BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann in der BR Frankenschau
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann in der BR Frankenschau
Thema "Schulabbruch" in der Frankenschau des Bayerischen Rundfunks Startseite Topmeldung
Mittelschule Bildungsgerechtigkeit Individuelle Förderung Teamlehrkräfte

"Eigentlich können wir uns Schulabbrüche als Gesellschaft gar nicht leisten"

Mehr als 27 % der Kinder in Hof haben 2021 die Schule ohne Abschluss verlassen. Mit zusätzlicher Förderung werden die Zahlen seitdem besser. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann erklärt, wie wir Kinder besser fördern und Lehrkräftemangel beseitigen.

Die oberfränkische Stadt Hof sorgte laut Frankenschau 2021 für negative Schlagzeilen mit der höchsten Schulabbruchsquote bundesweit. Laut der Zahlen einer Studie der Bertelsmann Stiftung hatten rund 27 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Hof die Schule ohne Abschluss verlassen. Die Politik hat inzwischen reagiert und setzt auf zusätzliche Förderung mit Projekte wie “extra Chancen nutzen” (externer Link) oder “FISCH - Familie in der Schule” (externer Link). Inzwischen werden die Zahlen besser. Die Frankenschau beleuchtet die Situation im Gespräch mit Lehrkräften, Schüler:innen, einer Familienpädagogin und dem örtlichen Schulrat sowie mit BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann, die der Sendung zugeschaltet wurde. 

Mehr individuelle Förderung – keine Zwangsmaßnahmen

Die Schulen setzen auf unterschiedlichste Maßnahmen um möglichst vielen Jugendlichen einen Abschluss zu ermöglichen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass härter gegen das "Schule schwänzen" vorgegangen wird. Trotzdem hängt am Ende Vieles an der Finanzierung der laufenden Projekte und natürlich auch an der individuellen Förderung und der Arbeit in Kleingruppen. Deshalb geht es beim Thema “Schulerfolg” auch immer um Ressourcen, Finanzierung und letztlich den Lehrkräftemangel. Simone Fleischmann fokussierte im Gespräch auch ganz klar: Lehrkräftemangel bewältigen heißt entweder, die Attraktivität des Berufs wieder steigern und damit mehr Menschen für die Schule gewinnen, oder – wenn dies kurzfristig nicht gelingt – weniger Aufgaben für die bestehenden Lehrkräfte. Was laut Fleischmann dann eben gerade nicht geht ist, die Stundenzahl für die Lehrer:innen hochsetzen, Mehrarbeit erzwingen, Teilzeitmöglichkeiten einschränken oder die Klassen vergrößern.

Und Fleischmann betont, wie wichtig es ist, die Kinder zu unterstützen - für die Kinder selbst und die gesamte Gesellschaft: “Jedes Kind, das die Schullaufbahn nicht erfolgreich absolviert, fühlt sich irgendwie als Verlierer. Das Kind wird spüren: Ich genüge nicht. Ich passe nicht. Ich falle durch. Diese Erfahrungen sind extrem negativ und prägend für die Kinder. Und wir können es uns gar nicht leisten, dass ein junger Mensch rausfällt und die Erfahrung macht, dass er die Schule abbrechen muss und dass er nicht dazugehört. Eigentlich ist es Aufgabe des Schulsystems, jedem Kind gerecht zu werden. Aber das fällt uns halt verdammt schwer, wenn wir in Zeiten des Lehrkräftemangels, gerade an den Mittelschulen, nicht die Zeit haben, jedes Kind individuell abzuholen. Der Schlüssel zum Erfolg ist das Personal. Nur fallen die Lehrerinnen und Lehrer eben nicht vom Himmel. Wenn wir also zu wenig Lehrkräfte haben, müssen wir uns anders behelfen. Wie können wir mal Kleingruppen bilden? Wie können wir gut fördern? Wie können wir individuell auf einzelne Stärken und Schwächen von Kindern eingehen?”



Weniger Aufgaben für die Schule und die Lehrkräfte! 

Simone Fleischmann hatte es schon eingangs des Interviews erwähnt: Wenn wir kurzfristig nicht mehr Lehrkräfte bekommen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir die bestehenden Lehrerinnen und Lehrer entlasten, damit sich diese wieder mehr dem einzelnen Kind und der Förderung widmen können. Und auch Moderator Rüdiger Baumann treibt die Frage um: Woher kommen die vielen Aufgaben an den Schulen? Müssen dort heute zu viele Dinge in Ordnung gebracht werden, die anderswo gesellschaftlich falsch laufen? 

“Na ja, es ist schon so, dass wir als Gesellschaft eine hohe Erwartungshaltung an die Bildung haben. Was wollen wir denn, dass junge Menschen lernen? Natürlich sollen sie lesen, rechnen und schreiben können. Sie sollen Fremdsprachen beherrschen. Sie sollen resilient sein, sie sollen demokratiefähig sein. Sie sollen verstehen, wie man sich beteiligt, wie man partizipiert – so viele Dinge, die wir von den Schulen und von der Bildung fordern. Es liegt auf der Hand, dass wir als Gesellschaft Vieles nicht schaffen, was dann die Schule richten soll. Nur: Wenn wir es schon nicht schaffen, allen Kindern im Lesen, Rechnen und Schreiben die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, wie sollen wir denn dann den Rest schaffen? Wir sind an den Schulen einfach zu wenige!”, so die BLLV-Präsidentin. 

Was müssen Schulen heute leisten?

Und Fleischmann ergänzt: “Wir müssen erst einmal überlegen: Was ist denn eigentlich Auftrag von Bildung und von Schule? Was ist uns jetzt und heute verdammt wichtig? Und das ist natürlich Lesen, Rechnen, Schreiben, also die Grundkompetenzen. Und es sind andererseits natürlich auch Kompetenzen wie Demokratiebildung. Wir merken doch, was gerade in der Welt passiert. Wollen wir da die Kinder nicht vorbereiten auf eine demokratische Welt der Zukunft? Ich sage ja! Und wir als Lehrerinnen und Lehrer sagen ja. Aber dann können wir eben nicht auch noch den Radl-Führerschein machen, den Kindern das Schwimmen beibringen und ihnen beibringen, wie sie sich richtig ernähren. Immer und immer mehr wird nicht funktionieren bei nicht ausreichendem Personal.”