
Vom Warten, Schweigen und den Mut, sich zu wehren – Drei Bücher für starke Kinder
Das Forum Lesen stellt im Februar drei eindrucksvolle Bücher vor: ein witziges Buch über das ewige "gleich!" zwischen Eltern und Kindern, ein aufrüttelnder Roman über sexualisierte Gewalt im Sport und ein einfühlsames Buch über das Setzen von Grenzen.
Gleich

Von Katja Reider
- Mit Illustrationen von Sabine Wilharm
- Verlag: Hanser
- ISBN: 978-3-446-28078-6
- Preis: 15,00 Euro
- Seiten: 32
- Altersempfehlung: ab 4 Jahren
Die Eltern erwarten von Lenni, dass er „gleich“ kommt. Dies gelingt ihm nicht, denn es gibt noch so viel zu tun. Aber als er dann soweit ist, haben plötzlich die Eltern anderes vor.
Dieses Bilderbuch thematisiert eine in Familien mit Kindern stets aktuelle Verhaltensweise. Es geht um das Wörtchen „gleich“, das Kinder, aber auch Eltern in ihrem gemeinsamen Alltag sehr häufig verwenden, um für vermeintlich ganz wichtige Dinge noch ein wenig Zeit „herauszuschinden“, während eigentlich ein anderes Familienmitglied bereits wartet.
Inhalt:
Es ist ein ganz normaler Tag in Lennis Familie. Seine Eltern rufen ihn zum Frühstück, doch ihm fällt alles Mögliche ein, was er vorher noch tun muss und was für ihn wichtig ist. Also ruft er „gleich!“ Und so geht das eine ganze Zeit weiter. Endlich ist Lenni startklar für den Ausflug zum Waldspielplatz, doch da fällt Mama noch etwas ein, was sie unbedingt erledigen muss, und spannt Lenni und seinen Papa dafür ein.
Nun haben die Eltern ständig etwas vor und sagen dauernd „gleich“, auch als Lenni ihnen etwas ganz Wichtiges zeigen will, was wirklich keinen Aufschub duldet. Ein Regenbogen muss nämlich sofort angeschaut werden. JETZT. Mama und Papa wird bewusst, wie sie mit dem Wörtchen „gleich“ umgehen. Sie erwarten von Lenni, dass er sofort fertig ist, während sie dann ihrerseits keine Zeit für ihn haben. Eine Entschuldigung erfolgt umgehend.
Bewertung:
Welche Eltern kennen nicht diese Situation? Man möchte los zum Kindergarten oder zu einem wichtigen Termin und die Kinder sind nicht fertig. Sie trödeln und haben alle Zeit der Welt, während die Eltern immer nervöser und ungeduldiger werden. Dass aber auch sie selbst sich oft genug nicht von ihren Aufgaben losreißen können und mit einem „gleich!“ Aufschub einfordern, wird ebenso witzig wie kindgerecht mit verschiedenen Beispielen angesprochen. Ganz bestimmt fühlen sich da so manche vorlesende Eltern ein wenig ertappt, wenn sie hier den Spiegel vorgehalten bekommen. Ein sehr empfehlenswertes Bilderbuch zum gemeinsamen Anschauen und darüber reden.
Warum du schweigst

Von Martin Schäuble
- Verlag: Fischer Sauerländer
- ISBN: 978-3-7373-4361-9
- Preis: 14,90 Euro
- Seiten: 227
- Altersempfehlung: ab 13 Jahren
Die 15-jährigen Lena wird Opfer von sexualisierter Gewalt, die durch ihren Fußballtrainer ausgeübt wird. Gemeinsam mit anderen Opfern schafft sie es schließlich, ihm das Handwerk zu legen.
Mit seinem Roman über sexualisierte Gewalt im Sport gelingt es dem Autor, die perfiden Täterstrategien aufzuzeigen und die extremen Auswirkungen und Folgen für die Opfer begreifbar zu machen. Gleichzeitig ist es ein aufrüttelnder Appell gegen das Wegsehen und Schweigen. Ein wichtiges Buch!
