Schon im Dezember oder Januar müssten bayerische Grundschulen Briefe an alle Familien in ihrem Schulsprengel schicken, deren Kinder im nächsten Jahr fünf werden. Denn nach dem Willen der Staatsregierung muss dann für Kinder, die in den Kindergarten gehen, eine Bescheinigung vorgelegt werden, dass das Kind ausreichend deutsche Sprachkenntnisse hat. Mit allen anderen Kindern müssen die Schulen einen Termin für einen Test der Sprachkenntnisse vereinbaren.
Dass Sprachkenntnisse als Schlüssel für Bildungserfolg besondere Aufmerksamkeit brauchen, findet auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann „absolut richtig“, wie sie dem Bayerischen Rundfunk sagt. Es sind aber noch zu viele essenzielle Fragen ungeklärt, betont sie. Denn wie so ein Test aussieht und mit welcher Methodik er durchgeführt werden soll, ist trotz des Termins im März noch völlig offen: „Dafür braucht es optimale diagnostische Tools, auf die wir immer noch warten“, berichtet Fleischmann. „Die Tools müssen zudem datenschutzrechtlich abgesichert sein. Da muss das Kultusministerium Vollgas geben, sonst können wir nicht das nicht jetzt schon umsetzen.“
Weder Kitas noch Schulen haben das nötige Personal
Auch organisatorisch sind die Tests unklar, warnt die BLLV-Präsidentin: „Wir fragen uns, wie die Schulleitungen das händeln sollen? Wir schulen ein, wir testen – und das machen wir jetzt auch noch zusätzlich?“ Insgesamt ist der Plan der Staatsregierung daher aus Fleischmanns Sicht mindestens „sehr ambitioniert“, vieles werde „übers Knie gebrochen“.
Erschwert wird das Vorhaben zudem durch den eklatanten Personalmangel an Kindergärten und Schulen, stellt die BLLV-Präsidentin gegenüber dem Bayerischen Rundfunk klar: „Wir haben ohnehin schon zu wenige für den Pflichtunterricht. Auch im Kitabereich ist es nicht so, dass wir genug Fachpersonal haben.“
Ohne Förderung hilft die Diagnose nicht
Das hat zuletzt schon zu Ausfällen bei den Deutschkursen im letzten Kitajahr geführt, sagt BLLV-Präsidentin Fleischmann im Gespräch mit dem Spiegel, der die Frage stellt „Was eine Kitapflicht für Migrantenkinder wirklich bringt“ und dafür verschiedene Maßnahmen der Bundesländer analysiert. Das Fazit auch hier: Selbst dort, wo Sprachförderung verpflichtend gemacht wird, scheitert sie personalbedingt dennoch häufig am Angebot, weil verordnete Förderung mangels Umsetzungsangebot dann laut Spiegel faktisch nicht durchführbar ist: „Es fehlt an Kitaplätzen. Es fehlt an Personal. Es fehlt den Betreuerinnen und Betreuern die Zeit, um sich individuell um förderbedürftige Kinder zu kümmern. Und es fehlt an Hilfe für sozial benachteiligte und nicht deutschsprachige Eltern, damit sie die Förderung für ihre Kinder tatsächlich abrufen. Häufig ist also nicht die Nachfrage das Problem. Sondern das mangelnde Angebot.“
In Bayern droht aus Sicht des BLLV genau das. Denn aus pädagogischer Sicht ist die Diagnose eben nur der erste Schritt. Lernerfolge können sich erst dann einstellen, wenn Kinder danach auch die aus der Diagnose abzuleitende Förderung erhalten. Wenn aber schon für die Diagnose das Personal fehlt, dann schaut es mit dem nächsten Schritt erst Recht düster aus, stellt BLLV-Präsidentin Fleischmann klar: „Wer soll dann, nachdem bei Viereinhalbjährigen etwas diagnostiziert wurde, diese Kinder professionell abholen? Wer soll sie dann gut fördern? Das ist ein immenser Aufwand. Und die Menschen fallen nicht vom Himmel.“
Nachhaltig Sprachkompetenz ausbauen geht anders
