Die Gesellschaft ist so vielfältig wie nie. Aber große Teile tun sich schwer damit. Sehen vor allem Last und Bedrohung, statt Bereicherung und Chance. Wollen eine Politik der Ab- und Ausgrenzung. Und Schule soll integrieren, erziehen, ein demokratisches Miteinander einüben. Die Kinder täten sich leicht damit, egal, woher sie kommen. Die BLLV-Präsidentin meint: Vielleicht könnten ja in dieser Hinsicht wir von ihnen was lernen.
Lena geht auf eine inklusive Schule in meiner Nachbarschaft,1. Klasse. Einige haben schwerste Förderbedarfe. Hoher Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte. Macht das was mit ihr, der Tochter einer Bekannten? Jetzt will ich es doch mal von ihr selbst wissen. Ich frage Lena, was denn so für Kinder in ihrer Klasse sind. Da schaut sie mich mit großen Augen an und sagt: „Bei mir in der Klasse sind nur Kinder, was frägst du so komisch?“ Aha! Andere Kinder gibt es für eine Lena gar nicht. Und ich denke: Was für eine Chance!
Gut, man muss nicht gleich fordern „Kinder an die Macht“. Der Grönemeyer hat seinen Hit damals bestimmt nicht so bierernst gemeint. Aber an der Liedzeile „Sie berechnen nicht, was sie tun“ ist schon was dran. Wie berechnend sind doch manche Politiker an der Macht? Wie sehr sind manche von ihnen vor allem darauf bedacht, Angst zu schüren, Grenzen zu ziehen zu den anderen, dicht zu machen, weil das gerade ankommt?
Es ist bald 40 Jahre her, dass der Song in die Hitparaden kam. Kohl war Kanzler und verkündete die „geistig-moralische Wende“, die CSU des erzkonservativen Machtpolitikers Franz Josef Strauß regierte Bayern mit absoluter Mehrheit, Franz Schönhuber steuerte mit seinen „Republikanern“ auf die 15-Prozent-Marke zu, und CSU-Innenminister Zimmermann versuchte beim bundesdeutschen Wahlvolk zu punkten, indem er die „Türkenfrage“ ausrief. Wörtlich sagte er: „Ein friedliches Zusammenleben wird nur möglich sein, wenn die Zahl der Ausländer bei uns begrenzt und langfristig vermindert wird, was vor allem die großen Volksgruppen betrifft.“ Man sprach vom „Rechtsruck“.
Und heute? Wieder: Grenzen dichtmachen. Angst vor diesen kriminellen Ausländern. Nix wie raus mit denen! Was macht das mit all den Menschen aus anderen Ländern, die hier bei uns in ihrer übergroßen Mehrheit friedlich leben und vielfältigen Berufen nachgehen? Was macht das mit den Kindern,wenn sie überall Ausgrenzung mitkriegen. Ressentiments. Diese kleinen Paschas da, die tanzen doch den Lehrerinnen hier nur auf der Nase rum, wie Friedrich Merz meinte. Wirklich? Alle? Na klar: Bayern wäre Bayern, wenn nur die anderen nicht wären. Echt jetzt?
Ich denke an Kaziu, das ist auch einer von diesen anderen, ein Schulkind aus meiner Bekanntschaft. Er würde gerne Timo heißen. Seine Eltern sind nämlich Polen, und der Vater wird in der Arbeit ausgegrenzt und anders behandelt als die deutschen Kollegen. Wenn schon die Eltern zu spüren kriegen, dass sie hier eigentlich nicht erwünscht sind, dann spürt das der Junge erst recht. Klar, 87 Prozent Kinder mit Migrationsgeschichte in einer 3c, das ist nicht immer leicht. Aber was macht es mit den Kindern, wenn die einen Ausländer-raus-Parolen verbreiten und es dann wieder heißt: „Du gehörst zu uns?“ Fühlen sich die Kinder nicht-deutscher Eltern bei uns wirklich zu Hause? Warum wäre denn Kaziu lieber Timo?
Wenn der Umgang mit Vielfalt in der Gesellschaft nicht gelingt, dann sollen es die Schulen richten. Aber wie sollen wir denn die Kinder von heute auf eine Gesellschaft von morgen vorbereiten, wenn große Teile dieser Gesellschaft von heute Vielfalt eigentlich ablehnen? Und wenn Kolleginnen und Kollegen glauben, es würde schon reichen, nur den Pythagoras zu vermitteln, statt sich um einen Kaziu zu kümmern. Sich zu fragen, warum ereigentlich Timo heißen will, wenn manche Politiker höchstens Lippenbekenntnisse dazu abgeben? Oder sehr berechnend vor den vielen Sozialschmarotzern warnen? Wie scheinheilig ist die Diskussion um Vielfalt eigentlich? Wie sollen wir Lehrerinnen und Lehrer da Kinder zu Demokraten erziehen, zur Anerkennung von Andersartigkeit? Wenn die Stimmung auf „Du gehörst hier nicht her“ steht, das Gefühl herrscht, dass wir zu viele sind, dass die anderen uns nur das Leben schwermachen, dann kann auch eine Pädagogin mit noch so schönen integrativen Ansätzen nur scheitern.
Und wie lebt denn Vielfalt in den Lehrerzimmern selbst? Wo wird es als Chance begriffen, wenn jemand irgendwie anders ist, nicht die Norm bedient? Wie vielfältig ist denn der öffentliche Dienst insgesamt aufgestellt? Der Auftrag von Schule ist nicht nur Bildung, sondern eben auch Erziehung. Und das heißt für mich: Erziehung hin zu einer Gesellschaft, für die Vielfalt normal ist. Im Umgang mit der Herkunft, mit dem Geschlecht, mit der Religion, mit Handicaps. Die Kinder sind uns in dieser Hinsicht weit voraus. Für eine Lena spielt es eben keine Rolle, ob das Kind neben ihr eine Teilleistungsstörung hat, Junge oder Mädchen ist, Kaziu oder Timo heißt oder zu welchem Gott es betet. Ich meine behaupten zu können, dass Kinder diese Unterschiede nicht machen. Und ich sage noch einmal: Was für eine Chance! Leider ist die Gesellschaft da etwas hinterher. Und das schon lang. Grönemeyer textete in seinem 80er-Jahre-Song: „Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein Ende.“ Bisschen schnulzig, ja. Aber langsam wird’s wirklich Zeit für was ganz anderes.