Wilhelm Ebert

Laudatio von Albin Dannhäuser gehalten am 18. Mai 1984 im Rahmen der Landesdelegiertenversammlung in Augsburg

Wilhelm Ebert, den die Landesdelegiertentagung soeben in einer Demonstration von Hochachtung und Dankbarkeit zum Ehrenpräsidenten des BL LV gewählt haben, hat bereits von anderer Seite eine Reihe hoher Auszeichnungen erhalten, die sichtbarer Ausdruck seiner herausragenden Verdienste für Schule und Lehrer sind. Er ist Träger des bayerischen Verdienstordens und des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse; ihm wurde die Würde als „Fellow of the Educaional Institute of Scotland“ verliehen und die Doktorwürde der ältesten Universität Kaliforniens. Eine stehende Redewendung Wilhelm Eberts ist diese: Jeder kann nur das geben, was er kann. Der BLLV ist nicht im Stande, eine höhere Auszeichnung zu vergeben als die des Ehrenpräsidenten. Wir sind ein wenig verlegen, denn diese Auszeichnung wirkt klein im Vergleich zu dem, was wir schuldig sind, im Vergleich zu dem, der zu würdigen ist: Wilhelm Ebert, ein überzeugter, epochemachende Kämpfer für Schule und Lehrer, eine brillante, mitreißende Führungspersönlichkeit, ein hervorragender Diplomat und Politiker, ein einmaliges Geschenk für den BLLV.

Solange die jetzigen Lehrer in Bayern zurückdenken, ist die Geschichte der Schule, Lehrer und des BLLV mit dem Namen Wilhelm Ebert verbunden: 1948 Mitinitiator der Wiederbegründung der ABJ und sofort deren erster Landesvorsitzender, Leiter der schulpolitischen Hauptstelle. Mit 32 Jahren bereits erster Mann im BLLV. Stationen seiner Verbandslaufbahn sind ferner: Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, Mitbegründer und Vizepräsident des Deutschen Lehrerverbandes, Motor für die Gründung des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), dessen Bundesvorsitzender er seit 1979 ist - und der Höhepunkt seiner Arbeit war die Präsidentschaft der „World Confederation of Organizations of Teaching Professions (WCOTP)“ , in der über 140 Lehrerorganisationen mit 8 Millionen Lehrern verbunden sind.

Aber was würden selbst weitere penibel zusammengetragenen Daten seiner Biografie besagen gegenüber seinen einmaligen Fähigkeiten, gegenüber seinen entscheidenden Motiven, gegenüber seinen geschichtlichen Leistungen?

Anfang der fünfziger Jahre hat Wilhelm Ebert einen zähen Kampf gegen die Konfessionalisierung der Schule geführt, gegen ‚Exzellenzen, Eminenzen und Magnifizenzen‘.

Durch die Politisierung der Lehrer wurde er 1954 zum Geburtshelfer der Viererkoalition aus SPD, Bayernpartei, BHE und F.D.P. - warum ist diese Tatsache so bedeutsam für die bayerische Schule und Lehrer Politik? - Weil es so möglich wurde, die reine Bekenntnisschule in eine christliche zu überführen, die Landschule zu reformieren und die konfessionelle Lehrerbildung zu überwinden.

Wilhelm Eberts bedeutendste Leistung liegt zweifellos in der Durchsetzung des Lehrerbildungsgesetzes von 1958. Dieses Gesetz markiert den eigentlichen Durchbruch zur vollakademischen Lehrerausbildung, um die die bayerischen Volksschullehrer seit nahezu einem Jahrhundert gekämpft hatten.

Es müssten viele bildungspolitische Verdienste Wilhelm Eberts aufgeführt werden, die weit über Bayern hinaus Bedeutung haben. Dies würde den Rahmen sprengen. Wir alle können das nachlesen.

Vergessen wir aber nicht, dass in der Ära Ebert die Lehrer an Grund- und Hauptschule um drei Besoldungsstufen angehoben worden. Vergessen wir nicht, dass es ihm gelungen ist, eine Massenarbeitslosigkeit junger Lehrer in Bayern bis heute zu verhindern.

Beim Nachzeichnen seiner verbandspolitischen Stationen sind es immer dieselben Motive, die ins Auge fallen:

  • Er will eine demokratische Erziehungsschule schaffen, die dem Anspruch des Kindes auf Zukunft genügt und die das Recht auf Gegenwart erfüllt.
  • Er macht die Bedeutung von Bildung als entscheidendes gesellschaftliches Investment bewusst.
  • Er hat eine pädagogische Mission.
  • Er zielt auf eine qualitativ hochwertige Lehrerausbildung und sensibilisiert Lehrer dafür, sich ihrer gesellschaftlichen Macht bewusst zu sein.
  • Er kämpft unablässig gegen die Bevormundung und gegen den Untertanen Geist der Lehrer.
  • Er kämpft von Anfang an für die Freiheit des Lehrers.

Unzählige haben den BLLV um einen Wilhelm Ebert beneidet. Manche bezeichnen ihn als ‚reichlich rüde‘, andere nennen ihn einen brillanten Taktiker. Titel und Ämter setzt er nicht höher an als ihre Träger. Immer tritt er auf mit einer akzeptierbaren Respektlosigkeit: streitbar unverbindlich, unbequem und konsequent, herausfordernd und unerbittlich. Er hatte Zugang zu allen Kultusministern und zu allen Ministerpräsidenten.

In Bayern, in der Bundesrepublik und in der ganzen Welt hat er mit den politisch Mächtigen Gespräche geführt. Wilhelm Ebert hat noch jede Türe aufgebracht, dir aufbringen wollte.

