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Lehrkräftemangel: Schnellschüsse und Imagekampagnen reichen nicht

In der Debatte um die Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums stellt BLLV-Präsidentin Fleischmann klar, dass viel mehr in Lehrkräfte, Ausstattung und Förderung investiert werden muss. Zudem müsste auch das Schulsystem an sich modernisiert werden.

Jahrelang sah sich der BLLV in die Rolle des unbequemen Mahners gedrängt mit seinen unablässigen Hinweisen auf Personalmangel an Bayerns Schulen, der von der Politik zunächst geleugnet, dann kleingeredet wurde. Inzwischen ist allen klar: Der Lehrkräftemangel ist eklatant, er bleibt und er betrifft akut alle Schularten. Das hat auch die aktuelle Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums erneut verdeutlicht: Bis 2034 fehlen demnach 5000 Vollzeitstellen.

Besonders betroffen sind davon, auch nach Analyse der Süddeutschen Zeitung, erneut die Mittelschulen. Der BLLV hat vielfach betont, dass dort die pädagogischen Herausforderungen besonders groß sind und enormer Nachholbedarf in Sachen fairer Bildungschancen für Mittelschülerinnen und -schüler herrscht. Daher fordert Präsidentin Simone Fleischmann gegenüber der SZ „ein klares Bekenntnis“, denn von der Staatsregierung kommen kaum mehr als warme Worte. „Wir brauchen viel Geld für beste Lehrkräfte, beste Ausstattung und beste Unterstützung der Schülerinnen und Schüler“, sagt Fleischmann.

Was Gesellschaft und Politik von Schule erwarten

Denn die Lehrerbedarfsprognose ist letztlich aus einem Anspruch berechnet, der weit von dem entfernt ist, was die Gesellschaft heute von Schule erwartet: Junge Menschen sollen die Basisfähigkeiten Lesen, Rechnen, Schreiben sicher beherrschen, zu Demokraten erzogen werden, einen verantwortlich reflektierenden Umgang mit sozialen Medien und Künstlicher Intelligenz lernen, Schlüsselkompetenzen für die moderne Berufswelt wie Kreativität und Teamfähigkeit erlangen, nachhaltig für eine lebenswerte Zukunft eintreten, Fake News von glaubwürdigen Quellen unterscheiden, bestenfalls souverän eine Steuererklärung abgeben können, sich sicher im Straßenverkehr bewegen – und letztlich alles, was beifallsheischenden Vertretern in Gesellschaft und Politik sonst noch spontan an entrüstenden Auffälligkeiten in den Sinn kommt, die Schule dann doch bitte mal eben ausbügeln soll.

Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen, was genau davon Schule wirklich leisten soll. Fakt ist: Sie KANN aktuell unmöglich alles dies leisten. Obwohl Lehrkräfte als pädagogische Profis durchaus für jedes einzelne Thema die Lösungen kennen würden, denn dafür sind sie ja ausgebildet. Nur reicht beispielsweise eine Verfassungsviertelstunde alleine eben nicht aus, um junge Menschen tatsächlich zu befähigen, sich demokratisch zu engagieren: Das braucht kontinuierliche Praxis im Schulalltag mit partizipativen Formaten, die schulübergreifend etabliert und mit Leben gefüllt werden, Projektwochen, fächerübergreifendes Lernen und eben immer wieder Übung an konkreten Prozessen.

Professionelle Antworten sind bekannt, brauchen aber mehr Profis

Und das heißt natürlich: Hier ist es mit einer Lehrkraft pro Klasse – und nur davon handelt die Zahl 5000 in der Lehrerbedarfsprognose – bei Weitem nicht getan. Zumindest, wenn man die berechtigte gesellschaftliche Erwartung an Schulen, die übrigens auch Schülerinnen und Schüler selbst an Schule stellen, ernst nimmt. Aus diesem Grund greift dem BLLV die Diskussion um die bloßen Zahlen, für die qua Rolle natürlich das Kultusministerium zuständig ist, mit Blick auf den Bildungserfolg entschieden zu kurz.

„Beste Unterstützung“ heißt zudem, dass jede Schülerin und jeder Schüler individuell im jeweiligen Lernstand gefördert werden sollte. Diese Differenzierung tut gerade an den Mittelschulen Not, an denen Kinder und Jugendliche mit besonders unterschiedlichen Hintergründen und Voraussetzungen lernen – sie ist aber eben auch besonders personalintensiv.

Gemeinsam stark statt hart aussortiert

Dazu kommt, dass sich Mittelschülerinnen und Mittelschüler aufgrund der in Bayern besonders ausgeprägten Selektivität des Schulsystems oft als aussortiert, nicht gut genug und letztlich minderwertig empfinden. Das wurde zuletzt auch auf der Pressekonferenz des BLLV deutlich, in der die Vertretungen von Schülerinnen und  Schüler aller Schularten genau das vielfach bemängelten. Sie forderten stattdessen längeres gemeinsames Lernen, um dem entgegenzuwirken.

Auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann wünscht sich einen Dialog über die Schulstruktur in Bayern. Sie räumt aber zugleich ein, dass es dagegen in Bayern traditionell enorme Widerstände gibt – ungeachtet klarer Aussagen der pädagogischen Wissenschaften zum Thema, die sich sowohl mit den Alltagserfahrungen von Lehrkräften als auch mit der Analyse von Schülerinnen und Schülern decken.

Was ganz sicher NICHT funktioniert…

Angesichts der komplexen Herausforderungen und dem gleichzeitigen Mangel an Nachwuchs für die Lehrberufe ist jedenfalls klar, dass die Lehrkräfte, die sich trotz aller, auch systemischen, Widerstände mit hohem Engagement täglich um beste Bildung bemühen, dafür auch beste Unterstützung und bestmögliche Arbeitsbedingungen brauchen.

Dazu analysiert nun auch die Süddeutsche Zeitung, dass dies kein bisschen zusammenpasst mit dem vorgeblich eleganten „Lösungsvorschlag“ gegen den Lehrkräftemangel, der da heißt: Teilzeiteinschränkungen im Lehrberuf – was leider in schöner Regelmäßigkeit durch die Politik geistert. Gegen solch krude Ideen aus dem Bildungsmärchenland können dann leider auch hochglänzende Imagekampagnen für den Lehrberuf, die das Kultusministerium seit einiger Zeit aus guten Gründen fährt, nur wenig ausrichten.

Auch für dieses Ziel wäre also ein Kurswechsel, wie ihn Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Pressekonferenz des BLLV forderten, mehr als wünschenswert!

» zur Analyse der Süddeutschen Zeitung: „Lehrkraft m/w/d dringend gesucht“