Wie wird sich Schule durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz verändern, welche Chancen und Risiken sind damit verbunden? Dieser Frage geht auch der Podcast „Read & Talk“ nach und fragt provokant: „Quantensprung oder Verdummung?“
Als Expertin stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar, dass es gerade bei KI darauf ankommt, wofür und wie sie eingesetzt wird und in welchen pädagogischen Rahmen das eingebettet wird: „Wenn sie die Diskussion so aufziehen, dass wir zu wenige Lehrkräfte sind und es dann doch Sinn machen würde, wenn Kinder einfach mal selbstständig mit KI lernen, dann möchte ich als Präsidentin eines Lehrerverbands dringend darauf achten, dass wir mit KI nicht einfach Löcher stopfen“, betont Fleischmann. „Wir können aber Kindern lernen, sich in eigenständigen Lernphasen mit bestimmten Tools aufzuschlauen und dann mit der Lehrkraft darüber zu reden, was sie wie gelernt haben. Das geht aber nicht ohne Lehrer sondern nur mit Lehrer!“
Medienkompetenz heißt 2024 auch KI-Kompetenz
Das Argument für den Einsatz von KI im Unterricht darf aus Sicht von Simone Fleischmann generell keins der Ressourcen sein. Im Mittelpunkt muss stattdessen der Auftrag stehen, aktuelle Phänomene in den Unterricht einzubetten und Kinder und Jugendliche zu einem kritisch reflektierten Umgang zu ermächtigen. „Das Leben in Zukunft wird sehr stark durch KI beeinflusst und wird es auch jetzt schon“, gibt die BLLV-Präsidentin zu bedenken. „Die Kinder von heute sind die Zukunft von morgen, die müssen lernen, damit umzugehen. Wir brauchen also Medienkompetenz, angesetzt auf KI: Wie gehst du mit von KI produzierten Ergebnissen um, wie mit Feedback einer KI. Was macht die KI genau? Warum ist sie, wie sie ist, und an welcher Stelle musst du selbst denken?“
Deswegen gibt es für Simone Fleischmann auch klare Grenzen, etwa was die Leistungsrückmeldung angeht, bei der sich manche Entlastung für Pädagoginnen und Pädagogen versprechen. Das würde aus Sicht des BLLV zwar für das tradierte System der Ziffernnoten möglicherweise punktuell zutreffen, doch ist diese Art des Feedbacks pädagogisch grundsätzlich nicht ausreichend, wie die Präsidentin erläutert: „Gutes Feedback ist individualisiert und orientiert sich an den Stärken und Schwächen des einzelnen Kindes“, erläutert Fleischmann. „Eine Note gibt nur zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Rückmeldung. Sie muss ergänzt werden um prozessuale Rückmeldungen: ‘Du hast dich angestrengt, du kannst schon mehr als zuvor, das eine hast du gut trainiert, hier beim anderen kannst du noch nicht so viel, da geben wir dir noch Unterstützung.‘ Das alles muss rückgemeldet werden.“
Leistungsrückmeldung muss vor allem zum Weiterlernen motivieren
Gerade, weil Kinder und Jugendliche in Zukunft mit sehr vielen Entwicklungen konfrontiert sein werden, die heute noch gar nicht absehbar sind, ist eine Form der Leistungsrückmeldung eminent wichtig, die nicht nur auf den Moment der Rückmeldung fokussiert, sondern idealerweise für lebenslanges Lernen begeistert, betont Simone Fleischmann: „Wenn wir uns selbst zurückerinnern, wann uns etwas motiviert hat, dann war das, wenn ein Lehrer zum Beispiel mal gesagt hat ‘Hey, das kannst du noch besser. Überleg mal, ob du dich nochmal auf einer Lernplattform schlau machst, ob du noch einen Experten befragst oder einen Zeitzeugen.‘ Wenn wir so etwas hörten, dann wollten wir weiterlernen. Die 4 als Note hat uns dagegen demotiviert: Das kann ich noch nicht ausreichend – aber WAS kann ich denn eigentlich und WAS kann ich denn nicht? Das wurde ja durch die 4 nicht rückgemeldet. Feedback ist also die moderne Idee, Kinder intrinsisch zu motivieren und ihnen einen Lernprozess schmackhaft zu machen, ihnen auf den Weg zu geben ‘Hey, du musst doch weiterlernen und lernen sollst du auch nach der Schule noch.‘ Wir müssen für ein lebenslanges Lernen motivieren!“
KI ist nur so gut wie die Reflexion ihrer Ergebnisse
Die Rolle von KI in Feedbackprozessen sieht die BLLV-Präsidentin daher ebenfalls primär als Anstoß zur Reflexion. Sie plädiert dafür, mögliches Feedback einer KI mit Schülerinnen und Schülern zu besprechen und den Lernprozess – auch, aber nicht nur – auf der Basis dieser gemeinsamen differenzierten kritischen Betrachtung der KI-Einschätzung weiter zu begleiten. „KI ist gut – die Reflexion über das, was KI ausspuckt und rückmeldet, ist noch wichtiger“, betont Simone Fleischmann.
