Wenn KIs auf jede erdenkliche Frage das komplette Weltwissen auf ein paar Bildschirmseiten ausspucken können, Social Media schneller Inhalte liefert als alle Nachrichtenredaktionen und Sprachsteuerung jederzeit das Tippen ersetzen kann, dann braucht doch eigentlich kein Mensch mehr Bücher, Stifte und Papier.
Das könnten man jedenfalls denken, wenn man öffentliche Einlassungen selbsternannter Experten zu Bildungsthemen allzu ernst nimmt. Doch während sich über eine Zuspitzung von „entweder – oder“ vielleicht Schlagzeilen und vermeintlich auch Stimmen gewinnen lassen, fragen Profis lieber „Was, wann, wofür?“
Daher wirbt BLLV-Präsidentin auf die Nachfragen mehrerer Rundfunkanstalten, ob denn Schulbücher und Handschrifterwerb heute noch zeitgemäß seien, für eine pädagogische Analyse. „Nichts ändert sich schneller als die Welt aktuell“, räumt Fleischmann zunächst ein und präzisiert: „Nehmen wir die Digitalität. Nehmen wir die aktuellen politischen Entwicklungen. Wir haben gesellschaftspolitische Themen, die sich jeden Tag überholen. Wer hätte denn gedacht, dass wir in einer Bundesrepublik leben werden, in der wir keine Bundesregierung haben? Veränderungen, die derart rasant schnell gehen, sind nicht in einem Schulbuch abzulichten.“
Vieles ändert sich schnell, manches aber auch nicht
In der Schulbildung geht es allerdings um mehr als das tageaktuelle Geschehen, erinnert die BLLV-Präsidentin: „Gehen wir mal ganz kurz in die Physik, in die Chemie, in die Geschichte, in die Musik, in die Kunst. Es gibt schon Erkenntnisse, die man retrospektiv aus der Vergangenheit heraus anschauen kann, die einfach Allgemeingültigkeit haben – auch wenn sich die Welt noch so schnell dreht. Deshalb wird es immer Schulbücher geben.“
Ein Vorteil ist dabei auch die unabhängige, kritische Prüfung solcher Lehrmittel durch das Kultusministerium, die für Lehrkräfte Verlässlichkeit der Bildungsinhalte bedeutet – ein großes Manko bei anderen, digitalen Unterrichtsmaterialien, bei denen sich das aufgrund des hohen Zeitbedarfs nur schwer umsetzen lässt, so Simone Fleischmann: „Das Kultusministerium lässt alle Bücher zu – dieses Zulassungsverfahren ist hochkomplex, dauert lange und ist sehr valide. Wir wünschen uns, dass das Kultusministerium auch bei digitalen Tools, bei KI-gestützter Lernsoftware, bei Plattformen, die wir in Schulen nutzen, prüft – denn sonst könnte gefährlicher Wildwuchs entstehen. Prüfverfahren sind notwendig, brauchen eben oft auch mehr Zeit als bei digitalen Tools zur Verfügung steht.“
Informationen differenziert hinterfragen lernen
Das ist auch deswegen eine Herausforderung, weil sich guter Unterricht selbst bei allgemein gültigen, langfristig gleichbleibenden Lerninhalten, nicht auf ein einzelnes Medium wie das Schulbuch beschränkt, sondern individuell, je nach Zusammensetzung und Wissensstand der Lerngruppe, weitere Impulse setzt: „Unterricht ist dann der Beste, wenn man als Lehrerin passgenau verschiedene Medien reinholt“, stellt Simone Fleischmann klar. „Es kann eine Eigenrecherche durch die Schüler sein, ein Filmbeitrag, ein Bericht auf BR24, ein Zeitungsartikel. Wir brauchen Podcasts, wir brauchen Lernplattformen, wir brauchen auch schnellrecherchierte, aber valide Aussagen aus dem Netz.“
Entscheidend ist dabei dann die Kompetenz, valide Aussagen von Fake News unterscheiden zu können. Daraus leitet sich ein zentrales Bildungsziel ab: „Ich muss immer genau prüfen, welche Quellen ich nutze und welche Informationen ich mir woher hole – das nennt man Medienkompetenz“, sagt Simone Fleischmann. „Medienkompetenz wird neben der Inhalts- und Wissenskompetenz immer wichtiger.“
