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Worauf soll sich Schule konzentrieren?

Wirtschaftsjournalist Uwe Ritzer kritisiert in der Süddeutschen Zeitung, dass immer mehr gesellschaftliche und politische Versäumnisse auf die Schulen abgewälzt werden. Der BLLV fordert seit Langem eine Diskussion darüber, was Schule sinnvollerweise leisten sollte – und was eben auch nicht …

Der Mechanismus ist allzu oft der gleiche: Außergewöhnliche Geschehnisse, die Menschen aufwühlen, weil sie eigentlich den geltenden Normen widersprechen, starten eine Aufregungsspirale. Die beschleunigt sich den in sozialen Medien weiter und gipfelt schließlich in einem gellenden Ruf nach Sofortmaßnahmen. Die Politik, getrieben von der vermeintlichen Not, Umfragewerte im Tagesgeschehen hochzuhalten, zaubert diese mit einem öffentlichkeitswirksamen Lösungsversprechen aus dem Hut.

Lieblingsziel sind dabei leider die Schulen. Warum dieser Reflex hochproblematisch ist, das erläutert Wissenschaftsjournalist Uwe Ritzer aktuell in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Die Schule ist kein Reparaturbetrieb für Kinder“. Das Hauptproblem aus Ritzers Sicht: „Sorgfältig reflektiert wird selten.“

Eine Todo-Liste ist schnell erstellt

Wer die bildungspolitischen Entwicklungen der letzten Zeit kritisch verfolgt hat, dem fallen dazu schnell Beispiele ein: Verfassungsviertelstunde, PISA-Offensive oder demnächst verpflichtende Sprachtests – Maßnahmen, die schnell öffentlichen Beifall bringen, bei genauerer pädagogischer Prüfung, Einbeziehung der erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisse und vor allem beim Blick auf die tägliche Praxis aber höchst zweifelhaft erscheinen.

Dabei ist der Wunschzettel, der den Schulen aus allen Ecken und Enden der Klientel aufgeschrieben wird, endlos fortsetzbar: Verkehrserziehung, Heimatpflege, Ernährungsbildung, Konfliktfähigkeit, KI-Innovation, kritische Mediennutzung, Cybermobbing-Resilienz, Steuer-Expertise, Gründermentalität – und noch so vieles mehr.

Den pädagogischen Realitätscheck bestehen nur wenige Maßnahmen

Über die Priorisierung der Liste ließe sich bestens streiten, nur tut das leider niemand. „Wir brauchen eine Diskussion darüber, was Schule eigentlich leisten soll“, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann immer wieder, wenn gerade eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Denn eigentlich sollte es ja darum gehen, Kinder und Jugendliche dazu zu befähigen, selbstwirksam, verantwortlich und reflektiert Zukunft zu gestalten und ihre Potenziale bestmöglich zu entwickeln. Dafür braucht es aber einen schülerzentrierten und individuellen Ansatz ganzheitlicher Bildung – und kein blindes Hinterherhetzen nach Partikularinteressen.

Der Ruf in die Schulen, sich dieses einen gerade aktuellen Themas doch bitte mal schnell anzunehmen, weil sonst das Abendland untergeht, der ist aus eigener Klientelsicht indes schnell getan. Dass damit aber erstens noch lange kein tragfähiges pädagogisches Konzept erstellt ist und zweitens in Zeiten des Lehrkräftemangels weder Ressourcen fürs Erarbeiten eines solchen bereitstehen und erst Recht nicht dafür, dieses an Schulen Tag für Tag mit Leben zu füllen, das schert die Wunschzettel-Ersteller meist wenig.

Die Erwartungen an Schule steigen trotzdem immer weiter

Das Fatale dabei: Lehrerinnen und Lehrer sehen sich danach trotzdem mit immer weiter steigenden Erwartungen konfrontiert – sei es seitens der Gesellschaft insgesamt oder der Eltern, die dies entweder als unausgesprochenen, immanenten Vorwurf ins Schulgebäude mitbringen oder – leider immer wieder auch in grenzüberschreitender Weise –  ganz konkret und massiv einfordern.

„Die Lösung kann nur sein, die Schulen von Ballast zu befreien“, meint Uwe Ritzer dazu und verweist unter anderem auch auf eine dringend nötige Entschlackung der Lehrpläne. Dies hat Kultusministerin Stolz in ihrer Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn tatsächlich auch in Aussicht gestellt.

Wer viel fordert, muss die Mittel bereitstellen

Langfristig geht es aber nicht nur um die pädagogisch sinnigen Maßnahmen, sondern ganz generell auch um eine gesellschaftliche, politische und finanzielle Aufwertung der Bedeutung von schulischer Bildung. Denn wer von Schulen prioritär erwartet, dass sie gesellschaftlichen Problemen wirksam begegnet, der muss dieser Priorität auch bei der Verteilung finanzieller Mittel folgen.

Davon kann aus Sicht von Uwe Ritzer aber derzeit keine Rede sein: „Während man die Institution Schule einerseits überfrachtet, spart man sie andererseits kaputt“, kritisiert er.

» zum Kommentar in der Süddeutschen Zeitung: „Die Schule ist kein Reparaturbetrieb für Kinder“