vielen der anderen Teilnehmenden: Ratlosigkeit.

Organisiert wurde die Veranstaltung als Online-Schulung von der ALP Dillingen (Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung). Mit dabei war eine Vertreterin des Kultusministeriums, die das Screening mitentwickelt hat, sowie eine Vertreterin des ISB (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München) mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache.

Hürden schon bei der Anmeldung

Die erste Hürde war schon die Anmeldung: Ankündigung der Schulung rund um Weihnachten, Anmeldung im Januar und dann? Am Morgen des 3. Februar – wenn fast alle in den Schulen sind – kam meine Zusage für die Schulung um 16:30 Uhr. Schon das sorgte bei vielen Teilnehmenden für großen Unmut – auch wenn sie die Bestätigung noch rechtzeitig gelesen haben und zufällig noch Zeit hatten.

Zum Start waren die mehr als 200 Teilnehmer:innen dann schon mal auf „stumm“ und „ohne Video“ geschaltet - der Chat wurde nicht beachtet und die Frage eines Kollegen was uns damit signalisiert werden soll, blieb unbeantwortet. Statt des Webex-Chats, der schließlich im Tool integriert ist (Visavid war aufgrund der Vielzahl von Leuten eh nicht möglich), sollte „Slido“ benutzt werden – übrigens unangekündigt. Ein zusätzliches Tool, das parallel mal eben nebenbei bedient werden sollte und das fast allen in der Schulung unbekannt war. Dabei erschienen die neuesten Fragen auch nicht automatisch oben, wie in anderen Tools - das hätte man zwar so einstellen können, aber dazu hätte man Slido natürlich kennen müssen. Die über 170 Fragen, die eingingen, sollten dann von den Teilnehmenden – ebenfalls nebenbei – gerankt und bewertet werden danach, wie relevant sie für die Übrigen sind. Dabei sollte man dann den Überblick über 170 Fragen behalten, diese lesen und bewerten und nebenbei den neuen Test kennenlernen.

Die Vertreterin vom KM startete die Veranstaltung und begründete noch einmal die Einführung der Sprachtests auf Basis des Koalitionsvertrags. Offene Fragen sollten, wie sie mehrfach betonte, irgendwann im Februar in einem FAQ beantwortet werden. Und sie betonte, dass die Durchführung der Sprachtests natürlich von qualifiziertem Personal durchgeführt werden müsse – eben von uns Beratungslehrkräften.

Mangelhafte Einführung

Es folgte die inhaltliche Vorstellung von BaSiS durch die ALP Dillingen. Uns wurde ausführlich erklärt, wie wir den Testraum vorbereiten sollen (Kindertisch mit passendem Stuhl), dass wir unbedingt eine Handpuppe brauchen (für schüchterne Kinder), dass wir sicherstellen sollen, dass das W-Lan funktioniert und dass wir auch überlappende Termine legen können und der Raum nicht so weit von der Schultür weg sein soll, um Zeit zu sparen. Dann kamen Hinweise zu schüchternen Kindern (die sollen wir eben mit der Handpuppe motivieren) und falls Kinder verweigern, sollen wir "einfach" einen weiteren Termin anbieten. Na gut – nach diesen Tipps war klar, dass wir Beratungslehrer:innen wohl doch nicht als so qualifiziert eingeschätzt wurden. 

Dann wurde die (ohnehin sehr begrenzte) BaSiS Demoversion vorgestellt, die zu dem Zeitpunkt 16 der späteren 70 Fragen enthielt. Nach Aussage der Schulungsleitung hätte diese zu dem Zeitpunkt auch schon auf EddiPlus zum Einarbeiten, nachkucken und üben bereitstehen sollen. Tat sie dann aber leider doch nicht. Irgendwann im Februar erscheint wohl die komplette Demoversion – ob sich dann aber noch irgendwer an das Tool und die Schulung erinnern kann, bei der man nebenbei 170 Fragen lesen und bewerten sollte?! Ach ja: Falls wir bis dahin dann überhaupt die Schulungsfolien bekommen haben.

Kritische Fragen wurden übergangen

Dann kam die Fragerunde, in der die am häufigsten bewerteten Fragen aus der Gruppe mit über 200 Teilnehmenden beantwortet werden sollten. Kritische Fragen wurden allerdings fast vollständig übergangen. Fast! Denn immerhin gab es von der Vertreterin des Kultusministeriums eine Antwort auf die Frage, ob es denn für diese Mehrarbeit einen (finanziellen) Ausgleich gebe. Denn allen Teilnehmer:innen war klar, dass sich dieser Berg an Tests inklusive Einarbeitung nicht mal eben in einer Anrechnungsstunde erledigen lässt. Nur die Antwort fiel dann doch überraschend aus: Man müsse die Tests ja nicht in seiner Freizeit durchführen und auch sie selbst habe ja die Aufgabe der Umsetzung der Sprachstandstests im KM ohne zusätzliche Ressourcen übernommen und dafür täglich 14 Stunden gearbeitet. Das sei eben so und darauf müsse man sich einlassen. Schließlich hätten wir das gelernt und es ist unsere Aufgabe. Erwartungshaltung also geklärt!

