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Übertrittsregelung muss pädagogisch vertretbar sein Startseite Topmeldung
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Tanz ums goldene Kalb

Piazolo ist sich sicher, durch die Beschränkung der Proben auf maximal 14 einen fairen Übertritt zu gewährleisten. Der einzig faire Weg lautet für Fritz Schäffer, Leiter der BLLV-Abteilung Schul- und Bildungspolitik, aber: Freigabe des Elternwillens.

Dieses Schuljahr ist eines, wie es Bayern seit dem Zweiten Weltkrieg keines mehr erlebt hat. Seit der ersten Schulwoche bestimmten Abstandsregeln und Hygienepläne den Schulalltag. Doch während bis in den Herbst hinein zumindest noch in ganz Bayern regulärer Unterricht stattfinden konnte, herrscht seither, anfangs nur in einigen Regionen, seit Mitte Dezember dann im ganzen Freistaat der Ausnahmezustand. Über zwei Monate fand überhaupt kein Präsenzunterricht in den Klassenzimmern statt. In manchen Regionen, wie zum Beispiel dem Landkreis Tirschenreuth oder Berchtesgaden, haben die Schülerinnen und Schüler das Schulhaus seit November noch nicht einmal betreten und es ist auch nicht absehbar, dass sich dies in den nächsten Wochen ändern könnte.

Besondere Umstände erfordern besondere Maßstäbe und Regeln

Besondere Umstände erfordern besondere Maßstäbe und Regeln. Das KM reagierte also mit Ausnahmeregelungen, die fast alles, was bisher für Bayerns Schulen galt, zur Disposition stellte. In jeder Schulart wurde der Umfang der Lehrpläne ebenso reduziert wie die Zahl der Leistungserhebungen.

Ein besonderes Problem stellen allerdings die Abschlussklassen dar. Es ist gut nachzuvollziehen, dass jeder Abschluss einer Schullaufbahn, egal ob durch den qualifizierten Hauptschulabschluss, den mittleren Abschluss oder das Abitur, nicht als minderwertig gelten darf. Er begleitet einen das gesamte Arbeitsleben. Deshalb war es richtig, dass hier versucht wurde, einen Kompromiss zwischen den Qualitätsansprüchen auf der einen Seite und Rücksichtnahme auf die besonderen organisatorischen und pädagogischen Umstände dieses Schuljahres auf der anderen Seite zu finden.

An den Grundschulen wird lediglich eine Übertrittsentscheidung getroffen, kein Abschluss gemacht

Ganz anders sieht jedoch die Situation jedoch an den Grundschulen aus. Hier wird kein Abschluss vergeben, sondern lediglich eine Übertrittsentscheidung getroffen, die in mehr als einem Drittel der Fälle sowieso keinen Bestand über die gesamte Dauer der Schulzeit besitzt, da die Schülerinnen und Schüler irgendwann doch wieder auf andere Schularten wechseln.

Grundschulabitur ist kein Witz mehr, sondern traurige Realität in den Köpfen

Doch seit Jahren wird der Bohei, der um diese Übertrittsentscheidung gemacht wird, immer absurder. Das Wort vom Grundschulabitur ist längst kein Witz mehr, sondern spiegelt leider die Realität in vielen Köpfen wider. Aber: Der Übertritt ist eben keinesfalls vergleichbar mit einem Schulabschluss, das Schulsystem ist ja, wie KM und Mehrheitsfraktionen immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen, so herrlich durchlässig!

In fast allen deutschen Bundesländern liegt die Entscheidung in der Hand der Erziehungsberechtigten - außer in Bayern

Fast in allen deutschen Bundesländern liegt deshalb diese Entscheidung in der Hand der Erziehungsberechtigten. Nirgends ist sie so eng gebunden an die Ziffernoten in drei Fächern. Dadurch steigt der Druck auf die Kinder, die Familien und auch auf die Lehrkräfte enorm. Solange alles an diesen drei Noten hängt, wird um jede dieser Noten gefeilscht und gekämpft.