Damit solche Prozesse erfolgreich sind, braucht es aber einige Voraussetzungen, die in Bayern von Schule zu Schule sehr unterschiedlich sein können: „Die digitale Ausstattung – Hardware, Software, IT-Support – ist an den kommunalen Sachaufwandsträger gebunden, der dies finanziert“, erläutert die BLLV-Präsidentin. „Das Ergebnis ist daher regional sehr unterschiedlich.“ Zudem müsse der Dienstherr in Sachen KI für Lösungen sorgen, die die zurecht hohen Anforderungen an Datenschutz im Schulkontext erfüllt. „Wir brauchen etwas, bei dem du als Lehrkraft weißt, wenn ich das verwende, bin ich fein“, fordert Fleischmann.
Gute KI-Pädagogik fällt nicht vom Himmel
Das ist aber nur der erste Schritt, denn digitale Technik macht noch keinen guten digitalen Unterricht. „Man muss beides zusammendenken: die Ausstattung und die Pädagogik“, fordert Simone Fleischmann. „Wenn das Hand in Hand geht, gibt es exzellente Schulen.“
Die professionelle Einbettung von KI in den Unterricht ist dabei allerdings anspruchsvoll und muss entsprechend vorbereitet werden: „Ein Change-Prozess in einem Unternehmen mit KI oder auch im öffentlichen Dienst geht nur, wenn die Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich damit anfreunden konnten“, gibt die BLLV-Präsidentin zu bedenken. „Wir können nicht auf den Knopf drücken und sagen: ‘Jetzt machst du KI unterstützten Unterricht‘. Das muss ich lernen.“
Kritische Auseinandersetzung statt rückwärtsgewandter Verbote
Diese Art von Change-Management ist eine Aufforderung an die Politik, die Schule gestaltet und verantwortet. Aus Sicht des BLLV geht es dabei darum, Schule zukunftsfähig zu machen, damit sie wiederum Kinder und Jugendliche für ihr Leben in einer sich stark verändernden Welt fit machen kann – statt gesellschaftlicher Entwicklungen durch Verbote, wie etwa zuletzt beim Gendern, verhindern zu wollen: „Da wird kein Schuh draus“, kommentiert Simone Fleischmann. „Der Schuh wird dann draus, wenn wir Kinder von heute auf die Welt von heute und morgen vorbereiten, indem sie lernen, Demokraten zu werden, medienkritische Analysen anzustellen, indem sie überlegen ‘Was steckt eigentlich hinter dem Gendern?‘ Wenn ein Ministerpräsident sagt, ich verbiete gendern, dann will er eine gesellschaftliche Entwicklung aushebeln. Die kann aber auch er nicht qua Macht aushebeln. Wir müssen die Kinder befähigen, damit umzugehen. Wir müssen sie befähigen, KI zu reflektieren. Wir müssen sie befähigen, mit einer diversen Gesellschaft, einer heterogenen Gesellschaft, einer vielleicht antidemokratischen Gesellschaft umzugehen und sich mehr zu engagieren, zum Beispiel als Demokraten. Das geht nur, wenn wir alle Themen in der Gesellschaft in die Schule packen und annehmen!“
In der täglichen Praxis gibt es dabei leider ein große Aber, schränkt die BLLV-Präsidentin ein, nämlich den akuten Lehrkräftemangel: „Das geht eigentlich nur, wenn wir mal ein paar mehr Leute werden würden. Weil momentan sind wir tierisch überfordert mit all den Herausforderungen…“
» zum Podcast: „Read & Talk - Quantensprung oder Verdummung? KI an unseren Schulen“ (Gespräch mit Simone Fleischmann ab 18:44)
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„Kinder befähigen, KI zu reflektieren“
„Quantensprung oder Verdummung“ fragt der Podcast „Read & Talk“ zu Künstlicher Intelligenz an Schulen. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Schule kann sich vor zentralen Entwicklungen nicht verschließen, sondern muss zum kritischen Umgang anleiten.