Das kommt nicht von ungefähr. Er ist der geborene Politiker, ein ausgezeichneter Diplomat, der mit dem sicheren Instinkt sein Ziel findet. Erkennt das Innenleben der Parteien, er versteht das Machbare auszuloten und im Netzwerk der Interessen für das Notwendige Mehrheiten zu gewinnen. Wilhelm Ebert hat ein phänomenales Gespür für Zeitprobleme, er greift vielfältige Strömungen auf und transformiert sie in den pädagogischen Raum. Er ist ein Politiker, der agiert, nicht reagiert. Er weiß, wo sich die Macht befindet, aber er bezieht die Opposition mit ein.

Wir kennen Wilhelm Ebert als mitreißende Führungspersönlichkeit. Er führt Menschen zusammen, setzt Prioritäten und inspiriert viele für seine Ideen und Anliegen. Wilhelm Ebert ist im persönlichen Gespräch ebenso intensiv und überzeugend wie im öffentlichen Vortrag! Wie oft haben wir ihn erlebt! Welche Dynamik liegt in seiner Rede! Sprachmächtig, geistreich, originell, zupackend, voller Kraft, Begeisterung und Leidenschaft!

In letzter Zeit hat Wilhelm Ebert eine Wendung nach innen vollzogen. Er stellt die uralte Frage nach Auftrag und Sinn des Menschen in einen neuen Zusammenhang und sieht sie in seiner geistigen Evolution. Für manche mag die Transformation des naturwissenschaftlich-philosophischen Denkens auf die Sache der Schule und des Lehrers anstrengend sein. Manchem mag sie vielleicht noch nicht zwingend genug erscheinen. Aber Wilhelm Ebert weiß, wenn sich Schule und Lehrer nicht diesen zentralen humanen und geistigen Herausforderungen stellen, entziehen sie sie selbst die Existenzberechtigung.…

Wir alle danken Wilhelm Ebert heute mit der Verleihung des Titels ‚Ehrenpräsident des BLLV‘. Wir danken ihm, indem wir auf dem Weg weitergehen aber den er aufgezeigt hat.

 

Würdigung des Lebens und Wirkens von Wilhelm Ebert anlässlich seines Todes

von Prof. Dr. Max Liedtke

Im Leben verläuft nicht alles nach Plan. Ich hatte die Ehre, auf Wunsch Wilhelm Eberts die Festrede zu seinem 90. Geburtstag zu halten. Die damalige Festrede war betitelt „Annäherung an eine Laudatio“. Es war dann abgesprochen, dass ich auch zu seinem hundertsten Geburtstag sprechen und die Laudatio fortsetzen sollte. Wilhelm Ebert hat sich nicht an diese Absprache gehalten. Nun muss ich zu seinem Tode sprechen als vielleicht recht guter Kenner seiner Geschichte und als naher Altersfreund. Aber auch am Ende seines Lebens, in der Trauer seiner Familie und in unserer Trauer, es bleibt bei Annäherungen.

Ich hatte damals zum 90. Geburtstag gesagt, ich hätte über ein gelobtes Leben zu berichten. Das ist heute nicht anders. Schaut man auch nur auf die Festreden und Grußadressen, die zu Ehren Wilhelm Eberts gehalten worden sind, es entpuppt sich schon als Laudatio der Metastufe, wenn man auch nur die Frage zu beantworten versucht, wie oft Wilhelm Eberts Lob schon gesungen worden ist. Mit den zu seinen Geburtstagen vorliegenden Laudationes lässt sich leicht ein dickleibiger Sammelband füllen. Ein gelobtes Leben! Und in welch hohen Tönen wird gelobt! Ich zitiere aus der Passauer Neuen Presse von 1973: "Die Verdienste, die Wilhelm Ebert sich in seiner Arbeit im Schulwesen für Bayern - und nicht nur für Bayern - erworben hat, werden von den maßgebendsten Politikern aller Parteien anerkannt. Die bayerische Lehrerschaft - und nicht nur diese - kann sich glücklich schätzen, dass ein Wilhelm Ebert für sie tätig ist." Es mag in der langen Liste der späteren Würdigungen einige Variationen in der Tonhöhe geben, aber der Jubelton bleibt durch die Jahrzehnte erhalten.

Es ist eine weitere Laudatio der Metastufe, wenn man nur benennt, wer alles zu seinen Laudatoren zählte. Ich nenne nur allen wohlbekannte Namen, die aber zugleich auch die zeitlichen Dimensionen anzeigen, in denen sich dieses gelobte Leben abgespielt hat: Wilhelm Högner, Hanns Seidel, Alfons Goppel, Franz-Joseph Strauß – mehrfach, unvorbereitet authentisch -, Edmund Stoiber, Theodor Maunz, Ludwig Huber, Hans Maier – mehrfach und gut vorbereitet - , Karl Böck, äußerst präzise vorbereitet, Gerold Tandler, Hildegard Hamm-Brücher, Hans-Jochen Vogel, Hans Zehetmair. Serien an benamsten Pädagogen und Verbandsvertretern wären zu nennen. Heute ergänze ich: Es war ein gelobtes und ein erfülltes Leben. Erfüllt? Das kommt mir nicht so leicht über die Lippen: Wie soll man das lange Leben des verstorbenen 94-jährigen zusammenfassen, und wie kann man ohne Kommentar und Relativierungen ein Leben, das wie seines durch so unterschiedliche Zeiten gegangen ist, „erfüllt“ nennen?

