Veranstaltet wurde die Oxford-Style Debatte am 26. November von der Allianz für Lehrkräfte des Stifterverbandes. Bei diesem Format werden – ausgehend von einer zugespitzten These – zwei unterschiedliche Positionen pointiert herausgearbeitet und anschließend diskutiert. Die Diskussion war Teil der aktuellen Gesprächsreihe „StreitBar“ zu Themen rund um die Herausforderungen und Chancen der Lehrkräfteausbildung und die möglichen Lösungen des Lehrkräftemangels.
Ein Fach reicht auch?
„Ein Fach reicht auch – Wir brauchen die Verpflichtung für zwei Unterrichtsfächer nicht.“ So lautete die Eingangsthese der Veranstaltung, die in der Folge diskutiert wurde. Für die pro-Seite dieser These argumentierte Frau Prof. Dr. Miriam Vock, Professorin an der Universität Potsdam für empirische Unterrichts- sowie Interventionsforschung. In ihrem 5-minütigen Eingangsplädoyer sprach sie vor allem den internationalen Vergleich an, wobei sie die qualitativ hochwertige Lehrkräfteausbildung in Deutschland durchaus betonte. Sie betonte aber auch, dass es eine Besonderheit sei, dass Lehrkräfte zwei Unterrichtsfächer brauchen um an einer Schule unterrichten zu dürfen. Sie stellte sich und den Teilnehmenden die Frage, ob es eine Englischlehrkraft zu einer besseren Lehrkraft macht, wenn diese zugleich noch Sport oder Geographie unterrichtet. Sie berichtete den Zuhörern, dass es zu dieser Frage noch keine einzige empirische Studie gibt, was wohl daran liege, dass unser Ausbildungssystem kaum hinterfragt wird und man daran gewöhnt sei.
Attraktivität von Beruf und Studium verbessern
Zum Schluss ihres Plädoyers machte sie eine Sache besonders deutlich: das große Problem ist nach wie vor, dass der Bedarf an Lehrkräften nicht gedeckt ist. Nicht, weil man nicht so viel ausbilden könnte oder wollen würde, sondern weil keine Leute nachkämen die Lust auf diesen Beruf und diese Ausbildung haben. Sie betonte, wie wichtig es sei, die Attraktivität des Studiums und des Berufes zu verbessern und merkte an, dass sich viele der Studierenden Entlastung wünschen. Anschließend nannte sie drei Punkte, welche das Argument der Einführung von Ein-Fach-Lehrkräften bekräftigten:
- Die Entlastung für die Studierenden
- Die Möglichkeit leichter mehr Quer- und Seiteneinsteiger für die Schulen zu gewinnen
- Die Möglichkeit leichter mehr ausländische Lehrkräfte für die Schulen zu gewinnen, die oft nur für ein Fach ausgebildet seien
Ein Plädoyer für ganzheitliche Bildung
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann argumentierte in ihrem Plädoyer für die contra-Seite der genannten These und startete mit einem Zitat: „Die Gesellschaft hat den Anspruch an die Schule, sich ganzheitlich der Erziehung und Bildung zu widmen und Kinder entsprechend zu unterrichten und zu erziehen.“ Würde man also nur noch ein Fach studieren, so die BLLV-Präsidentin, würde man dem Anspruch der ganzheitlichen Bildung nicht gerecht werden. Bereits jetzt vermissten viele Kolleginnen und Kollegen den ganzheitlichen Anspruch in der Ausbildung und im Berufsleben. Mit Verweis auf ihre weitere Rolle als stellvertretende Bundesvorsitzende des dbb, merkte Simone Fleischmann an, dass alle Lehrkräfteverbände im dbb vier konkrete und gemeinsame Forderungen haben: keine Qualitätsaufweichung bei der Ausbildung, den Erhalt der Zweiphasigkeit der Ausbildung, einen angemessenen Vorbereitungsdienst und ein grundsätzliches Festhalten am Zwei-Fach-Studium. Im Weiteren nannte sie 10 Gründe, die aus Sicht der Berufsrealität und dem Alltag an Schulen, gegen eine Ein-Fach-Lehrkraft sprechen:
- Mangelnde Flexibilität im Stundenplan
- Ein hohes Risiko bei Unterrichtsausfällen
- Deutlich geringere pädagogische Bandbreite der Lehrkräfte
- Fehlende Möglichkeiten zur Differenzierung
- Mögliche Isolation durch hohe Spezialisierung in einem Fach
- Eingeschränkte berufliche (Weiter-) Entwicklung
- Weniger Austausch mit Kolleginnen und Kollegen
- Weniger Förderung der Allgemeinbildung
- Ein sehr hohes Risiko für Berufserschöpfung
- Noch weniger Resistenz gegenüber dem Lehrkräftemangel als bisher
Die BLLV-Präsidentin vertrat mit ihrem Statement einen sehr pragmatischen Ansatz mit Blick auf die Realität der Schulfamilien.
Langfristig denken – pragmatisch handeln
Bei einem kurzen Austausch der Kontrahentinnen argumentierte Frau Prof. Vock mit der Option, Ein-Fach-Lehrkräfte zusätzlich zu den Zwei-Fach-Lehrkräften kurzfristig einzusetzen und auszubilden, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken. Die Präsidentin entgegnete, dass wir im Sinne der Langfristigkeit denken und kämpfen müssen. Es soll an einer qualitativen Ausbildung festgehalten und an dieser keine Abstriche gemacht werden. Sie merkte an, dass man in der aktuellen Situation aber auch pragmatische Ansätze verfolgen muss und betonte die Wichtigkeit des internationalen Vergleiches und der Quereinstiegsmöglichkeiten bis die „Krise in der Lehrkräfteversorgung“ überwunden sei.
Anschließend folgte eine Diskussion mit dem Publikum, in der sich schnell ein deutliches Bild abzeichnete: Es herrscht große Einigkeit im Bewusstsein der akuten Versorgungssituation an deutschen Schulen. Es besteht außerdem ein großer Wunsch nach pädagogischer und didaktischer Expertise und nach der Aufwertung von Themen wie BNE (Bildung für Nachhaltige Entwicklung) und Demokratiepädagogik. Außerdem sollten Inklusion und Integration gestärkt werden. Das alles gilt es nach der überwiegenden Meinung der aktiven Teilnehmer:innen im Studium und im Schulalltag zu stärken und zu verankern. Das Publikum sah dabei Chancen aber auch Grenzen im Einsatz von „Ein-Fach-Lehrkräften“ und kamn zu dem Konsens, dass „etwas passieren muss“, da momentan vieles an der aktuellen Situation vieler Schulen und Bildungseinrichtungen schlichtweg nicht mehr tragbar sei.
Eine Frage der besten Bildung
Im abschließenden Schlussplädoyer betont Simone Fleischmann, dass die Welt nicht schwarz und weiß sei, so auch nicht die Lösungen für so ein großes Problemfeld in der deutschen Schullandschaft. Studierende, beispielsweise in den BLLV Umfragen, wünschen sich mehr Struktur und eine andere Anteils-Verteilung in ihrem Studium. „Wir wollen keine Fachidioten sein, wir wollen im Querschnitt denken und Partizipation in der Uni erleben und an Schulen vor- und miterleben können.“
Zum flexiblen Lehrkräftebildungsmodell des BLLV gelangen Sie hier
Weitere Informationen zur Veranstaltung:
https://zukunftsmission-bildung.de/lehrkraefte/streitbar
https://www.uni-potsdam.de/de/unterrichtsinterventionsforsch/prof-dr-miriam-vock