Wenn Erwachsene sich schon schwertun, die Vielzahl an besorgniserregenden Nachrichten in gefühlt immer höherer Frequenz zu verarbeiten, dann stellt das Kinder und Jugendliche, die ohnehin gerade sensible persönliche Entwicklungsphasen durchlaufen, erst Recht vor Probleme. Und so häufen sich bei Schülerinnen und Schülern Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten, depressive Verstimmungen und Angststörungen. Die Probleme der Kinder und Jugendlichen sind dabei immer öfter derart schwerwiegend, dass Lehrkräfte in einem Schulgeschehen, das von akutem Personalmangel beeinträchtigt wird, unmöglich angemessen darauf eingehen können.
Eigentlich gibt es dafür geschultes Fachpersonal – wie beispielsweise Silvia Glaser, Schulpsychologin für Grund- und Mittelschulen im Raum Schweinfurt und Leiterin der Fachgruppe Schulberatung im BLLV sowie in Unterfranken. „In jeder Klasse gibt es viele Schülerinnen und Schüler mit besonderen Päckchen“, berichtet sie im Gespräch mit der Mainpost aus ihrer Erfahrung. Theoretisch können alle Schüler und Eltern dafür um einen Termin bitten. Doch dabei gibt es erhebliche Einschränkungen, wie Glaser schildert: "Dadurch, dass ein Schulpsychologe oft für mehrere Schulen zuständig ist, haben wir kein festes Büro in jeder Schule, sondern wir sind erreichbar über eine Telefonsprechstunde oder über eine E-Mail-Adresse, um einen Termin zu vereinbaren."
Viel zu dünn kalkuliert und dann auch noch unterbesetzt
Dabei gilt außerdem: Akute Gefährdung und dringende Fälle haben im Zweifel Vorrang. So bleibt faktisch wenig Zeit für Fälle, in denen (noch) nichts eskaliert ist oder gar für Prävention: "Ich bekomme eine Stunde für schulpsychologische Aufgaben pro circa 160 Schülerinnen und Schüler", gibt Silvia Glaser die vorgegebene Kalkulation wieder. Oder anders gerechnet: Ein Schulpsychologe an Grund- und Mittelschulen betreut beispielsweise in Unterfranken gemäß Zahlen des Kultusministeriums 2.077 Schülerinnen und Schüler. Allein das klingt angesichts von Weltkrisen und Corona-Folgen schon arg dürftig, doch die Realität sieht noch düsterer aus: „Uns fehlt in ganz Unterfranken an Grund- und Mittelschulen ungefähr 20 Prozent an Personal“, sagt Silvia Glaser. Konkret sind das etwa 15 Personen. In anderen bayerischen Regierungsbezirken sieht es ähnlich aus.
Der BLLV hat auf diesen Missstand immer wieder hingewiesen und ihn auch mit Zahlen belegt: Eine landesweite Befragung im November 2023 zeigte, dass sich in der Wahrnehmung von über 80% der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen die Belastung durch die zunehmende Zahl der Beratungsfälle gravierend erhöht hat – wobei über 90% sagten, dass ihnen Schülerinnen, Schüler und Eltern große Wertschätzung für die Hilfe entgegenbringen, wo diese möglich war.
Ängste, Sorgen und Konflikte lernen schlecht
"So eine Erhebung ist uns wichtig, weil wir spüren, dass Kinder und Jugendliche Bedarfe haben, die wir als Lehrerinnen und Lehrer nicht abdecken können“, stellt dazu BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar und betont die große Bedeutung der Beratungsarbeit: „Deswegen brauchen wir Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen, die Sorgen und Ängste wie Inflation oder Terrorismus mit den Kindern besprechen, damit die Kinder bereit sind zum Lernen."
Engpässe wirken sich damit nicht nur negativ auf die persönlichen Bildungserfolge einzelner Schülerinnen und Schüler aus, sie können auch ganze Lerngruppen erheblich beeinträchtigen. "Hätten wir Luft, könnten wir auch mal ein Präventionsprojekt umsetzen, was viel abfangen würde“, ist sich Silvia Glaser sicher. „Oder wir könnten einen Schüler über einen längeren Zeitraum intensiver begleiten. All das ist im Moment aber leider nicht möglich."
Der BLLV fordert daher mehr Anrechnungsstunden für die Beratungsarbeit von Beratungslehrkräften, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, die dann auch tatsächlich mit Personal abgedeckt werden müssen. Um mehr Nachwuchs zu gewinnen braucht es zudem insgesamt stärkere Anreize für diesen Weg sowie bessere Studien- und Nachqualifikationsmöglichkeiten.
» zum Bericht der Mainpost: „Überlastete Schulpsychologen: ‘In jeder Klasse gibt es viele Schülerinnen und Schüler mit besonderen Päckchen‘" (kostenpflichtig)

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Eine Stunde schulpsychologische Arbeit soll für 160 Kinder reichen?
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