Ich skizziere nur mit wenigen Strichen zur Erinnerung: In katholischer Familie geboren, als Kind und Jugendlicher 15 Jahre unter tschechoslowakischer Regierung im damaligen Sudetenland, aus der Großfamilie heraus sozialdemokratisch geprägt, deswegen auch zu den Roten Falken, als man in Deutschland zur Hitlerjugend ging; Tränen, als man 1938 nach Anschluss an Deutschland "Heil Hitler" grüßen sollte. Später doch auch bei der Hitlerjugend, wohl Flieger-HJ; alsbald Soldat und junger Offizier im Osten, Norden und Westen, durchaus auch in vorderster Front, nicht nur mit Heldenmut, auch unter Angst; 45-47 in Französischer Kriegsgefangenschaft; Erschrecken über die Naziverbrechen; 47 Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft; kein Weg zurück ins Sudetenland; als Heimatvertriebener in Bayern. Lehrer und Lehrerfunktionär in früher Nachkriegszeit, hoffend auf Europa und Weltregierung, und zwar Jahrzehnte unter den Bedingungen im geteilten Deutschland, im kalten Krieg, neue Hoffnungen im wiedervereinigten Deutschland, im hohen Alter mit Entsetzen Erfahrung aufkommender Zweifel an Europa und erhoffter Weltregierung, Erfahrung mangelnder Akzeptanz der Menschenrechte.

Kann man unter solchen Umständen ein erfülltes Leben haben? Doch man kann. Aber man muss doch wenigstens in Ansätzen wissen, unter welchen Bedingungen sich das Leben abgespielt hat, das man ein „erfülltes“ nennen möchte. Wenn jemand wie Wilhelm Ebert nach den Katastrophen der Nazizeit geradezu Tag für Tag geholfen hat, eine neue, eine humanere, eine freiere, eine demokratische Welt aufzubauen, dann hat er ein erfülltes Leben gehabt, trotz aller Kümmernisse, in gewisser Weise so gar wegen der Kümmernisse, die sein Leben begleitet haben. - Sein erstes und großes bildungspolitisches Arbeitsfeld, jene Ziele umzusetzen, war der BLLV, den er zu einem der professionellsten Berufsverbände gemacht hat. Aber nicht nur das.

Er hat nach der Katastrophe der Nazizeit, in der eben auch der BLLV schuldig geworden ist, wesentlich dazu beigetragen, dass der Verband bei der Vertretung der Lehrerinteressen, soweit ich das überschauen kann, immer auch das Allgemeinwohl im Auge behalten hat. - Eine für Bayern geschichtliche Großtat war es sodann, dass Wilhelm Ebert es 1968 in führender Position durch seinen ganz persönlichen Einsatz durchzusetzen half, die Bayerische Verfassung zu ändern und die christliche Gemeinschaftsschule einzurichten. Damit wurden ohne Zweifel die konfesssionellen Unterschiede in der Gesellschaft entschärft. Überdies wurde im gleichen Prozess die Entkonfessionalisierung der Lehrerbildung erreicht, in deren Folge die Lehrerbildung an die Universitäten gebracht werden konnte. Ziele, die die Bayerische Lehrerschaft unentwegt seit 1848 angestrebt hat. -

Aus dem großen Kanon seiner Leistungen ist dann aber (noch einmal) die Leistung zu nennen, die er selber besonders hoch eingestuft hat: In Erinnerung an das Kriegsende und an die Zeit der Gefangenschaft schrieb Wilhelm Ebert 1980 über seine Erwartungen und Hoffnungen in der frühen Nachkriegszeit: "Meine Erwartungen für meine persönliche, die deutsche und weltpolitische Zukunft lagen in der Hoffnung auf wirksamen Abbau von Feindseligkeit, Haß und Vorurteilen und die schrittweise Errichtung einer an den Menschenrechten orientierten Weltregierung." Deswegen bezeichnete er es selber als "außergewöhnliche berufliche Erfüllung", dass er den Weltverband der Lehrerorganisationen (WCOTP) zwölf Jahre hindurch bei der UNESCO und anderen internationalen Organisationen als "Ständiger Delegierter" vertreten durfte und dass er von 1975 bis 1978 Präsident des einflussreichsten westlichen Weltlehrerverbandes war.

Viele Details wären zu nennen. Ich resümiere aber nur aus meiner Kenntnis der Geschichte der Schule, des BLLV und des Lebensweges Wilhelm Eberts: Wilhelm Ebert gehört zu den bedeutendsten Gestalten der Geschichte des BLLV. Er zählt zum Kreis der einflussreichsten Bildungspolitiker Deutschlands der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit europäischer und globaler Ausstrahlung. Ein gelobtes und erfülltes Leben. Was hat ihn angetrieben? - Natürlich, wie schon mehrfach thematisiert - die Erfahrungen der Verbrechen des Nationalsozialismus. Aber es waren nicht nur seine Erfahrungen, die man vielleicht als historisch erledigt beiseite hätte legen können. Es waren durchaus lebensbegleitende Erfahrungen, und auch nicht nur seine eigenen. Es waren Erfahrungen, die auch im familiären Gedächtnis lebendig geblieben sind.

Wenn man Gisela Eberts Erinnerungen "Rekonstruktion meiner Odyssee 1945-1947" liest, erfährt man am deutlichsten, welche bedrückenden Erfahrungen jener Zeit im kollektiven Familiengedächtnis lagen und sich immer wieder meldeten: Jahre getrennt vom Verlobten. Wo mag er sein? Lebt er noch? Überstürzte Flüchtlingstrecks von Posen her. Ängste, wie überlebt man bei 20 Grad Kälte, wie überlebt man den Hunger, die Bomben und Granaten. Ziellose Flucht. Ängste vor Vergewaltigungen durch die Soldateska, Verstecke suchen. Vater, nach der Flucht verschleppt von russischen Soldaten. Trotz aller Nachforschungen nie mehr was von ihm gehört. Erst 1995 erfuhr sie vom Roten Kreuz, dass der Vater bereits im März 1947 in einem russischen Internierungslager umgekommen war. Solche Erfahrungen, betont Wilhelm Ebert immer wieder, waren es, die ihn in die Schule und die nationale und internationale Bildungspolitik geführt haben. Hier liegt auch der Grund, dass Wilhelm Ebert die Kuratoriumsfunktionen, die er in der Akademie für politische Bildung Tutzing bereits seit Gründung der Akademie 1957 übernommen hatte, bis zu seinem Tode nicht aufgegeben hat. -