Inhalt
Die 15-jährige Lena ist seit ihrem fünften Lebensjahr leidenschaftliche Fußballspielerin. Als Charly der neue Trainer wird, ist sie begeistert, denn er intensiviert das Training und versteht die Mannschaft zu motivieren. Rasch stellen sich Erfolge ein. Charly umschmeichelt Lena, macht sie zur Mannschaftskapitänin und suggeriert ihr, dass er von ihrer spielerischen Leistung, aber auch von ihrem Äußeren sehr angetan ist.
Während auch die Eltern von ihm begeistert sind, fühlt sich Lena jedoch in seiner Nähe zunehmend unwohl. Sie empfindet seine Art mit ihnen zu reden und insbesondere seine ständigen körperlichen Berührungen, die sie sowohl bei sich als auch bei den anderen Mädchen wahrnimmt, als höchst unangenehm. Trotzdem sagt sie nichts, weil sie sich unsicher ist, ob das nicht vielleicht doch in der Trainingssituation „normal“ ist. Auch zwischen den Mädchen im Team ist kein Gespräch über Charlys Verhalten möglich. Charly seinerseits wird ruppig, als Lena versucht, ihn in seine Schranken zu weisen, und wirft ihr vor, „zickig“ zu sein. Immer dreister drängt er sich in Lenas Leben. Schließlich vergewaltigt er Lena in ihrem eigenen Zimmer. Erst recht halten nun Scham und Angst sie davon ab, sich einem Erwachsenen anzuvertrauen.
Gleichzeitig entwickelt sich in dieser Zeit eine zarte Beziehung zwischen Lena und dem gleichaltrigen Tim. Allerdings kann sie sich, sobald sie sich körperlich näherkommen, nicht auf ihn einlassen, weil immer Charly und seine Übergriffe zwischen ihnen stehen, ohne dass sie Tim die wahren Gründe für ihr Verhalten erklären könnte. Tim spürt, dass etwas nicht stimmt, und reagiert sehr sensibel und einfühlsam, ist aber völlig ratlos angesichts ihres Schweigens. So hält er einfach weiter Kontakt und versichert ihr immer wieder, für sie da zu sein.
Erst als ein anderes Opfer von Charlys Übergriffen auf Lena zukommt, wendet sich das Blatt zum Guten. Charly wird angezeigt und Lena beginnt im Rahmen einer Psychotherapie, das Erlebte zu verarbeiten.
Bewertung
Martin Schäuble hat für seinen Roman, den er im Wechsel aus der Perspektive von Lena und Tim erzählt, intensiv recherchiert, zahlreiche Gerichtsakten durchgearbeitet und intensiv mit vielen von Missbrauch im Sport Betroffenen gesprochen, um so realitätsnah und authentisch wie möglich zu erzählen. Die Erfahrungen der Betroffenen sind in Lenas fiktive Geschichte mit eingeflossen. Die Außerperspektive ist mit der Figur von Tim verkörpert. So gelingt es dem Autor aufzuzeigen, mit welch perfiden Methoden und Strategien die Täter vorgehen, um sich an ihre Opfer heranzumachen und sie sich gefügig zu machen, und welche Folgen das für die Betroffenen hat. Charakteristisch ist leider, dass Scham und Angst diese daran hindern, sich frühzeitig Unterstützung zu holen, während die Menschen in ihrem Umfeld, denen etwas auffällt, aus Unsicherheit wegsehen.
Im Roman ist von einem „Vorsitzenden“ die Rede. Er steht exemplarisch für das Verhalten der Vorstände in den Sportvereinen, die versuchen, derartige Vorfälle zu vertuschen, damit der Ruf des Vereins keinen Schaden nimmt. Dabei ist es ihnen gleichgültig, welche Folgen das für die Opfer der Übergriffe hat.
Wie Schäuble in seinem Nachwort feststellt, spricht die Forschung von jährlich „mehreren hunderttausend Fällen in deutschen Sportvereinen“, in denen Sportlerinnen und Sportler Opfer von sexualisierter Gewalt und Missbrauch werden. Schäubles Ziel: Er will informieren und aufrütteln und die Menschen dazu zu veranlassen, nicht wegzusehen, sondern einzuschreiten. Gleichzeitig appelliert er an vom Missbrauch Betroffene, nicht zu schweigen, sich nicht zu verstecken, sondern „laut“ zu werden. Dies gelingt ihm mit seinem fesselnden Roman, der unter die Haut geht und erschüttert und dem man viele Leserinnen und Leser – insbesondere auch erwachsene – wünscht, hervorragend. Wichtig wäre es, dass Jugendlichen erwachsene Ansprechpartner zur Verfügung stünden.
