Es scheint, der Bayerische Ministerpräsident ist derart stolz auf „sein“ Gender-Verbot, dass er auch gleich persönliche Handreichungen mitliefert, was zu tun sei, wenn sich eine böse Schule aus Bayerisch-Wokeistan unerhörterweise nicht daran hält. Im Talk der Bild – die sich den Ruf, Spaltungstendenzen zu fördern und gesellschaftlichen Frieden mit provokanten Fragen zu untergraben, täglich hart erarbeitet – antwortet Söder auf einen provokante Frage, was denn zu tun sei, wenn Eltern einen Brief einer Schule erhielten, der dem höchstpräsidialen Gender-Erlass zuwiderläuft, deshalb so: Es gebe da unterschiedliche Möglichkeiten, man könne sich gerne beschweren „in der Schule, beim Schulleiter, beim Klassenleiter selbst oder auch beim Schulforum“.
Und wenn damit der Schulfrieden noch nicht genügend beschädigt ist? Dann kann man sich natürlich auch gleich direkt beim Kultusministerium – das sich ja schon beim ministerpräsidialen Erlass zur Unantastbarkeit des Religionsunterrichts bei den PISA-Kürzungen so arg über das direkte Hineinregieren ins Klassenzimmer gefreut hatte – beschweren, dass dem Söder-Verbot nicht gehorcht wurde: „Wenn gar nichts geht, dann einfach eine E-Mail ans Kultusministerium schreiben, die sind rund um die Uhr im Einsatz und regeln die Probleme“, verspricht Söder via Bild.
Lernziel Denunziantentum?
Apropos Probleme regeln: War da nicht tatsächlich was an den Schulen mit Personalnot, Lehrermangel? Ein Problem, bei dem Stammtischparolen nicht helfen (auch wenn Söder das mit Teilzeiteinschränkungsphantasien gerne mal vorgaukelt), sondern für dessen Lösung es langfristig durchdachte Konzepte braucht (wie Kultusministerin Stolz sie dialogisch entwickeln will), und das deutlich drängender ist. Für BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann stimmen daher in der ministerpräsidialen Bildungspolitik mindestens die Prioritäten nicht, wie sie im Gespräch mit BR24 klarstellt: „Wir haben einen eklatanten Mangel an Lehrkräften, der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt immer mehr. Das sind die wichtigen Themen. Nicht, ob in einem Elternbrief 'Schüler*innen' oder 'Schülerinnen und Schüler' steht."
Apropos Zusammenhalt: Simone Fleischmann hatte kürzlich angesichts zunehmender Gewalt an Schulen einmal mehr klargestellt, dass Kinder „am Modell lernen“, sich dementsprechend eine Verrohung von Sprache und gesellschaftlicher wie politischer Diskurskultur negativ auf Schulen auswirkt. Jetzt erleben Kinder und Jugendliche also das Modell Denunziantentum, das Eltern nach Söders Vorstellungen anwenden sollen. Einen solchen „Lernerfolg“ kann niemand wollen.
Schlechtes Vorbild
„Jetzt reicht es dann irgendwann!“, schimpft Simone Fleischmann daher im Bayerischen Rundfunk. "Wenn wir jetzt auch noch anfangen, dass Eltern bestimmte Lehrkräfte wegen Formulierungen in Elternbriefen beim Kultusministerium melden – wo kommen wir denn da hin?"
Ganz sicher nicht zu einer Kultur des Miteinander und gegenseitigen Vertrauens, das die Bildungsforschung immer wieder als unerlässlich für gelingende Bildung identifiziert. Doch was stört den Regenten im Turm schon das Getöse in den Gewerken.
Bayerischer Elfenbeinturm?
