Der Weltmännertag am 19. November 2024 und der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2024 liegen dicht beieinander. Obwohl diese beiden Gedenktage historisch unabhängig voneinander entstanden sind, wirft ihre zeitliche Nähe ein Schlaglicht auf einen gemeinsamen gesellschaftlichen Zusammenhang: Die Auswirkungen von Gewalt, Männlichkeitsnormen und patriarchalen Strukturen auf Frauen und Männer gleichermaßen.
Gewalt gegen Frauen: Ein ungelöstes Problem
In seinem Buch „Was Männer kosten. Der hohe Preis des Patriarchats“ legt Boris von Heesen deutlich dar, dass Frauen zu über 80 Prozent Opfer partnerschaftlicher Gewalt sind. Jede Stunde erleben 13 Frauen in Deutschland Gewalt – mit verheerenden Folgen: persönliche Traumata, gesellschaftliche Belastungen und immense Kosten, die jährlich in die Milliarden gehen. Diese Gewalt ist jedes Mal eine persönliche Tragödie, aber auch Ausdruck tief verwurzelter kultureller Muster.
Wie der amerikanische Soziologe Michael Kimmel betont, sind es keine biologischen Faktoren wie Testosteron, die zu Gewalt führen. Stattdessen sieht er das Problem in ungesunden gesellschaftlichen Normen, die Gewalt gegen Frauen dulden. Männer schlagen nicht ihre Chefs, von denen sie schikaniert werden – weil es tabu ist. Gewalt gegen Frauen hingegen wird durch kulturelle Muster begünstigt, so Kimmel.
Männer leiden ebenfalls unter patriarchalen Strukturen
Während patriarchale Strukturen Frauen oft zu Opfern machen, zeigen Studien, dass auch Männer stark unter diesen Normen leiden. Wie von Heesen aufzeigt, dominieren Männer die Statistiken in Bereichen wie Kriminalität, Sucht, Unfällen und Gewalt – mit hohen Kosten von jährlich mindestens 63 Milliarden Euro für die deutsche Gesellschaft. Und wird ein Mann Opfer von partnerschaftlicher Gewalt (immerhin fast 20 % der Betroffenen), wird ihm oft nicht geglaubt oder die Erfahrung wird als Schwäche und Versagen abgetan.
Das traditionelle Männerbild verlangt Stärke, Konkurrenzfähigkeit und Selbstkontrolle. Vor allem das Konkurrieren müssen darum, wer der Stärkste, Reichste, Klügste, Erfolgreichste ist, hat einen verhängnisvollen Fehler eingebaut: An der Spitze ist nur für einige Wenige Platz. Deshalb scheitern bei diesem Wettkampf viele Männer. Nur ein kleiner Teil profitiert davon. Dies führt zu Stress, risikoreichem Verhalten und einer hohen Suizidrate: Weltweit ist diese bei Männern dreimal so hoch wie bei Frauen, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Forschungen (z.B. der Universität Leipzig um Dipl.-Psych. Cora Spahn) zeigen, dass Männer in Krisen weniger Hilfe annehmen, da gesellschaftliche Klischees Schwäche stigmatisieren.
Es gibt außerdem Theorien, dass es eine spezifische „Male Depression“ gibt, die sich nicht in bekannten Depressionssymptomen äußert, sondern eher durch Gewalt, Aggression oder Substanzmissbrauch Ausdruck findet und deshalb nicht erkannt wird – oft nicht mal von den Betroffenen selbst.
Gleichberechtigung bringt Vorteile für alle
Erhebungen beweisen, dass Männer in gleichberechtigteren Gesellschaften zufriedener und gesünder sind. In Norwegen beispielsweise, wo Gleichstellung weiter fortgeschritten ist, liegt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen bei nur einem Jahr – in Deutschland sind es fünf Jahre. Gleichstellung senkt den Stress, den traditionelle Rollenbilder erzeugen, und erhöht das Wohlbefinden aller Geschlechter.
Initiativen und Herausforderungen in Deutschland
Es gibt Initiativen, die versuchen, die Situation zu verbessern. Ein Beispiel ist das Nürnberger Projekt „Jungen- und Männergesundheit“, das 2018 ins Leben gerufen wurde. Unter Leitung des Gesundheitsamts Nürnberg und des Männerbeauftragten der Gleichstellungsstelle arbeiteten Akteure wie das Jungenbüro, Fliederlich e.V. und die AIDS-Hilfe daran, männerspezifische Zugänge zu Beratung und Unterstützung zu schaffen. Regelmäßige Fachvorträge lieferten wichtige Infos über den aktuellen Forschungsstand zu Jungen- und Männergesundheit deutschlandweit. Auch Arthur Eichner und Claudia Nußmann waren als Vertretende aus dem Referat GLEICHBERECHTIGT! des BLLV dabei und konnten wichtige Impulse liefern, wie eine Ansprache von Schülern gelingen kann.
Eine qualitative Erhebung im Rahmen des Projekts unter Nürnberger Männern zeigte, dass es zwar großen Bedarf an Beratung gibt, aber wenig Kenntnis über bestehende Angebote.
Dieses Projekt endete 2024 aufgrund ausbleibender Finanzierung, hinterließ jedoch ein wertvolles Netzwerk und Vorbildwirkung für andere Städte. Das nächste Projekt in Nürnberg wird sich der geschlechtersensiblen Medizin widmen, um spezifische Bedürfnisse von Männern und Frauen im Gesundheitssystem stärker zu berücksichtigen.
Ein Aufruf zur Veränderung
Die Frage bleibt: Warum als Gesellschaft weiterhin patriarchale Strukturen akzeptieren, die Frauen schaden, Männer unglücklich machen und mit enormen Kosten für uns alle verbunden sind? Warum nicht mehr in Bildung, Prävention und Beratungsangebote für Jungen und Männer investieren?
Das Referat GLEICHBERECHTIGT! des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) unterstützt Initiativen, die frühkindliche und schulische Bildung nutzen, um gesunde Rollenbilder zu fördern. Die Vision ist eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichermaßen von Gleichberechtigung profitieren – für ein besseres Zusammenleben ohne Gewalt und Zwang.