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Schulen sind Lernräume und keine Sortieranstalten!

Italien führt Mussolinis Betragensnote wieder ein, inklusive Sitzenbleiben. Bild feiert sogleich die Rückkehr der Rohrstockpädagogik. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Bei solchen Maßnahmen schütteln Profi-Pädagogen nur den Kopf, denn gelernt wird so gar nichts.

Im Jahr 1924 hat Benito Mussolini erstmals die „Voto di condotta“ eingeführt: Die Regel der faschistischen Regierung besagte, dass Schüler, die zu oft den Unterricht stören und daher eine schlechte Betragensnote erhalten, die Klasse wiederholen müssen. Genau diese Regelung hat die rechtspopulistische Regierungschefin Giorgia Meloni nun reaktiviert. Ab der Mittelstufe gilt: Wer von zehn möglichen Punkten in dieser Note fünf oder weniger stehen hat, bleibt sitzen.

„Also da zieht’s einem schon ein bisschen den Boden unter den Füßen weg, bei so einem Rollback“, wundert sich BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch darüber bei Radio Charivari und stellt klar: „Als professionelle Pädagoginnen und Pädagogen wissen wir genau, wie wir uns Respekt verschaffen. Das erreichen wir doch nicht dadurch, dass wir denjenigen mit drei Punkten bewerten, der den Unterricht stört oder nicht respektvoll mit dem Lehrer umgeht – und ihn dann auch noch sitzen bleiben lassen!“

Grenzen sind wichtig

Doch kaum, dass die Nachricht die Runde machte, faselte die Bild Zeitung unter dem Titel „Mehr Respekt im Klassenzimmer“ davon, dass Leistungsstarke unter Störern leiden würden, die aber auf diese Weise bestimmt Respekt lernen würden.

Natürlich braucht es bei Grenzüberschreitungen und Gewalt Sanktionen, stellt auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dazu klar: „Da braucht es restriktive Maßnahmen, das muss zurückgewiesen werden, das muss anerzogen werden.“

Wird Respekt durch Strafe gelernt oder durch Einsicht?

Doch damit ist es aus pädagogischer Sicht nicht getan: „Wenn wir sagen: ‘Du hast jetzt drei von zehn Punkten, jetzt bleibst du sitzen!‘ Was soll denn da anders werden, was lernt der denn dann?“, fragt Simone Fleischmann. „Wir sind eine pädagogische Einrichtung, da geht’s ums Lernen! Noten und Sitzenbleiben bringen schon nichts, wenn es um normale Lernerfahrungen geht, also um Mathe oder Deutsch: Da haben wir aus der Wissenschaft gelernt, dass Sitzenbleiben keinen Kompetenzzuwachs bringt, sondern dass Förderung etwas bringt. Wenn wir also merken, dass Schüler sich nicht betragen können, dann müssen wir mit ihnen ins Gespräch kommen, müssen ihnen Chancen bieten – überlegen, wie sie daraus etwas lernen können.“

Das setzt natürlich voraus, dass man überhaupt möchte, dass sich Kinder und Jugendliche an Schulen tatsächlich weiterentwickeln. „Der Bildungserfolg von Kindern ist das Wichtigste, was wir brauchen“, betont die BLLV-Präsidentin dazu. „Der Weg, dann einfach auszusortieren und, wie in der Bild gesagt, zur Rohrstockpädagogik zurückzukehren, ist dann wirklich retro und das kann nicht sein.“

Fördern statt kategorisieren

Wer es also mit Respekt als Wert des sozialen Miteinanders wirklich ernst meint, der sollte sich auch bewusst machen, welche Geisteshaltung und welches Menschenbild hinter solchen Regelungen stehen, meint Simone Fleischmann: „Es mag ja sein, dass ein ganz bestimmter Teil der Bevölkerung – wir wissen ja, zu welcher Ecke der Politik Frau Meloni gehört – sagt: ‘Das ist genau richtig, Disziplin muss her, Disziplin geht nur, wenn wir aussortieren. Und die, die nicht diszipliniert sind, müssen weg.‘ Das ist aber keine Pädagogik, sondern das ist eine Einstellung von vor Jahrzehnten und eine Einstellung, die eben nicht pädagogisch ist!“

So etwas widerspricht komplett dem Anspruch und dem professionellen Selbstverständnis, das Pädagoginnen und Pädagogen an schulische Arbeit stellen, betont BLLV-Präsidentin Fleischmann: „Wenn wir Leistung schon scharf messen, Kinder aussortieren und umsortieren und dann jetzt auch noch den Leistungsbegriff derart auf das Verhalten ausweiten, dass wir nicht nur das Betragen anschauen und rückmelden, sondern auch noch benoten und dann das Betragen auch noch zum Aussortieren führen kann – dann sind wir in einer Pädagogik der 60er-Jahre angelangt! Dann brauchen wir uns auch nicht mehr beschweren, dass Schule keine Freude mehr macht und dass Kinder nicht mehr motiviert sind. Denn dann ist die Schule nicht mehr Lern- und Lebensraum, sondern nur noch Sortieranstalt!“