Am 14.11 beschloss der Ministerrat die Einführung flächendeckender Sprachtests vor der Einschulung. Die zuständigen Ressorts - das Sozial-, das Kultus- und das Gesundheitsministerium - sind laut BR-Berichterstattung beauftragt worden, ein Konzept dafür zu entwickeln. Bei mangelnden Sprachkenntnissen solle es ein verpflichtendes Vorschuljahr oder Sprachkurse geben. Dank dieser Förderung sollen dann die Kinder dem Unterricht auch besser folgen können. Der schulische Erfolg soll damit auch weniger von der Willkür der Eltern abhängen. Wer die Kinder unterrichten soll, ist allerdings noch unklar - Stichwort Lehrkräftemangel. Dies dürfte eines der wichtigsten Hemmnisse bei der Umsetzung sein. Auch die Bayerische Staatszeitung hat das Thema Sprachtests in einem Artikel vom 17.11.24 aufgegriffen und BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann zu den bereits bestehenden Brückenklassen für ukrainische Kinder befragt.
Fördern ja, Ausgrenzen nein! Ministerrat beschließt Sprachtests zur Einschulung
Zur ersten Sitzung des neuen bayerischen Kabinetts war BR24 live dabei und hat auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann live in die Sendung geschaltet. Denn es ging nicht zuletzt um Sprachtests zur Einschulung.
Interview mit der Bayerischen Staatszeitung vom 17.11.23
"Es fehlt an Fachpersonal und an passgenauen regionalen Unterstützungsangeboten für die Schulen"
Im Interview mit der Bayerischen Staatszeitung zum Thema Sprachtests am Beispiel der Integration ukrainischer Kinder, erläutert die BLLV-Präsidentin das Problem mit den bereits bestehenden Brückenklassen, die an Bayerns Schulen eingerichtet wurden. In den Brückenklassen fehle es an Fachkräften die Deutsch als Zweitsprache unterrichten und teilweise sogar an Räumlichkeiten. „Wenn eine Brückenklasse im Nebengebäude von einer unerfahrenen Berufsanfängerin unterrichtet wird, dann braucht man sich nicht wundern, wenn es mit der Integration nicht funktioniert“, so Fleischmann. Bayern hat die Brückenklassen im vergangenen Schuljahr eingeführt. Diese Klassen gelten als schulartunabhängig und wurden für die Jahrgangsstufen 5 bis 9 an Mittel- und Realschulen sowie an Gymnasien angeboten. Für Zehntklässler gibt es das gleiche Angebot an Berufsschulen.
Es steht und fällt mit dem ausgebildeten Fachpersonal
Das Konzept der Brückenklasse sieht vor, dass ukrainische Kinder in einigen ausgewählten Fächern am Regelunterricht teilnehmen, damit sie, so die Ministeriumssprecherin, auch in Kontakt mit nichtukrainischen Kindern und Jugendlichen kommen. Ob das Konzept aufgeht, ist bisher noch nicht klar mit Zahlen zu belegen. Die BLLV-Präsidenten bekommt aber durchaus auch positive Rückmeldungen zur aktuellen Praxis. Stünde nämlich eine erfahrene Kraft vor der Klasse und würden die teils schwer traumatisierten Schüler*innen auch psychologisch aufgefangen, dann sehe die Sache ganz anders aus als mit weniger qualifizierten Kräften.
Konzepte für die Umsetzung
Es gibt noch viel mehr zu bedenken. Simone Fleischmann war deshalb als Expertin dem Live-Bericht zugeschaltet - auch um die Frage zu beantworten, wie denn überhaupt jetzt ein solches Konzept entwickelt werden kann: "Wir müssen unbedingt gemeinsam diskutieren, wenn man solche Konzepte auflegen will. Natürlich ist klar: Integration geht über Sprachkompetenz. Da sind wir voll d'accord. Wir brauchen aber die Personen dazu. Ich möchte an dieser Stelle auch betonen: Natürlich geht es um die Sprache, aber die Kinder haben auch noch emotionale und soziale Bedarfe und wir wollen diese Kinder an den Schulen auffangen. Und ja, wir sind bereit, Konzepte zu entwickeln. Aber auch das Personal dafür ist notwendig und zwar überall.
Und die Frage ist dann natürlich auch: Was ist denn, wenn ein Kind den Test nicht besteht? Wollen wir auch da schon wieder sofort aussortieren und wollen wir da auch schon wieder Kinder in bestimmte Schubladen packen. Wir wollen diesen Kindern gerecht werden. Das könnten wir auch, wenn wir entsprechendes Personal hätten. Wir brauchen Profis am Start. Das kann man nicht irgendjemanden machen lassen, da brauchen wir höchste Expertise."
Wie wollen wir fördern und unterstützen?