Medien sind kein Selbstzweck, sondern Werkzeuge für Lernziele
Deswegen ist für die BLLV-Präsidentin klar: „Wir brauchen Schulbücher und die müssen up to date gehalten werden – übrigens auch bei der Darstellung heutiger Familienbilder wie alleinerziehende Mütter, Patchwork-Familien oder mit zwei Vätern, und mit Blick auf die Diversität, die unsere Gesellschaft heute prägt. Aber den zeitlichen Aspekt, den die Welt da draußen vorgibt, dass sich Informationen so schnell ändern wie noch nie, den werden wir in Schulbüchern nicht ablichten können. Denn dafür müssten wir jeden Tag ein neues Schulbuch schreiben. Wir brauchen grundlegende Kompetenzen und nachhaltige Wissensinhalte in den Schulbüchern – dazu aber eben ergänzendes Material, das modern ist, das KI-gesteuert ist, das moderne Formen der Mediennutzung bei den Schülerinnen und Schülern bedeutet. Genau das muss Schule der Zukunft tun.“
Die Frage nach dem Verhältnis digitaler und analoger Mittel stellt sich aber nicht nur bei der Rezeption von Inhalten durch Schülerinnen und Schüler, sondern auch beim selbst produzieren. Sprachgesteuerte Systeme erfüllen immer mehr alltägliche Wünsche und Bedürfnisse und wenn doch geschrieben wird, dann meist auf Tastatur, oft auch der virtuellen von Smartphone oder Tablet. Sollen Schülerinnen und Schüler also überhaupt noch lernen, sich auch handschriftlich mitzuteilen?
Hand – Kopf – Herz
Auch hier ist die pädagogische Antwort eindeutig: „Buchstaben lesen, schreiben und zu Wörtern verbinden zu können, ist unbedingt notwendig, denn wir wissen: Wenn du dich mit der Schriftsprache äußerst, verankerst du das, was du mitteilen willst, viel besser im Gehirn“, erklärt Simone Fleischmann Medienvertretern auf diese Frage.
Zudem ist Schreiben eine Kulturtechnik, bei der es manchmal um mehr als nur den Nutzen geht, den Diktierprogramme, Rechtschreibkorrektur oder generative KIs bieten können: „Ich habe in der Zeit zwischen den Jahren 640 Neujahrskarten geschrieben mit mindestens vier Zeilen handschriftlichen Wünschen, die persönlich an jeden Einzelnen adressiert waren“, schildert Simone Fleischmann und betont: „Ich finde, gerade solche persönlichen Botschaften, die ans Herz gehen sollen, gehen nur, wenn sie aus der eigenen Hand kommen.“
Zudem bedeutet Schreiben auch ein Stück Identität. Weil sich der BLLV schon immer für ganzheitliche Bildung mit Herz, Kopf und Hand (!) einsetzt, in der jede Schülerin und jeder Schüler individuell als ganzer Mensch gesehen und gefördert wird, ist für Präsidentin Simone Fleischmann also klar: „Die Handschrift ist als Ausdruck der Persönlichkeit ganz wichtig und deswegen auch, dass jeder Mensch eine individuelle Handschrift entwickelt – auch wenn wir sie vielleicht auf lange Sicht nicht mehr so häufig brauchen. Aber wir brauchen sie ganz grundlegend als Ausdruck der Persönlichkeit.“
Pädagogische Analyse statt Phrasenbingo
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Braucht es in Zeiten von KI noch Schulbücher und Handschrift?
Digitale Entwicklungen sind rasant, Schule soll zeitgemäßen Unterricht bieten. Bei der Frage, welche Inhalte und Methoden (noch) sinnvoll sind, sollte die pädagogische Zielanalyse aber wichtiger sein, als vermeintlich hippe Parolen, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar.