"Islamunterricht beugt Radikalisierung vor"
Bildungspolitik nicht auf Integration zuspitzen: In seiner "Fastenpredigt" zum Politischen Aschermittwoch sprach sich Markus Söder (CSU) gegen flächendeckenden Islamunterricht aus und forderte eine kulturelle Debatte. Im Seite-Drei-Interview gab der Münchner Merkur BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann, Gelegenheit zur Gegenrede.
Frau Fleischmann, kürzlich gab es eine Debatte, weil ein Richter das Kruzifix aus dem Gerichtssaal entfernt hat. Wie sieht es in den Klassenzimmern aus? Sollten dort Kreuze hängen?
Bei uns gibt es eine christliche Kultur, die selbstverständlich in den Schulen gelebt werden muss. Wir haben ein Symbol dafür, das ist gut so. Es geht aber nicht primär um das Kreuz, sondern um das christliche Menschenbild, für das es steht. Schule ist der Ort, an dem wir allen Kindern nahebringen können: Das ist unsere Religion und Kultur. Es kann aber außer dem Kreuz noch etwas im Klassenzimmer hängen, durch das sich auch muslimische Kinder willkommen fühlen – zum Beispiel eine Weltkarte, auf der zu sehen ist, wo sie herkommen, oder ein selbst gemaltes Bildaus dem Islamunterricht.
Hat auch Islamunterricht an der Schule eine solche Symbolwirkung?
Absolut. Als der designierte Ministerpräsident Markus Söder sich am Aschermittwoch gegen einen flächendeckenden Islamunterricht in Bayern geäußert hat, hat es mich gerissen. Falls er damit meint, das Angebot soll bedarfsorientiert sein, bin ich bei ihm. An einer Schule ohne muslimische Schüler brauchen wir keine Islamlehrer. Aber falls die Botschaft lautet: Wir wollen eigentlich keinen Islamunterricht, dann heißt das, wir wollen muslimische Kinder nicht integrieren. Denn Islamunterricht – unter staatlicher Aufsicht, nicht in der Hinterhofmoschee – schafft Identität und beugt der Radikalisierung vor. Er sorgt auch für Sensibilität für die eigene und für Respekt vor anderen Religionen.
Islamunterricht in einigen Städten mit einem größeren Anteil an muslimischen Kindern genügt, sagt Markus Söder.
Dann muss Herr Söder eine andere Asylpolitik betreiben mit dem Ziel, islamische Ballungszentren herzustellen. Das will er, glaube ich, auch nicht. Solche Aussagen zielen wohl darauf, Wähler am rechten Rand einzufangen. Meine Sorge ist, dass hier Wahlkampf auf dem Rücken der geflüchteten Kinder gemacht wird.
Sind die aktuellen Übergangsklassen für Flüchtlingskinder das richtige Modell?
Ja und nein. Im September 2015 sind so viele Kinder zu uns gekommen, dass wir sie in der Regelklasse nicht einzeln hätten integrieren können. Die Übergangsklassen waren in dem Moment genau die richtige Lösung. Längerfristig bedeuten Übergangsklassen aber Exklusion. Das „Sprachbad“ in einer Klasse mit deutschen Kindern ist die beste Integration. Dazu braucht es aber entsprechende Rahmenbedingungen: weniger Kinder in der Klasse, zusätzliche Lehrerstunden, ergänzenden Förderunterricht und weitere Angebote der kulturellen und religiösen Integration. Das kostet Geld, hierzu braucht es zusätzliche Lehrer. Alles zusätzlich: geht nicht!
Simone Fleischmann ist Bayerns mächtigste Lehrerin. Seit 2015 führt die 47-Jährige aus Poing im Kreis Ebersberg den Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Bayerisch-direkt kämpft sie für kleinere Klassen und individuellere Förderung. Zum heutigen Zeugnistag bewertet die Pädagogen-Präsidentin die Leistungen der Politik bei der Integration – und bricht eine Lanze für den staatlichen Islamunterricht. (mm)
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass das Unterrichtsniveau leidet – und damit die anderen Kinder in der Klasse?
Viele halten mir vor, dass ich ständig nur über Flüchtlingskinder und Migration reden würde. Dabei gibt es viele andere drängende Fragen: Digitalisierung, Inklusion, Ganztagsschule und, ganz zentral, die individuelle Förderung. Wenn wir endlich zwei Lehrer pro Klasse hätten und die einzelnen Schüler bei ihren Stärken und Schwächen abholen würden, dann könnten wir allen Kindern gerecht werden. Ein Papa, dessen Kind den Hochbegabtenkurs in Mathe bekommt, stellt die Frage nicht, warum das Flüchtlingskind Deutsch-Förderunterricht kriegt.
Wie soll der Förderunterricht aussehen?
Die Kinder brauchen Zusatzstunden mit speziell ausgebildeten Lehrern, die mit ihnen Deutsch lernen. An Grundund Mittelschule, wo das Thema am präsentesten ist, fehlen uns dafür aber die Lehrer.
Eine Budgetfrage?
Nein, wir haben anscheinend das Geld, aber uns fehlen die Köpfe. Wir müssen jetzt die Gymnasial- und Realschullehrer, die in Massen auf der Straße sitzen, an die Grund-, Mittel- und Förderschulen locken. Wenn sie aber mehr verdienen als die dortigen Lehrer, beschweren sich die Kollegen zu Recht. Der BLLV fordert schon lange eine gleiche Besoldung für alle Lehrer. Nach dem Motto: alle Lehrer sind Lehrer! Oder etwa nicht?
Wir müssen schauen genau hinschauen, wie viele Zuwanderer eine Klasse verträgt.
Jetzt soll nach dem Willen von Jens Spahn auch noch die Leitkultur in den Lehrplan.
Es ist eine schlaue Idee, so das Thema Integration anzupacken. Wenn ich mich hier integrieren will, muss ich das Leben und die Kultur kennenlernen. Kinder finden das sehr spannend – übrigens auch umgekehrt. Unsere Schüler wollen wissen: Warum wohnt der in der Turnhalle und warum hat er keine Mama? Warum ist seine Haut so dunkel? Warum kriecht er unter den Tisch und weint, wenn es gongt? Wenn wir mit den Kindern darüber reden, ist es am Ende kein Problem mehr, dass der kleine Ahmed kein Schweinefleisch isst. Die Kinder und Jugendlichen von heute sind die Gesellschaft von morgen und wir an den Schulen haben die Chance, diese prägende Rolle zu übernehmen – wir leben es täglich.
Ist das für die Schulen zu stemmen?
Danach fragst du als Lehrer nicht, wenn du ein weinendes Flüchtlingskind vor dir hast. Da gibst du alles, was du hast. Das sage nicht nur ich, das belegen unsere BLLV-Umfragen. Freilich, auch unter Lehrern gibt es AfD-Anhänger. Leute, die sagen: Die Ausländer sollen bleiben, wo sie sind. Das ist heftig. Aber die allermeisten Lehrer kämpfen für diese Kinder. Auch wenn wir in Übergangsklassen mit 16 Sprachen an die Grenzen stoßen. Darum fordere ich von der Politik: Passt auf, was ihr sagt und wie ihr es sagt! Wenn dauernd von „Welle“ und „Krise“ die Rede ist, dann macht das Angst.
Horst Seehofer hat die Forderung nach der Obergrenze damit begründet, dass wir nur so viele Menschen ins Land lassen können, wie wir auch integrieren können. Haben Sie dafür Verständnis?
Ja. Ich bleibe mal bei meinem Feld, der Bildungspolitik: Wir müssen genau hinschauen, wie viele Zuwanderer eine Klasse verträgt. So etwas wie 2015, als die Schulen nicht mehr wussten, wie sie die vielen neuen Schüler schultern sollen, ist eine Riesenherausforderung.
Haben das Jahr 2015 und seine Folgen die Debatte um den Islamunterricht verändert?
Der Bedarf ist größer geworden, die Debatte ist aber die gleiche geblieben. Der Druck kommt aus anderer Richtung: Der Modellversuch läuft im Juli 2019 aus und jetzt heißt es, ihn in einen Regelbetrieb zu überführen. Das fordert der BLLV schon lange!
Markus Söder scheint dabei nicht Ihr Verbündeter zu sein...
