In der Sendung „Schulkonflikte“ bei Deutschlandfunk Kultur sind sich Eltern, Lehrkräfte und Experten einig: Die Zahl und die Schwere der Auseinandersetzungen nehmen einerseits zu. Andererseits sind manche Eltern, mit denen ein pädagogischer Dialog über für die Kinder enorm wichtig wäre, für Lehrkräfte schlicht nicht greifbar.
Dabei ist aus wissenschaftlicher Sicht ganz klar: Bildung gelingt am besten, wenn Schule und Elternhaus kooperieren, gerade angesichts zunehmender gesellschaftlicher Herausforderungen. Deswegen macht sich der BLLV für eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft stark.
Entscheidungen über Lebenschancen sind emotional aufgeladen
Doch die Realität sieht leider häufig anders aus, berichtet Präsidentin Simone Fleischmann bei Deutschlandfunk Kultur: „Wenn Rechtsanwälte Proben oder Schulaufgaben von Kolleginnen und Kollegen anfechten, dann sind wir in einem Kampf, in einem Rechtskampf. Eigentlich befinden wir uns aber in einer Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule – da stimmt doch etwas nicht mehr!“
Der Grund ist für Fleischmann eindeutig ein pädagogisch überholtes Leistungsverständnis. Denn statt sich konstruktiv und sachorientiert über die beste individuelle Förderung der Kinder zu beraten, gibt es Streit über Ziffernnoten, die im aktuellen System enorme Konsequenzen haben, wie Fleischmann schildert: „Hier in Bayern, in der vierten Klasse, ist der Notendurchschnitt im Mai entscheidend. Welchen Bildungsgang kann ich dann wählen? Gehe ich zur Mittelschule, zur Realschule oder zum Gymnasium? Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen, wir als Lehrerinnen, vergeben Noten, die Berechtigungen ermöglichen oder nicht.“
Wenn Konflikte derart zunehmen, stimmt etwas Prinzipielles nicht
Und so wird aus der eigentlich gewünschten Beteiligung an Bildungsprozessen im schlimmsten Fall eine Belastung, die den akuten Personalmangel weiter verstärkt: „Wenn Einmischen heißt, ich brülle die Lehrerin an, ich komme wegen einer Vier in der Deutschprobe mit dem Rechtsanwalt zur Schulleiterin, oder aber ich gehe handgreiflich eine Lehrerin an, weil sie mein Kind scheinbar unfair behandelt – dann ist das ein Einmischen, das uns krank macht“, warnt BLLV-Präsidentin Fleischmann.
Lehrkräfte erleben laut Fleischmann immer häufiger, „dass Eltern sie angreifen, physisch und psychisch, dass Eltern sie in Chatgruppen beleidigen, dass Eltern gegen die Kolleginnen und Kollegen mobil machen. Wir haben ein systemisch gestörtes Verhältnis zwischen Elternhaus und Schule.“
Es liegt oft weniger an den Personen als an den systembedingten Rollen
Der Leistungs- und Übertrittsdruck, der auf Schülerinnen, Schüler und Eltern wirkt, kommt dabei nicht von ungefähr. Er hat seine Entsprechung in einer Gesellschaft, die Eltern in ähnlicher Weise in Not bringt, was sich laut Simone Fleischmann an den Schulen immer deutlicher zeigt: „Wenn ich insgesamt unter Druck gerate – das kennen wir doch alle – , dann gibt es irgendwo ein Ventil. Es ist problematisch, wenn dieses Ventil die Lehrerin ist, und somit auch das Kind. Beispielsweise geben wir eine Probe zurück, auf der eine Fünf draufsteht. Weil das Kind jetzt die Fünf in Mathe hat, kann es nicht aufs Gymnasium. Dann kommt der Vater völlig erbost, rumpelt in das Klassenzimmer, brüllt die Kollegin an, was das soll, mit dieser Fünf! Das kommt vor. Dann ist doch ganz klar: Der Vater ist unter Druck! Vielleicht ist es gerade schwierig in der Firma, vielleicht auch in der Familie. Wir erleben sehr häufig großen Leistungsdruck in der Community: Das Kind muss unbedingt zum Gymnasium!“
Damit sind die Konflikte zwischen Lehrkräften und Eltern letztlich nur die Folge einer pädagogisch höchst zweifelhaften Rollenverteilung, die sich automatisch ergibt aus der aktuellen, aber wissenschaftlich längst überholten Kultur von Leistungsrückmeldung und ihren Folgen auf die Lernbiographien von Kindern: Statt konstruktiv bei der Förderung von Fähigkeiten und Talenten zusammenzuarbeiten müssen Eltern und Lehrkräfte zu willkürlich festgelegten und deutlich zu frühen Zeitpunkten die Chancen der Kinder verhandeln.
Auf Lernerfolge ausgerichtetes Schulklima ist weniger konfliktträchtig
Deshalb plädiert der BLLV für einen zeitgemäßen, individuell prozessorientierten Leistungsbegriff und für erweiterte Formen der Leistungsrückmeldung: Diese sollten auch persönliche Entwicklungen und Engagement abbilden und damit nachhaltig motivations- und leistungssteigernd wirken. Zugleich sollten Kinder und Jugendliche wie in jenen Ländern, die – anders als Deutschland – in Studien wie PISA regelmäßig Spitzenergebnisse erzielen, länger gemeinsam lernen. Denn davon profitieren, entgegen anderslautender Einlassungen, empirisch messbar die Kinder in allen Bereichen des Leistungsspektrums. Zugleich fällt der Selektionsdruck weg.
Es gibt also nur Vorteile, denn, wie BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klarstellt: „Schulen sind Lernräume und keine Sortieranstalten!“
Wenn Eltern das im Schulalltag auch tatsächlich so erleben, dann fällt der Hauptgrund für die meisten Konflikte weg, von denen Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte aktuell massiv belastet werden.
» gesamte Sendung nachhören: „Schulkonflikte – Das schwierige Verhältnis von Eltern und Lehrern“
Ungute Rollenverteilung
Startseite Topmeldung
Konflikte zwischen Eltern und Lehrkräften: „Druck sucht sich ein Ventil“
Deutschlandfunk Kultur analysiert „Das schwierige Verhältnis von Eltern und Lehrern“. Für BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann sind die zunehmenden Konflikte eine Folge des Leistungsdrucks auf Schülerinnen und Schüler – aber auch auf Eltern.