Aber Antrieb war auch eine unbändige und mitreißende Hoffnung, die ihn sein Leben lang begleitete. Bei seiner Antrittsrede als Präsident des Weltlehrerverbandes sagte er 1975: "Wir dürfen die Hoffnung und Überzeugung nicht aufgeben, dass unsere Welt überleben kann, in Frieden überleben kann, wenn es uns gelingt, die Bollwerke des Friedens im Geiste der Menschenrechte zu errichten." Warum dürfen wir nicht die Hoffnung aufgeben? Hier kommen elementarste, Wilhelm Ebert völlig vertraute evolutiv leicht begründbare Wertungen ins Spiel, die in erster Linie allen Eltern dieser Welt geläufig sind: man kann nicht Kinder haben, ohne auf Hoffnung zu bauen. Man kann nicht mit Kindern umgehen, ohne Hoffnungen zu vermitteln. Wenn er an uns Lehrer denkt, kann Wilhelm Ebert hier, weitab von Standesinteressen, mitreißend reden. Es ist die Aufgabe des Lehrers "zu begeistern, mehr anzubieten, als die Gegenwart anzubieten hat, seine Schüler zu überzeugen, dass ihr Morgen besser sein wird als das Heute. Lehrer können und dürfen nicht der Verzweiflung erliegen, nicht in Anchorage, nicht in Bombay ... oder Santiago. Natürlich kennt der Lehrer die Wirklichkeit der Not und Konflikte. ... Aber wie schrecklich die gegenwärtige Situation auch sein mag, Lehrer müssen jeden neuen Tag mit der Versicherung beginnen, dass es Möglichkeiten und Hoffnungen für bessere Verhältnisse gibt. In diesem Prinzip der Hoffnung liegt die innerste Wurzel der Solidarität aller Lehrer ..." (1975/2009 S. 812).

Ich ergänze, in diesem Prinzip der Hoffnung liegt die innerste Wurzel aller erzieherischen und unterrichtlichen Bemühungen. Erziehung und Unterricht und in deren Gefolge die gesamte Kultur haben sich nur entwickeln können, weil sich die jeweils ältere Generation im statistischen Durchschnitt überwiegend zum Vorteil der nachwachsenden Generation verhalten hat. Und wenn Wilhelm Ebert dieser Zuversicht und Hoffnung Ausdruck geben wollte, zitierte er gerne „Die Gedanken sind frei“, das Lied, das nach seiner Auskunft in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg in Lehrerversammlungen einen fast hymnischen Rang hatte.

Wie würde Wilhelm Ebert selber sein Leben heute rück- und vorwärtsblickend beurteilen? Würde auch er es loben? Was die bildungspolitischen Leistungen anlangt, hätte er ohne Zweifel genügend Selbstbewusstsein, das ihm gespendete Lob nicht abzuwehren. - Seinen BLLV würde er ohne Zweifel loben. Niemals habe ich ihn über seinen Verband abwertend reden hören. Auch mit seinen Nachfolgern, mit seiner Nachfolgerin war er hoch zufrieden. - Europa und eine demokratisch legitimierte Weltregierung? Was ist da zu loben! Da ist die Weltgeschichte weit hinter Wilhelm Eberts Wünschen und Hoffnungen zurückgeblieben. Durch den Gang der jüngsten Geschichte erscheinen seine Wünsche und Hoffnungen wie bloße Utopien. Wie nach der Hohen Zeit der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 und nach der Beendigung des kalten Krieges die europäische Idee wieder so brüchig werden konnte, wie die UNO offensichtlich an Einfluss verlor, war für Wilhelm Ebert eine sehr bittere Erfahrung. Dass es einen Brexit geben würde, lag völlig außerhalb seiner realen Erwartungen. Noch mehr bedrückte ihn das Aufkommen sogenannter patriotischer Bewegungen in Europa und anderwärts, weil er hinter dem vorgegebenen Patriotismus einen Rückfall in Nationalismen befürchtete. Ich hätte ihm für seine letzten Lebensjahre andere Nachrichten gewünscht. Aber umgeworfen haben ihn auch diese Rückschläge in seinen Hoffnungen nicht. Ihm war durchaus bewusst, dass die Entwicklungen in dieser Welt leider nicht nach paradiesischen Maßstäben verlaufen.