Ich habe einen Verbündeten und der heißt Ludwig Spaenle (Bayerns CSU-Kultusminister, Anm. d. Red.). An seiner Aussage vom Januar, den aktuellen Modellversuch in ein Regelangebot zu überführen, sei ein gangbarer Weg, bleibe ich dran. Der Islamunterricht sollte aus dem Wahlkampf lieber rausgehalten werden. Bei der dritten Startbahn klappt das ja anscheinend auch. Die Kernfrage ist: Machen wir Politik mit diesen Menschen, obwohl wir sie gar nicht wollen – oder geben wir ein Bekenntnis zur echten Integration ab?
Momentan erreicht der Islamunterricht gut zwölf Prozent der muslimischen Kinder. Wie wollen Sie die Ausweitung in die Fläche schaffen?
Wir gar nicht. Wir sind nur ein Berufsverband, die Macher sitzen im Kultusministerium. Wenn das Ministerium den Anspruch hat, das Modell flächendeckend auszurollen, braucht es mehr Lehrstühle an den Unis und eine langfristige, profunde Personalplanung. Es gibt genügend Lehramtsstudenten, die sich vorstellen können, Islamunterricht als Ergänzungsfach zu studieren.
Kann ein Nicht-Muslim Islamunterricht geben?
Selbstverständlich. Die Frage ist nur, ob die muslimische Mama das Kind zu einer Katholikin in den islamischen Religionsunterricht schickt. Das geht nur über den passenden Lehrplan, der Unterricht muss qualitativ gut sein. Noch eine Idee: In anderen Bundesländern gibt es Studiengänge für geflüchtete Lehrer. Die hätten die pädagogische Kompetenz, wären durch ihren Hintergrund Identifikationsfiguren für die Kinder – und könnten so auch noch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Eine Win-win-Situation.
Sie sprechen vom passenden Lehrplan. Kann es den angesichts der vielen verschiedenen Strömungen im Islam überhaupt geben?
Das müssen die klären, die sich damit auskennen: Wir fordern einen Expertenbeirat im Kultusministerium, der sich aus Musliminnen und Muslimen und weiteren Experten zusammensetzt. Bei uns im Verband sind bereits etwa 20 Islamlehrer in einer Fachgruppe organisiert. Die sagen: Wenn wir einen moderaten, von keiner ideologischen Strömung geprägten Lehrplan hinbekommen, dann sind wir gut.
In anderen Bundesländern sitzt der Verband Ditib, der als verlängerter Arm Erdogans gilt, bei der Organisation des Islamunterrichts mit am Tisch. Für Sie ein Partner?
Nein. Ditib-Vertreter waren bei unseren internen Expertenrunden dabei, ich habe schnell gemerkt, worum es denen geht. Am Ende muss ein moderater Lehrplan herauskommen, der nicht die Ränder bedient. Das wird eine harte Nuss, an der andere Bundesländer gescheitert sind. Und das heißt auch, dass Eltern mit fundamentalistischen Ansichten vielleicht auf den Islamunterricht verzichten. Wir haben das mit der Schulbuchreihe „Saphir“ erlebt: In der waren Frauenbilder und Gesellschaftsbilder so abgebildet, dass sich Ditib-nahe Eltern dem Unterricht mit diesem Lehrwerk verweigert haben.
Mit einem moderaten Islamunterricht erreicht man also die nicht, die man am dringendsten erreichen will?
Ja, vielleicht ist das so. Aber die Alternative ist, dass gar kein Kind vom staatlichen Islamunterricht profitiert. So gibt es ihn zumindest für manche. Die Integrationsleistung dieser Kinder ist mir viel wert. Die nehmen wir mit in die Zukunft. Und die Politiker tragen immense Verantwortung dafür, dass das gelingt.
Hat es Angela Merkel nach ihrem „Wir schaffen das“ versäumt, genügend Druck aufzubauen, damit dieser Weg echter Integration tatsächlich eingeschlagen wird?
Absolut. In Bayern haben wir darauf bessere Antworten gefunden. Angela Merkel hat die Ziele vorgegeben, aber nicht die Wege. Die müssen wir selbst gehen, dafür ist Schule prädestiniert. Wenn in der Klasse 3c plötzlich drei Flüchtlingskinder sitzen, dann passiert am Elternabend echte Integration. Dann stehen plötzlich die Eltern auf, die erst gegen die neuen Kinder waren, und wollen helfen. Das kann Schule und darauf sind wir als Lehrerinnen und Lehrer stolz.
Das Interview ist am 23. Februar 2018 im Münchner Merkur erschienen.