Wie sich das Infektionsgeschehen im Herbst entwickeln und welche gesellschaftlichen Auswirkungen das haben wird, ist im Detail schwer vorherzusehen. Der Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes der Bundesregierung reagiert darauf mit schwammigen Aussagen zum Umgang damit, insbesondere in Bildungseinrichtungen. So darf ab Jahrgangsstufe 5 Maskenpflicht verhängt werden für die „Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 und zur Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenz-Unterrichtsbetriebs“. Tests in Kitas und allen Jahrgangsstufen der Schulen wenn das „zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen“ nötig ist.
Statt klarer Regelungen, die aus konkreten Zahlen zur Gesundheitslage gestaffelt und verbindlich nachvollziehbare Maßnahmen ableiten, werden Schulen und Kitas also mit Entscheidungen allein gelassen, für die sie weder zuständig sind noch verantwortlich gemacht werden dürfen. „Das überarbeitete Konzept bleibt für Schulen weit hinter den Erwartungen zurück“, kritisiert der Vorsitzende des BLLV-Dachverbands VBE (Verband Bildung und Erziehung), Udo Beckmann, daher.
Überlastung und Erklärungsnot
„Die Verantwortung für die Umsetzung möglicherweise notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen und deren Vermittlung darf nicht wie bisher auf das pädagogische Personal, das dafür keine Verantwortung trägt, abgeschoben werden“, fordert Beckmann und benennt die Konsequenzen: „Die dadurch vorprogrammierten Konflikte, die wir bereits aus den letzten Jahren kennen, werden die Schulen zusätzlich zum bestehenden Personalmangel und zu den Herausforderungen bei der Betreuung und Beschulung geflüchteter ukrainischer Kinder und Jugendlicher stark belasten. Schulleitungen und Lehrkräfte werden damit abermals zur Zielscheibe sogenannter Querdenker.“
Auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck, zeigt sich unzufrieden: „Es wäre die Aufgabe der Bundesregierung gewesen, klar definierte Parameter zur Test- und Maskenpflicht in Schulen und Kitas festzulegen“, stellt er im Gespräch mit der Welt klar. Dem schließt sich der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann an: „Es fehlen weiterhin transparente Stufenpläne auf der Basis bundeseinheitlicher Kriterien.
Gleicher Schutz für alle
Der BLLV hat dabei vielfach betont, dass das Vorgehen an Bildungseinrichtungen im Einklang mit dem stehen muss, was im öffentlichen Raum geschieht: „Die Regeln an Schulen müssen zur Gesamtstrategie passen und zu dem, wie die Welt draußen tickt“, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.
Das sieht auch der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), Tobias Tenenbaum, so: „Restriktive Maßnahmen spezifisch für Kinder sind nicht zu vertreten, wenn diese in der Allgemeinbevölkerung nicht gleichermaßen verpflichtend sind“, sagt Tenenbaum laut Bericht der Welt. Jura-Professorin Frauke Rostalski, die auch Mitglied im Ethikrat ist, kritisiert „Sonderopfer“, die Kinder und Jugendliche dann erbringen müssten und warnt vor „Bildungsausfällen und sonstigen Verlusten an Teilhabemöglichkeiten“.
Präsenzunterricht geht nur, wenn auch Lehrkräfte da sind
Für Udo Beckmann spricht aus der generellen Absage an Schulschließungen durch Bundesgesundheitsminister Lauterbach zudem ein Mangel an Sachkenntnis der Lage an den Schulen, weil dort nicht nur die Corona-Lage entscheidend für den Unterrichtsbetrieb ist: „Der Bundesgesundheitsminister lehnt sich weit aus dem Fenster, wenn er anscheinend kategorisch ausschließt, dass es zu Schulschließungen kommen kann“, analysiert Beckmann. „Wir wissen, dass bei entsprechendem Infektionsgeschehen unter Lehrkräften oder innerhalb der Schülerschaft, die Schließung von Lerngruppen oder ganzer Schulen immer wieder unumgänglich waren und auch wieder sein werden – spätestens dann, wenn die sowieso schon zu dünne Personaldecke krankheitsbedingt endgültig reißt.“
Entsprechend kritisch ist auch die Aussage von Karin Prien zu sehen. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz lobte gegenüber Zeitungen der Funke-Mediengruppe den Verzicht auf Schulschließungen. Maßnahmen würden „nur dann eingesetzt, wenn sie lokal erforderlich sind oder wenn Unterricht anders nicht möglich wäre.“
Auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann stellt klar: „Schulen offenzuhalten ist aus pädagogischer Sicht enorm wichtig“. Sie fordert aber ebenso klar: „Gleichzeitig muss in der Schule größtmögliche Sicherheit gelten!“
„Verantwortungsabschiebegesetz“ wäre treffender
Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz stiehlt sich die Bundespolitik jedoch aus der Verantwortung, die auch von vielen Krankenhaus- und Ärztevertretern geforderten bundeseinheitlichen Grenzwerte zu definieren, ab wann ein Einschreiten nötig ist und welche entsprechend gestaffelten Schutzmaßnahmen aus diesen Zahlen jeweils abzuleiten sind.
Aus Sicht des BLLV und seines Dachverbands VBE wird bei der Diskussion in Bezug auf die Bildungseinrichtungen zudem kaum auf die Menschen geschaut, die dort den Betrieb aufrechterhalten. „Es gibt leider weiter teils eklatante Mängel beim Infektionsschutz – hier müssen zumindest alle technischen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden“, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.
Mit Blick auf die für das neue Gesetz zuständigen Minister Lauterbach (Gesundheit) und Buschmann (Justiz) sagt der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann: „Betroffen macht mich, dass der Schutz des Beschäftigten in den Ausführungen beider Bundesminister keine erkennbare Rolle gespielt hat.“
» zur Pressemitteilung des VBE: „Infektionsschutzgesetz weiterhin unbefriedigend“
Unklare Regelungen
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Infektionsschutzgesetz lässt Schulen allein
Der Entwurf zum neuen Infektionsschutzgesetz steht von vielen Seiten in der Kritik, vor allem wegen wachsweicher Regelungen. Udo Beckmann, Vorsitzender des BLLV-Dachverbands VBE, stellt klar: Der Schutz der Beschäftigten spielt dabei „keine erkennbare Rolle".