Ein zweites Beispiel von Wilhelm Eberts Kummer war sein schon Jahrzehnte währender Unmut darüber, dass die pädagogischen Wissenschaften sich mehr und mehr zu theoriearmen messenden Disziplinen entwickeln, dabei aber erstens die Leistungen der Schüler auf leicht messbare Parameter reduzierten, zweitens an den Nöten der Lehrerschaft vorbei agierten. Gerade wegen seines naturwissenschaftlichen Interesses legte Wilhelm Ebert größten Wert auf eine empirisch orientierte, interdisziplinär arbeitende und theoriefähige Wissenschaft, aber eben nicht auf eine auf wenige Parameter ausgedünnte sozialwissenschaftliche Empirie. Der Lehrer benötigt in den Augen Eberts hingegen auch eine Theorie, weil er, wie auch der Politiker, beständig unter Handlungsdruck steht. Wilhelm Ebert sagte 1973 in Erlangen: Der Lehrer vor den konkreten Problemen einer Schulklasse "kann nicht abwarten, bis ... eine neue Forschungsreihe abgeschlossen ist." Er "ist von seiner Aufgabe her zur Entscheidung gefordert und herausgefordert. Und zwar in jedem Fach und in jeder Stunde gegenüber jeder Gruppe und jedem Schüler" (743). Dazu bedarf er Hilfen durch plausible Theorien. Wilhelm Ebert würde die geforderte Theorie persönlich in einer umfassenden Evolutionstheorie suchen. Schulreform nennt er daher auch einen "Teilprozess einer unablässig fortschreitenden kulturellen Evolution. Für den Menschen ist es der maßgebende Evolutionsstrang, der ganz allein in seine Verantwortung gegeben ist" (1993, 39). Diese Deutung rückt ihn auch in deutliche Nähe zu Hans Sauer, in dessen 1989 gegründeten Stiftung er bis zu seinem Tode mitgearbeitet hat. Die Stiftung hieß ursprünglich "Hans-Sauer-Stiftung für evolutionsorientiertes Erkennen und Handeln". Als Eberts Altersfreund darf ich noch etwas persönlicher werden: Man stirbt nicht als Lehrer und Verbandsfunktionär. Man stirbt als Mensch.

Erfülltes Leben? - Er war wach bis auf sein Sterbebett. - Er fühlte sich sehr gut behütet: Er hat mir oft gesagt, dass er ohne seine Frau, ohne seine Gisela, die längere Phase seiner physischen Gebrechlichkeit kaum durchgestanden hätte. - Sohn Wolfram war ihm eine verlässliche Stütze. Er sei ihm Trost und Beruhigung gewesen, allein schon wenn er ihn neben seinem Bett sitzen sah. - Er hatte keine Angst vor dem Tode. Schmerzen sind ihm nicht erspart geblieben. Aber er hat den Tod erwartet. Fast neugierig, mit vielen Fragen. Ich illustriere das an meinem nun schon Jahre zurückliegenden ersten Besuch bei Eberts: Wohnzimmer. Thema an allen Wänden: In Bildern und Symbolen die vier großen Weltreligionen. Frage an Wilhelm Ebert: Warum? "Suchender!" Wer ist das nicht? Präzisierung: "Durch Begegnungen - UNESCO und Weltlehrerverband - noch stärker Suchender, und durch den Umgang mit den Wissenschaften". Resümee vieler folgender Gespräche: man sucht, aber mit jeder Antwort wächst die Zahl der Fragen wie ein sich verzweigender Baum. An manchen Stellen merkt man, die Fragen können wir zwar stellen, aber Antworten sind aus unserer Position nicht möglich. Wer weiß schon, warum es uns und das Sandkorn in der Wüste gibt. Schließlich ist die wachsende Zahl ungelöster Fragen so etwas wie die Antwort, und zwar eine hoffnungsvolle Antwort. Wie klein wäre die Welt, wenn wir sie verstehen könnten! Das war sein Denken. Irgendwie großartig wie sein Leben.

 

 

Wir gedenken unserem Wegbereiter und Freund Wilhelm Ebert

Trauerrede von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann

Wir sind heute zusammen gekommen, um Wilhelm Ebert zu gedenken. Am 28. Juni diesen Jahres fand sein bewegtes und engagiertes Leben ein Ende. Wilhelm Ebert war Präsident des BLLV von 1955 bis 1962 und von 1967 bis 1984. Er war Vorsitzender unseres Bundesverbandes Verband Bildung und Erziehung von 1979 bis 1993 und er war Präsident des Weltlehrerverbandes World Confederation of the Teaching Professions von 1975 bis 1978. Wir gedenken einer der großen Persönlichkeiten der Lehrerbewegung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bayern, in Deutschland und weltweit.

Im April dieses Jahres, wenige Wochen vor seinem 94. Geburtstag besuchten Dr. Albin Dannhäuser, Klaus Wenzel und ich Wilhelm Ebert. Seine Frau Gisela hatte liebevoll den Kaffeetisch gedeckt. Wilhelm saß in seinem großen Sessel. Er erwartete uns schon mit seinen immer noch lebendigen, neugierigen und glücklichen Augen. Es war eine bewegende Stunde für uns alle, besonders aber für mich – halb so alt wie Wilhelm. In eine ganz andere Zeit hineingeboren.

Drei der ganz großen BLLV-Männer, drei beeindruckende Persönlichkeiten tauschten nun vor mir ihre Erinnerungen aus. Sie gedachten gemeinsam erlebter Kämpfe, Siege und Niederlagen. Sie erzählten Anekdoten und Kuriositäten aus ihrem Leben, der Politik und dem BLLV. Und ich saß da mit Staunen und Faszination. Es war für mich eine lebendige Geschichtsstunde. Es berührte mein Herz. In dieser Stunde wurde mir so richtig bewusst, dass unser BLLV, wie wir ihn heute leben, erleben und gestalten, dass dieser BLLV Wilhelm Ebert unendlich viel zu verdanken hat. Es kam mir plötzlich vor, als wäre Wilhelm wie das Herz dieses BLLV. Über 70 Jahre hat es geschlagen für die Pädagogik, für unsere offene, demokratische Gesellschaft, für uns Lehrerinnen und Lehrer und für unseren BLLV. Selbst im hohen Alter immer noch mit voller Vitalität - kämpferisch, unerschrocken und sehr, sehr menschlich. Seine wachen Augen und sein engagiertes Argumentieren werde ich nie vergessen. Es war eine beglückende und eine unvergesslich Begegnung.