Dies wirft seit Jahren einen schweren Schatten auf die Grundschule. Doch in einem Ausnahmejahr wie diesem gleitet diese Prozedur vollends ins Absurde ab. Erst wurde die Anzahl der für die Bildung der Ziffernnote notwendigen Probenzahl sukzessive immer weiter gesenkt, bis sie schließlich völlig freigegeben wurde. Damit ist sichergestellt, dass jeder Notenschnitt, völlig unabhängig, wie das Schuljahr an der jeweiligen Schule verlaufen ist, juristisch abgesichert ist. Ob dies auch vor Gerichten standhält, sei dahingestellt und wird vielleicht auch noch aufgrund von Klagen überprüft werden. Aber dass es sich hier um ein pädagogisches Fiasko handelt, liegt klar auf der Hand.

Lehrkräfte und Schulen haben die Wahl zwischen Pest und Cholera

Entweder basieren die weiterhin alles entscheidenden Noten auf einigen wenigen Proben, die im Herbst geschrieben wurden. Oder man versucht jetzt, nach Öffnung der Schulen, so schnell und so viel wie möglich noch Noten heranzubringen. Die Lehrkräfte und Schulen stehen also vor der Wahl, ihre Entscheidung entweder im Wesentlichen auf einige wenige Leistungen, die länger als ein Vierteljahr zurückliegen, zu gründen, oder neunjährige Kinder, die nach Monaten des Distanzunterricht in einer unsicheren und belastenden Situation wieder in die Schule gehen, nach einer Woche Karenzzeit, die großzügig gewährt wird, sofort einem Prüfungsmarathon zu unterziehen.

Und dieses Szenario basiert noch auf dem Idealfall, dass die Grundschulen überhaupt wieder ihren Betrieb aufnehmen durften. Im Moment steigt jedoch von Tag zu Tag die Zahl der Landkreise und Städte, die wieder zum Distanzunterricht verpflichtet sind. Mittlerweile wird sogar im Ministerium überlegt, ob man die vierten Klassen nicht analog zu den neunten, zehnten und zwölften Klassen der entsprechenden Schularten zu Abschlussklassen erklären soll um sie unabhängig von der Inzidenz in die Schulen zwingen kann. Gesundheitsrisiko und psychische Belastung werden ausgeblendet, weil am Übertritt aufgrund der drei Noten unter keinen Umständen gerüttelt werden darf!

Zumindest in diesem Ausnahmejahr muss der Elternwille gelten

Der BLLV appelliert daher dringend, diese unsensible und unpädagogische Regelung zu ändern und zumindest in diesem Schuljahr den Übertritt auf weiterführende Schularten nach verpflichtender Beratung durch die Lehrkräfte in die Verantwortung der Erziehungsberechtigten zu legen.

Das Kultusministerium lässt aus ideologischer Starrhalsigkeit jedes pädagogische Augenmaß vermissen. Egal, was passiert, der Tanz um das goldene Kalb Übertritt darf nicht ausfallen. Dies ist umso unverständlicher, als in fast allen anderen Bundesländern Deutschlands der Übertritt deutlich weniger rigide geregelt ist. Zumindest in einen Ausnahmejahr wie diesem wäre dem Ministerium kein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn es auf die Beratung durch die Lehrkräfte und die Verantwortung der Eltern vertrauen würde!

Autor: Fritz Schäffer, BLLV-Abteilungsleiter Schul- und Bildungspolitik


Schule in Zeiten der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie zeigt den hohen gesellschaftlichen Wert von Schule. Damit sie trotz akutem Lehrermangel funktionieren kann, fordert der BLLV in einer politischen Erklärung, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in maximalen Gesundheitsschutz für Lehrkräfte umzusetzen, insbesondere im wichtigen Präsenzunterricht. Entscheidungen und deren Kommunikation müssen regional, klar, verlässlich, frühzeitig und transparent sein und schulische Eigenverantwortung stärken. Fairness muss vor Leistungsdruck gehen, digitale Ausstattung schnell verbessert werden. Jetzt ist nicht die Zeit für einfache Lösungen und Polemik. Aber jetzt ist die Zeit für langfristig tragende Konzepte für Arbeitsbedingungen, Multiprofessionalität und Attraktivität, um so Bildungsqualität auch über Corona hinaus zu sichern. Dazu braucht es einen konstruktiven Diskurs aller an Schule Beteiligten, für den der BLLV bereit steht. » Die politische Erklärung im Wortlaut