Auf der Website des Autors bzw. des Verlags steht gut ausgearbeitetes Unterrichtsmaterial für die Jahrgangsstufen 7 bis 9 zum Download zu Verfügung.
Mein Körper gehört mir - auch im Sport!

Von Dagmar Geisler
- Illustrationen von Nikolai Renger
- Verlag: Loewe
- ISBN: 978-3-7432-1643-3
- Preis: 12,95 Euro
- Seiten: 44
- Altersempfehlung: ab 7 Jahren
Ungern lässt sich Nora von ihrem Trainer Sven Hilfestellung beim Turnen geben, denn die Art, wie er sie anfasst, fühlt sich falsch an. Wie gut, dass sie sich ein Herz fasst und ihr Problem anspricht! So können sie alle darüber sprechen.
Ein wichtiger Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt ist es, mit ihnen immer wieder offen über das Problem zu sprechen, ihnen Worte dafür an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Gefühle deutlich benennen können, bzw. Strategien aufzuzeigen, wie sie sich schützen können. Eine gute Hilfe dabei ist das vorliegende Buch, das sich des Themas in kindgerechter Weise annimmt.
Inhalt
Nora liebt Turnen. Ihre Mannschaft wird von Sven und Julia trainiert. Wenn Sven allerdings an der Reihe ist, gefällt Nora das Turnen gar nicht. Denn bei seiner Hilfestellung fühlt es nicht richtig an, wie er zufasst. Sie haben in der Schule darüber gesprochen, dass man sich in einem solchen Fall gegen das Anfassen wehren soll.
Obwohl es ihr sehr schwerfällt, spricht Nora das Problem vor versammelter Mannschaft an. Sven reagiert sofort, indem er das Turnerinnenteam gemeinsam mit Julia zum Gespräch bittet. Er lobt Nora für ihren Mut, ihr Problem offen anzusprechen, und gemeinsam überlegen sie, welches die beste Lösung ist.
Er erzählt seinen Zuhörerinnen aber auch, dass ihm das Thema sehr am Herzen liegt, weil er selbst als Kind Opfer von Übergriffen seines Trainers geworden ist. Er habe sich damals lange nicht gewehrt vor lauter Angst, dass er dann nicht mehr der der Lieblingsturner seines Trainers sein könnte. Später habe er sich dann wegen seines anfänglichen Schweigens schuldig gefühlt und sich deshalb nichts zu sagen getraut. Das Problem habe sein ganzes Leben verdüstert, bis er sich schließlich dann doch seiner Mutter anvertraut habe, die ihm geholfen habe.
Bewertung
Obwohl die Öffentlichkeit längst dafür sensibilisiert ist, dass es in Sportvereinen häufig zu Übergriffen und sexualisierter Gewalt kommt, ist dies leider nach wie vor ein Thema. Besonders wichtig ist es daher, auch mit jüngeren Kindern über dieses Problem zu sprechen, ohne sie zu überfordern. Dagmar Geislers Buch macht es Erwachsenen leicht, mit Grundschulkindern darüber ins Gespräch zu kommen.
Anhand von Noras in einfachen, kindgerechten Worten erzählter Geschichte zeigt sie auf, dass es wichtig ist, über ungute Gefühle im Sport zu sprechen, und wie der richtige Umgang mit einer solchen Situation ist. Durch die Erzählung des Trainers wird für die Kinder begreifbar, was aus anfänglich nur „komischen“ Berührungen werden kann und welche Auswirkungen solche Übergriffe auf die Seele des Betroffenen haben. Die liebevollen Illustrationen veranschaulichen das Erzählte und machen in idealer Weise die Gefühle der Protagonisten deutlich.
Sozusagen im dritten Teil der Geschichte überlegen die Kinder in Noras Turnverein, inwiefern sie auch in anderen Situationen auf ihren Körper und seine Signale achten sollten. Angesichts von Leistungsstreben und Ehrgeiz von Trainer:innen und Eltern ist dies sicher ebenfalls ein wichtiger Aspekt im Rahmen des Themas „Mein Körper gehört mir – auch im Sport“.