Es gäbe – immer noch laut KM – keine Beratungslehrkräfte, die keine Anrechnungsstunde bekommen hätten, wenn sie diese Aufgabe übernommen haben. Dazu von mir mal eingefügt: Bei uns haben acht Beratungslehrkräfte insgesamt drei Anrechnungsstunden erhalten. Und die drei Kolleg:innen mit den Anrechnungsstunden haben keine Ahnung ob sie 120 oder doch eher 200 Tests durchführen sollen! Auf die vielen darauffolgenden Kommentare, in der die Kolleg:innen darauf hingewiesen haben, dass ein Großteil von uns keine Anrechnungsstunde bekommen hat, wurde dann wieder nicht mehr reagiert. Eine Kollegin meinte noch zu mir: „Schade, dass es davon keinen Videomitschnitt gibt. Das glaubt uns doch kein Mensch!“ Ich befürchte, sie hat Recht.

Sorge der Kitas etwas falsch zu machen 

Es gab noch zahlreiche (berechtigte!) kritische Fragen, die leider übergangen wurden. Dafür wissen wir jetzt, dass eine Handpuppe unverzichtbar ist! Auf die – ironisch gemeinte – Frage, wer uns die Puppe kauft, haben wir leider auch keine Antwort bekommen. Auch ein weiterer – Ernst gemeinter – Hinweis wurde leider ignoriert: Nämlich, dass viele Kitas lieber mehr Kinder schicken als zu wenige und damit leider auch viele, die den Test wirklich nicht brauchen. Denn es herrscht in vielen Kitas Unsicherheit und damit die Sorge, man könnte zu wenig machen oder etwas falsch machen und dafür gerügt werden.

Auch eine andere Frage blieb unbeantwortet. Denn Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen, werden bald mit Stammbuch oder Geburtsurkunde bewaffnet bei uns vor der Türe stehen – wenn wir Pech haben mit Dokumenten in chinesischer oder russischer Sprache. Wann wir die Qualifikation bekommen haben, solche Unterlagen zu prüfen, wie das funktionieren soll oder wer das übernimmt?! Wie gesagt, die Frage blieb unbeantwortet. Immerhin gibt es jetzt in EddiPlus eine Durchführungsanleitung und ein Screeningformular inklusive (weniger) FAQs. Meine wichtigsten Fragen sind aber leider nicht dabei.

Verzweiflung bei den Teilnehmenden

Vielen der Teilnehmenden war die Verzweiflung anzumerken und auch ich habe mehr als ein mulmiges Gefühl. Bei uns weiß keiner, wie er die Menge an Tests schaffen soll. Zumal auch die Überlegung im Raum steht, alle zu testenden Kinder auf die besagten acht Beratungslehrkräfte aufzuteilen – unabhängig von Arbeitszeit, Teilzeit oder Vollzeit und ohne Rücksicht darauf, wer eine der drei Anrechnungsstunden bekommen hat. Als Mutter von zwei Kindern ist das für mich keine Kleinigkeit, wenn andere meine Termine für mich verbuchen.

Ich weiß, dass es politisch momentan unendlich viele Baustellen gibt und dass es jetzt auf Haltung ankommt. Und niemand weiß besser als wir Beratungslehrkräfte, dass es um die Kinder geht. Wir wissen, für wen wir das machen! Allerdings ist mir der Umgangston, den ich im Zusammenhang mit der BaSiS-Einführung von Dienstvorgesetzten auf verschiedenen Ebenen erlebt habe, so noch nicht vorgekommen. Es wirkt fast so, als sei die neue Taktik einfach Dinge wie fehlende Anrechnungsstunden zu leugnen und auf Nachfragen entweder nicht zu reagieren oder Sprechverbote zu erteilen. Man merkt den Dienstvorgesetzten an, dass sie selbst am Limit sind, aber es wäre doch schön, wenn wieder mehr Ehrlichkeit herrschen würde. Und ein Hauch von Verständnis füreinander.

Ein kleiner Trost für mich: Ich habe jetzt schwarz auf weiß, dass meine Tochter (02.02.2020) deutsch spricht. Das hätten ich oder ihre Erzieherin ohne den Test und nur mit gesundem Menschenverstand bewaffnet, sicher nicht herausgefunden.
 

Medienberichte

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Wortlaut gegenüber der Mainpost:

"Wenn wir wollen, dass alle Kinder mit einer Diagnose Unterstützung bekommen, aber das nicht passiert, dann haben wir unser Ziel nicht erreicht. Wir brauchen mehr Zeit und mehr Personal, ohne dass Unterricht ausfällt."


Joachim Dutz, Vorstand im ULLV:

"Die Einführung ist hoppla-hopp."

"Manche Kinder sind total aufgeschlossen, andere nicht. Das muss man sehen!"

"Es haben viele Beratungslehrer seit Januar eine Beratungsstunde mehr bekommen. Aber es gibt auch Kollegen, die keine erhalten haben."


Silvia Glaser, Leiterin der Fachgruppe Schulberatung im BLLV und im ULLV:

"Es gibt viel mehr Anmeldungen zu den Sprachtests als erwartet. Selbst die kleinsten Grundschulen haben Kinder zu testen, was sie an ihre Grenzen bringt."

“Im März und April liegt die normale Beratungsarbeit brach und dann stauen sich die Fälle auf der Warteliste der beteiligten Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen.”