Bei diesem Treffen wurden Wilhelm Eberts zentrale Visionen ein letztes Mal überdeutlich. Sie haben ihn ein langes Leben begleitet und geleitet, sein Handeln bestimmt. Sie sind dank ihm auch die Visionen des BLLV - unsere DNA. Wilhelm Ebert glaubte an die Macht der Bildung. Er war sich sicher, dass Bildung das Fundament ist für eine offene und demokratische Gesellschaft. Gleichzeitig wusste er, dass eine humanistische Bildung – so wie er sie verstand - Garant sein muss dafür, das ganze Kind zu fördern - kognitiv, emotional und sozial. Wilhelm Ebert betonte immer wieder, dass humanistische Bildung nur dann wirksam werden kann, wenn sie von den Lehrerinnen und Lehrern getragen wird. Bildung muss gelebt werden. Gesetze und Verordnungen reichen bei weitem nicht. Wilhelm Ebert betonte wieder und wieder, dass die Lehrer es sind, die durch ihr Wirken das Fundament einer freiheitlichen, offenen und demokratischen Gesellschaft schaffen können. Er war überzeugt, dass jede Schulreform immer mit den Lehrerinnen und Lehrern erfolgen muss – niemals an ihnen vorbei oder gar gegen sie. Sie müssen überzeugt und motiviert sein – sonst gelingt nichts, gar nichts. Und wo beginnt dies? Natürlich mit der Lehrerbildung.

Die Reform der Lehrerbildung war Wilhelm Eberts großes Thema. In der Denkschrift des BLV aus dem Jahr 1862 heißt es: „Die Umgestaltung der Lehrerbildung muss als der Kern- und Angelpunkt der gesamten Schulfrage erklärt werden.“ Ja so sollte es sein. Das hatte auch Wilhelm schon als 30jähriger erkannt. Das trieb ihn an. Und er hatte Erfolg: Die Entkonfessionalisierung und die Akademisierung der Lehrerbildung in Bayern machte er zum Zentrum des Landtagswahlkampfs 1954 und zum Regierungsprogramm der sog. Viererkoalition. Wilhelm glaubte an das Primat der Pädagogik gegenüber der Auslese. Dies bewegte ihn zeit seines Lebens: Er geißelte immer wieder den Widerspruch zwischen der Schule als einem Instrument der sozialen Auslese und dem pädagogischen Anspruch auf eine ganzheitliche Förderung jedes einzelnen Kindes. Er klagte an, dass Lehrerinnen und Lehrer zum Handlanger eines Selektionsprozesses gemacht werden, der im Widerspruch steht zu ihrer pädagogischen Aufgabe. In seiner bis heute aktuellen Rede aus dem Jahre 1978 mit dem Titel „Die demokratische Erziehungsschule“ hat er diesen Widerspruch messerscharf herausgearbeitet. Diese haben wir anlässlich seines Todes publizieren lassen.

Wilhelm glaubte an die Lehrerinnen und Lehrer. Er glaubte an ihre Kompetenz, an ihre Eigenverantwortlichkeit und an ihre pädagogische Redlichkeit. Er war ein scharfer Kritiker der Schulverwaltung, da sie nicht die professionelle Freiheit und Eigenverantwortung der Lehrer fördert, sondern sie letztendlich verhindert. Eberts Credo: Lehrerinnen und Lehrer brauchen Freiheit, nicht Gängelung - Vertrauen nicht Kontrolle. Lehrerinnen und Lehrer sollen keine Ausführenden sein ohne eigene Position und Verantwortung – nein sie müssen Rückgrat haben. Sie müssen für ihre pädagogischen Überzeugungen selbstbewusst eintreten. Von diesen Grundüberlegungen war Wilhelm Ebert besessen, wie sein enger Freund Hans Schiefele es einmal formulierte. Diese Themen bestimmten sein Leben, sein Reden und sein Handeln. Da gab es nichts zu rütteln. Ohne Angst vor Rückschlägen. Ohne Angst vor Widerstand. Und sich nie verbiegen, sich treu bleiben. Das war Wilhelm Ebert.

Zu diesen Überzeugungen stand er immer und gegenüber jedem, ob in Bayern, im Bund oder in den vielen Ländern, die er als Weltlehrerverbandspräsident bereiste. Selbst gegen den Widerstand in den eigenen Reihen. Er war dabei immer unbeirrt, unerschrocken und mutig. Von Anfang an. Er ließ sich nicht einschüchtern weder von der Schulaufsicht noch von Kultusministern oder von Politikern. Ganz im Gegenteil. Er zeigte den Jungen, was professionelle Unabhängigkeit des BLLV bedeutet. Er war souverän und überzeugt, niemals wankelmütig, niemals zweifelnd. Wilhelm hatte einen langen Atem, denn seine Ziele waren keine, die man schnell mal so nebenbei erreicht. Auch das können wir von ihm lernen. Auch wir brauchen einen langen Atem, denn unsere Überzeugungen liegen oft quer zum Mainstream, quer zu schnellen voreiligen populistischen Behauptungen. In diesen Jahren verlassen uns die letzten Persönlichkeiten, die unsere Demokratie in der Nachkriegszeit aufgebaut und im Laufe ihres Lebens gefestigt und gesichert haben. Wilhelm Ebert ist einer von ihnen.Wir verdanken diesen Menschen sehr, sehr viel - über 70 Jahre Frieden, Wohlstand und Sicherheit. Wilhelm Ebert war mit Fleisch und Blut Demokrat. Sein ganzes Engagement für Bildung galt immer auch unserer Demokratie.

Wie fragil Demokratien sind, erleben wir heute. Umso mehr müssen wir das Vermächtnis unserer Vorkämpfer ernst nehmen. Wir sind aufgerufen, ihr Werk zu sichern und fortzuführen. Es ist ein großes Erbe und eine große Aufgabe. Wir brauchen Vorbilder wie Wilhelm Ebert, um den Mut nicht zu verlieren, um stark zu sein in Zeiten der Unsicherheit. Wilhelm Eberts Herz hat immer für die Bildung und für Demokratie geschlagen, ohne Pause – seit 1945 - den Jahren der französischen Gefangenschaft bis zu seinem Tod: über 70 Jahre.