An den Schulen vor Ort herrscht indes ohnehin nur noch Kopfschütteln über das, was da von oben diktiert wird, speziell bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen, berichtet BLLV-Präsidentin Fleischmann: „Die sagen zu mir: Jetzt sollen wir aufhören, so zu reden und zu schreiben, wie viele jüngere Menschen es gerade tun. Per Dienstanweisung. Das hat mit der Realität an den Schulen nichts zu tun.“
Das vom Ministerpräsidenten in die Rolle des Erfüllungsgehilfen gedrängte Kultusministerium reagiert derweil betont zurückhaltend auf die Nachfrage des BR, welche Rute man denn bei entsprechenden Beschwerden auszupacken gedenke. Nur „wenn gezielt und ganz bewusst mehrfach gegen die aktuell geltenden Regelungen verstoßen wird“, wolle man tätig werden – gehe aber davon aus, dass das selten vorkomme.
Da scheint das Vertrauen in die Denunziationsbereitschaft innerhalb der Schulfamilie nicht ganz so ausgeprägt zu sein wie beim Ministerpräsidenten.
» Artikel bei BR24: „Ärger über Söders Gender-Aussage: Aufruf zum "Anschwärzen"?“
Söders Aufruf zum Gender-Anschwärzen: „Jetzt reicht es dann langsam!“
MP Söder hat via Bild-Zeitung erläutert, wo sich Eltern bei Verstößen von Schulen gegen das Gender-Verbot beschweren können. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Denunziantentum fördern geht gar nicht und geht an den echten Problemen an Schulen komplett vorbei.
Update: Seit 1. April 2024 gilt das "Genderverbot" für Behörden und Schulen
Nach in Kraft treten des "Genderverbotes" für Verwaltungen und Behörden am 1. April 2024 ist die Verunsicherung unter den Lehrinnen und Lehrern groß. Für einen BR-Bericht trauten sich Lehrkräfte nicht vor die Kamera, aus Angst vor dienstlichen Konsequenzen. Anonym erklärte eine Lehrerin ihre Bedenken vor allem im Umgang mit queeren Schülerinnen und Schülern. Statistisch gesehen sei in jeder Klasse eine queere Person, solle die Lehrerin dieser Schülerin jetzt erklären, dass sie verboten ist?
Die BLLV-Präsidentin steht an der Seite ihrer Kolleginnen und Kollegen und kritisierte die Einschränkungen und Verunsicherungen, denen Lehrkräfte jetzt begegnen: "Wenn Kolleginnen jetzt Angst haben, das in die Kamera zu sagen, dann haben sie Angst ihren Job zu verlieren - weil sie gendern?? Wollen wir jetzt Ängste schüren, oder brauchen wir jeden einzelnen Lehrer? Haben wir nicht Lehrermangel und dürfen keinen einzigen verlieren?“ fragt sie die Reporterin.
Das Kultusministerium teilte indes mit, dass es für Meinungsäußerungen im außerdienstlichen Bereich, grundsätzlich einen weiten Spielraum gebe. Und: Einen Einfluss auf Noten, habe das Verwenden von Sonderzeichen nicht.
Simone Fleischmann im Wortlaut bei BR24:
"Viele junge Kolleginnen und Kollegen sehen ein Gendersternchen nicht als Frage der Rechtschreibung. Sondern als Frage der eigenen Haltung gegenüber einer diversen Gesellschaft."
"Wir haben an den Schulen echte Probleme, viel drängender als Gendersternchen."
Ihrer Einschätzung nach halten sich die Lehrkräfte an die sprachlichen Vorgaben für Schulbriefe und andere schriftliche Kommunikation – auch wenn manche dafür "in den sauren Apfel beißen" müssten.
Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, stellt außerdem klar:
Einen angeblichen Gender-Zwang, gegen den sich das Verbot richtet, gibt es nicht.
Genderverbote sind verfassungsrechtlich problematisch.
Juristinnen und Juristen der Antidiskriminierungsstelle sagen: Es besteht unter anderem die Gefahr, das Geschlechtsdiskriminierungsverbot sowie allgemeine Persönlichkeitsrechte durch Verbote gendergerechter Sprache zu verletzen. Zudem greift ein Verbot an Hochschulen in die Wissenschaftsfreiheit ein. An Schulen könne ein Verbot Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler in ihrer Meinungsfreiheit sowie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzen.