Es drängt sich also der Eindruck auf, dass hier der Beifall für eine vorgeblich einfache Maßnahme wichtiger ist als tatsächlich für bessere Sprachkompetenz zu sorgen. Spiegel online meint, dass dies politische Gründe hat: „Die Politik setzt vermehrt auf Zwang, auf verpflichtende Sprachtests und Fördermaßnahmen – die Kitapflicht soll Entschlossenheit demonstrieren. Damit wird mitunter gleichzeitig suggeriert, insbesondere migrantische Eltern seien zu wenig daran interessiert, ihre Kinder ausreichend zu fördern und sprachlich in Deutschland zu integrieren.“
Ausbaden dürfen diese Spreizung zwischen Narrativ und Wirklichkeit dann Pädagoginnen und Pädagogen, die ohnehin täglich unter Volllast arbeiten, wie Simone Fleischmann klarstellt: „Es fehlt hinten und vorne Personal, das immer mehr bewältigen soll. Die Kolleginnen an den Grundschulen sind ohnehin die, die seit Jahren die Löcher stopfen, die der Lehrermangel reißt. Wie soll das dann mit dieser neuen Aufgabe gut gehen? Wir können nicht immer wieder Dinge ‘on top‘ machen, und dann auch noch ganz schnell mit Vollgas, denn sonst geht das auf die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen – und die muss im Mittelpunkt stehen!“
» zum Bericht auf BR24: „Sprachtest-Pflicht kommt im Eiltempo: ‘Übers Knie gebrochen‘"
» zum Bericht auf Spiegel online: „Was eine Kitapflicht für Migrantenkinder wirklich bringt“ (kostenpflichtig)
Schnellschuss bei Sprachtests wirft viele Fragen auf
Die Staatsregierung will das Gesetz zu verbindlichen Sprachtests möglichst schnell in den Landtag bringen. Dabei sind essenzielle Voraussetzungen für die dadurch erhofften Lernerfolge noch nicht geschaffen, warnt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.
Medienberichte
Simone Fleischmann im Wortlaut in der gedruckten Fassung des Berichts:
Dieses Ziel ist zweifellos richtig, sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann. Sprache sei der entscheidende Schlüssel für Bildung. Dennoch lässt Fleischmann an den Plänen der Staatsregierung kaum ein gutes Haar. Diese verfolge ihre Ziele "mit der Brechstange". Fleischmann: "Das kann nicht funktionieren."
Der größte Kritikpunkt ist das Personal. Schon jetzt gebe es zu wenig Lehrkräfte. Zu erwarten sei aber, dass durch die Tests noch mehr Kinder entdeckt würden, die nur schlechte Deutsch sprechen und verstehen. Fleischmann: "Dann braucht es eine professionelle Förderung." Den Schulen werde dann nichts anderes übrigbleiben als anderen Förderunterricht und Beratungen einzuschränken. Hinzu komme eine Reihe von bürokratischen Anforderungen bis hin zu Bußgeldbescheiden für Eltern, die ihre Kinder nichts zur Sprachförderung schicken. Fleischmann sprach gegenüber unserer Redaktion wortwörtlich vom "Bürokratie-Wahnsinn".
Simone Fleischmann im Wortlaut im Sonntagsblatt:
"Wir können uns in keinster Weise vorstellen, wer dann nach der Diagnose die Förderung durchführen soll. Wenn wir dann niemand haben, pfeifen wir auf die Diagnose."
Fleischmann wirft Ministerpräsident Söder außerdem vor, es sich leicht zu machen: "Und wo ist der nächste Schritt?" Auch den Fokus auf die Sprache kritisierte sie, Viereinhalbjährige hätten auch in anderen Bereichen Förderbedarf wie bei psychischen oder motorischen Störungen: "Die sollten wir auch aufholen und nicht nur die Sprachdefizite."
Das Fazit im Sonntagsblatt:
"Die bayerische Staatsregierung gaukelt mit ihrem Beschluss verpflichtender Sprachtests vor, Kinder fördern zu wollen. Dabei geht es CSU und Freien Wählern lediglich darum, im Zuge der sich weiter verschärfenden Migrationsdebatte Härte zu demonstrieren, indem sie Kinder mit Sprachdefiziten einen Problem-Stempel aufdrückt und sie völlig ohne Plan zur Nachhilfe zusammenscheucht.
Das ist weder christlich noch sozial. Und ausbaden müssen diesen Fehlbeschluss am Ende nicht nur die völlig überlasteten Lehrer*innen und Erzieher*innen, sondern vor allem die Kinder."