Liebe Frau Ebert, Sie haben ihn in dieser Zeit immer selbstlos begleitet und immer gestützt. Er hätte ohne sie nicht annähend das leisten können, was er für die Bildung, für die Lehrerbewegung und für den BLLV geleistet hat. Ich danke Ihnen heute im Namen des BLLV für diese wunderbare Begleitung - von ganzem Herzen.

Wilhelms Herz schlägt nun nicht mehr. Es hat Ruhe gefunden nach 94 Jahren eines vollen Lebens. Wir trauern, aber wir sind gleichzeitig voller Glück, voller Dankbarkeit und auch voller Ehrfurcht. Wilhelm, wir versprechen Dir hier und heute und vor vielen Zeugen: Wir führen Dein Vermächtnis fort. Wir wollen die große Idee der Pädagogik und der Demokratie in Deinem Sinne weitertragen. Wir treten dafür ein, dass wir Lehrerinnen und Lehrer unserer offenen, demokratischen und menschlichen Gesellschaft verpflichtet bleiben. Dass wir sie sichern und stärken. Unser Herz schlägt für die gleichen Ideen wie Deines schlug. Deshalb lebst Du in uns, im BLLV weiter. Wir danken Dir Wilhelm und verneigen uns vor Dir!

 

 

Wilhelm Ebert - ein Mann von Größe

Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE)

Der Tod von Wilhelm Ebert hat bei allen, die ihn kannten, tiefe Trauer ausgelöst. Als Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung ist es mir eine Ehre, ihn und sein Wirken heute würdigen zu dürfen. Was zeichnete ihn aus?

Wilhelm Ebert war zu allererst überzeugter Demokrat und Humanist. Er war die Verkörperung dessen, was Albert Einstein einmal wie folgt beschrieb: „Eine Verbesserung der Bedingungen auf der Welt ist im Wesentlichen nicht von wissenschaftlicher Kenntnis, sondern vielmehr von der Erfüllung humaner Traditionen und Ideale abhängig.“ Der Verband Bildung und Erziehung hat sich das Credo „Gerechtigkeit durch Bildung“ auf die Fahnen geschrieben. Das genau ist es, was Wilhelm Ebert immer gefordert hat, ja, wofür er gekämpft hat, wofür er einstand. Als Gründungsmitglied des VBE schrieb er 1979 an die Mitglieder des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes: „Der BLLV sieht im VBE den BLLV auf Bundesebene“ und eine „Organisation, die für Vertreter aller pädagogischen Berufe offensteht.“

Wilhelm Ebert war zudem ein leidenschaftlicher Pädagoge. Er war zutiefst davon überzeugt, dass Bildung die Grundvoraussetzung für politische, soziale und berufliche Partizipation ist. In diesem Sinne hat er den VBE auch über seine Zeit als Vorsitzender, der er von 1979 bis 1993 war, hinaus geprägt. Dafür werden wir ihm immer in Dankbarkeit verbunden sein.

Wilhelm Ebert war ein Mann von Größe. Er war gleichsam profilierter Bildungspolitiker und bildungspolitischer Netzwerker. In seinen Terminkalendern fanden sich die Telefonnummern von Kultusministern und Bildungsakteuren aus dem ganzen Bundesgebiet und darüber hinaus. Wilhelm Ebert wusste, was er wollte und wen er wann für was erreichen musste. Er verstand es wie kein anderer, im Hintergrund die richtigen Fäden zu ziehen. In Verhandlungen blieb er hartnäckig und achtete gleichzeitig stets darauf, dass der Gesprächsfaden nicht abriss. Er war bekannt für seinen wachen Geist, seine schnelle Auffassungsgabe und die Fähigkeit, auch die verfahrenste Verhandlung wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Mit seinen Mitarbeitern pflegte er ein vertrauensvolles Verhältnis. Er war gleichermaßen fordernd wie fördernd und hatte ein gutes Auge dafür, wem er welche Aufgaben anvertrauen konnte.

Wilhelm Ebert war prinzipientreu und hochengagiert. Der Ausspruch: „Alle Lehrer sind Lehrer“, den sein Nachfolger Dr. Ludwig Eckinger zu einer Kernbotschaft des VBE machte, wurde von ihm früh in die Debatte eingebracht. Wilhelm Ebert stand dafür ein, dass alle Lehrkräfte aufgrund der gleichen Aufgaben auch gesellschaftlich und in der Besoldung unabhängig von Schulstufe und Schulform gleichgestellt sein müssen, denn, und hier darf ich Wilhelm Ebert zitieren: „Das Kernstück aller weiteren Entwicklung ist der Lehrer und seine professionelle Kompetenz.“ Der Einsatz für die gesellschaftliche Wertschätzung des Lehrerberufs ist ein Teil des Lebenswerks von Wilhelm Ebert. Bereits zu Zeiten, als wir noch eine innerdeutsche Grenze hatten, war er es, der auf internationalem Parkett Verantwortung übernahm. Früh erkannte er, dass es eine starke und solidarische Weltlehrerbewegung braucht – zunächst als ständiger Vertreter, später als Vorstandsmitglied und von 1975 bis 1978 als Präsident des Weltverbandes der Lehrerorganisationen. Er trat für deren Aufbau und die inhaltliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit ein. Die starke erfolgreiche internationale Präsenz des VBE von heute geht auch auf dieses Wirken zurück.