Simone Fleischmann gegenüber dem ZDF im Wortlaut:
"Jugendliche wollen alle integrieren, sie wollen niemanden ausschließen. Wir leben in der Schule, wir sind in keinem Amt, wo man ein Schriftstück verfasst! Wir leben in der Schule mit diesen jungen Menschen – die wollen weiter! Wir können nicht die Rolle rückwärts machen. Also, ich muss ihnen ganz ehrlich sagen: Verbote helfen nicht, gesellschaftliche Entwicklungen aufzuhalten!"
Simone Fleischmann im Wortlaut gegenüber der Tagesschau:
"Das ist eine Einschränkung, die die gesellschaftliche Entwicklung hin zur Diversität nicht aufhalten wird. Solche Verbote gleichen einer Rolle rückwärts."
"In einer Kommune, in irgendeinem Schreiben, meinetwegen. Aber doch bitte nicht mit den Kindern und den Jugendlichen, die die Gesellschaft von morgen tragen sollen. Haben wir eigentlich keine anderen Probleme?"
Hintergrund
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann hat ausführlich erläutert, warum das bayerische Gender-Verbot für Schulen der Situation an den Schulen vor Ort nicht gerecht wird. „Man kann gesellschaftliche Entwicklungen nicht durch eine Sprachpolizei auffangen und vor allem kann man die Realität der Schülerinnen und Schüler nicht ändern“, sagt sie im Gespräch mit dem Bildungsportal news4teachers. „Coole Lehrer sind diejenigen, die gendern. Jugendliche wollen, dass niemand ausgeschlossen wird. Und das zeigt sich auch daran, wie die Lehrkräfte sprechen. Und deswegen müssen wir es schaffen, dass man vor Ort die Expertise der Kolleginnen und Kollegen achtet. Wir müssen bedenken, dass wir in Schulen eine gendersensible Sprache brauchen, weil wir die Kinder und Jugendlichen von morgen bilden. Die Gesellschaft von morgen ist divers und deswegen müssen die Schülerinnen und Schüler das Thema reflektieren können und Kompetenzen erwerben.“
Aus Sicht des BLLV ist das einzig Positive, dass die im schlimmsten Fall erwartete Anweisung, auch schriftliche Arbeiten schlechter zu bewerten, wenn darin gegendert wird, doch ausgeblieben ist. „Für uns ist es jetzt wichtig, dass auf keinen Fall die schriftsprachlichen Äußerungen von Schülerinnen und Schülern negativer bewertet werden, wenn sie gendern“, so Fleischmann.
Prinzip Brechstange
Mindestens ebenso wichtig: Das Unterrichtsgespräch bleibt auch unangetastet – was sehr wichtig für eine professionelle pädagogische Behandlung des Themas ist. So können Lehrerinnen und Lehrer jenseits von Verboten mit Wünschen und Nöten von Kindern und Jugendlichen umgehen und die Frage geschlechtergerechter Sprache zum Diskussionsthema machen, dafür sensibilisieren, ohne Richtungen vorzugeben. Dazu die BLLV-Präsidentin: „Die Profis an den Schulen, die jetzt mit Herz, mit Kopf und mit Hand am Start sind, müssen genau sehen: Was brauchen die Schülerinnen und Schüler vor Ort – angepasst an die jeweilige Bedürfnislage, angepasst an das Alter. Und ich hoffe doch sehr, dass jetzt nicht diese einheitliche Regelung für alle Behörden in Bayern mit der Brechstange in den Schulen umsetzt oder gar noch potenziert wird.“
» Artikel bei news4teachers: “ BLLV-Präsidentin Fleischmann: Coole Lehrkräfte sind diejenigen, die gendern“