Simone Fleischmann bringt es auf den Punkt: "Also was machen wir jetzt konkret, wenn ein Kind das nicht drauf hat? Was machen wir dann verpflichtend? Was bedeutet das dann rechtlich? Wie gehen denn dann die Kitas damit um, wenn es da auch kein professionelles Personal gibt? Wollen wir die Kinder dann verpflichtend in irgendwelche Kurse packen? Die Fragezeichen sehe ich schon und die haben vor allem mit dem Menschenrecht zu tun. Die haben vor allem damit zu tun, wie wir mit kleinen Kindern umgehen. Diese Kinder sind fünf, sechs Jahre alt. Dürfen wir das mal ganz kurz auch noch sehen und nicht nur die Regularien und die Verpflichtung? Und ich möchte auch gleich an der Stelle sagen: Angstmachen bringt uns gar nichts. Stimmungsmache bringt uns auch nichts.
Wir tun uns natürlich hart, wenn Kinder in der Klasse sind, die des Deutschen nicht mächtig sind. Übrigens sind es nicht nur Kinder mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Wir haben ganz viele andere Kinder, die der deutschen Sprache nicht unbedingt so mächtig sind, wie wir es gerne hätten. Das ist Schule. Schule ist Vielfalt. Schule ist Heterogenität. Wir wollen doch auch diese Kinder annehmen. Und natürlich fragen die Kollegen: Ja, wie soll ich das denn machen? Wir sagen immer schon, wir brauchen Multiprofessionalität, wir brauchen für Kinder Auszeit, wir brauchen Räume, wir brauchen zusätzliches Personal, wir brauchen Förderlehrerinnen und Förderlehrer. Wir brauchen die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, die Beratungsfachkräfte. Wir brauchen Profis, damit wir den Kindern gerecht werden."
Was sind die Perspektiven auf die nächsten fünf Jahre?
Gefragt nach einem Ausblick auf die neue Regierung antwortet die BLLV-Präsidentin: "Na ja, im Koalitionsvertrag steht ja viel drin, was das Personal angeht: 6.000 Stellen und zusätzliche Stellen für Multiprofessionalität. Das ist Geld. Und natürlich brauchen wir Geld, um diese Menschen anzustellen. Aber woher kommen die Menschen? Wir müssen jetzt alles daran setzen, dass der Lehrberuf sehr attraktiv wird. Es muss sich die Lehrerbildung ändern. Wir brauchen Anreizsysteme. Wir müssen aufhören, die Kernmannschaft – das sind die, die immer schon am Start sind – zu schwächen. Wir müssen sie stärken. Der Beruf muss so attraktiv werden, dass junge Leute sagen: Oh ja, ich will in die Schule! Das ist der Beruf, der Berufung sein sollte. Ja, wir brauchen alles, um die Attraktivität zu fördern. Wenn wir erzählen können, wie wunderbar es ist, an der Schule zu unterrichten, zu bilden und zu erziehen, dann kommen junge Leute nach. Die Stärkung der Kernmannschaft ist der Schlüssel zum Erfolg!"
Politische Bildung und Thema Migration an den Schulen
Migration ist natürlich nicht nur eine Herausforderung an die Integration und eine Frage des Spracherwerbs. Sie ist auch Thema und teils Konfliktfaktor an den Schulen, weiß Fleischmann: "Die Kinder bringen das Thema ‘Migration‘ von zu Hause mit. Die Kinder bringen auch das Thema ‘Wie gehen wir mit anderen Menschen um‘ aus den sozialen Netzwerken mit. Uns wird an den Schulen oft angst und bang, wenn wir nicht dagegenhalten können gegen irgendwelche Verschwörungstheorien, gegen irgendwelche Panikmache. Wir wollen und wir müssen mit den Kindern das Thema Migration diskutieren. Die stellen sich die Frage: Wer bist du? Woher kommst du? Wie gehen wir miteinander um? Wissen Sie eigentlich, dass wir an vielen Schulen keine Arbeitsgruppen mehr haben, und keine Konzepte entwickeln können, weil wir genau diese Themen jeden Tag im Klassenzimmer haben? Die Kollegen müssen sofort reagieren, vor allem jetzt, in diesem Kriegsgeschehen.
Wir wissen, wie wir politische Bildung machen dürfen und können. Aber wir stehen unter Druck. Wir wollen das Thema aufgreifen. Kinder stellen die Frage: Was ist denn da im Gazastreifen los? Aber ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, dass man endlich mal die Frage stellt: Was kann denn dafür weichen, wenn wir jetzt mehr politische Bildung machen? Wir können nicht immer alles on top machen: die Migrationspolitik ins Klassenzimmer holen, medienkritische Bürger erziehen, Demokratie vermitteln. All das will die Gesellschaft. All das wollen die Politiker. Wir wollen das auch. Aber dafür muss doch irgendwas mal ein bisschen was anderem weichen. Und dafür sind wir im BLLV, dass wir sagen, was ist Kernaufgabe von Schule, was schaffen wir noch mit der Mannschaft, die wir haben und was müssen wir dringend in der politischen Bildung zusätzlich tun? Und da muss man dann halt auch so ehrlich sein und sagen, vielleicht muss was anderes mal ein bisschen zurücktreten."