Dann, zu Zeiten des politischen Umbruchs in Deutschland, war es Wilhelm Ebert, der ständig in Ostdeutschland unterwegs war. Hier baute er Kontakte auf und übernahm eine zentrale Rolle bei der Gründung unabhängiger Lehrerorganisationen in den neuen Bundesländern. Auch auf sein Engagement geht der heute bundesweit agierende VBE zurück. Mit Wilhelm Ebert ist ein überzeugter Demokrat, ein Mann von Größe, ein engagierter Pädagoge von uns gegangen. Der VBE hat ihm viel zu verdanken. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Eine große Führungspersönlichkeit der internationalen Lehrerbewegung

Fred van Leeuwen, Generalsekretär der Bildungsinternationale

Wilhelm Ebert war eine der großen Führungspersönlichkeiten der Lehrerbewegung weltweit. Zum ersten Mal traf ich ihn 1981, als ich Generalsekretär der Internationalen Vereinigung Freier Lehrergewerkschaften wurde. Damals war Dr. Ebert eine der herausragenden Führungspersönlichkeiten der Christlich-Demokratischen Lehrerinternationale und des Weltverbands der Lehrerorganisationen.

Heute bilden die Mitglieder dieser damaligen internationalen Organisationen den Kern der Bildungsinternationale. Sieht man auf die Arbeit der Bildungsinternationale in der internationalen Gemeinschaft heute, so kann man sicherlich sagen, dass Wilhelm Eberts Handschrift überall zu finden ist. Ich denke dabei an das Engagement für das Recht auf hochwertige Bildung für alle Kinder; ich denke an unseren Einsatz für die Verbesserung des beruflichen Status von Lehrkräften weltweit; und ich denke an die solidarische Unterstützung von Lehrerorganisationen in Ländern mit niedrigem Einkommen und in aufstrebenden Demokratien.

Ich muss gestehen, dass ich, als sich unsere Wege Anfang der achtziger Jahre kreuzten, erst einmal ziemlich überwältigt war von seinem Wissen, von seiner großen Erfahrung und vielleicht auch von seinem Charakter. Er war der strenge Schulleiter und ich der Lehrling, der etwas rebellische junge Lehrer, der auf das internationale Parkett trat, auf dem Wilhelm bereits seine Spuren hinterlassen hatte. Im Laufe der Jahre wuchs meine Bewunderung für ihn, für seine Ansichten, für seinen unabhängigen Blick auf unseren Beruf, auf Deutschland, auf Europa und auf die Welt.

Ich bin sicher, dass seine Erfahrungen als junger Mann, als junger Lehrer im Dritten Reich, gezwungen einem totalitaristischen Staat zu dienen, sein Denken beeinflusst haben. Er war der Inbegriff des Internationalisten. Nach 1945 war er auch einer der Ersten, die forderten, dass unsere Schulsysteme und unsere Lehrerbewegung mehr Verantwortung bei der Verhinderung von Totalitarismus und Krieg übernehmen sollte und dass sie eine aktive Rolle bei der Verwirklichung von Frieden und Demokratie in Europa und auf der ganzen Welt spielen müsse. Ja, wir alle erinnern uns an ihn als einen visionären Vordenker unseres Berufsstands, als einen Mann, der sich für unsere professionellen Freiheiten und für hohe berufliche Standards eingesetzt hat. Insbesondere betrachtete ich ihn als einen Aktivisten für Demokratie und Menschenrechte.

Er war ein Mann, der am eigenen Leib erfuhr, was der amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sagte, nämlich (ich zitiere): „Demokratie kann nicht gelingen, wenn diejenigen, die ihrer Wahl Ausdruck verleihen, nicht dazu bereit sind, mit Bedacht zu wählen. Der echte Garant für Demokratie ist deshalb Bildung.“ Ich weiß, dass Wilhelm, ebenso wie Roosevelt, unsere Aufgaben als Erzieher in Einklang mit John Deweys bahnbrechendem Text über Erziehung zur Demokratie sah. Dewey sieht die Rolle unserer Schulsysteme darin, sicherzustellen, dass die Schüler zu kritischen Denkern und informierten Bürgern erzogen werden, die wohlüberlegte Entscheidungen treffen, welche auf Fakten basieren, und nicht auf politischer Ideologie. In seiner Arbeit, durch seine Schriften, sahen wir den Menschen, den Lehrer, den Gewerkschaftsführer, der fest daran glaubte, dass es jenseits rechter oder linker Ideologie stets einen tatsächlichen Unterschied gibt zwischen dem, was wahr und was falsch ist. Es ist unsere Verantwortung als Erzieher, künftige Generationen darauf vorzubereiten, diesen Unterschied zu erkennen und zu verstehen.

Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass Wilhelm Ebert in den letzten Jahren seines Lebens besorgt gewesen sein muss über den anschwellenden Populismus und die politischen Entwicklungen in Europa und Nordamerika, die eine ziemlich andere Richtung nahmen als die, die er angestrebt oder erhofft hatte. Ich denke, die beste Hommage an ihn wäre, jede mögliche Anstrengung zur Stärkung des Lehrerberufs und der Lehrerorganisationen zu unternehmen, so dass unsere berufliche und ethische Verantwortung auch in Gesellschaften zur Geltung kommt, wo das Interesse an Werten und Moral schwächer zu werden scheint, oder wo Regierungen Demokratie und Menschenrechte ganz aufgegeben haben. Ich glaube, das ist es, was er von uns erwarten würde und was wir voneinander erwarten sollten.

Wilhelm Ebert war eine inspirierende Führungspersönlichkeit. Auf jeden Fall inspirierte er mich bei der Leitung eben jener internationalen Organisation, die auf seinen Idealen beruht. Ich möchte unseren Kollegen vom BLLV und vom VBE, ganz besonders aber Wilhelms Familie und seinen Freunden dafür danken, ihn mit uns, der internationalen Gemeinschaft der Lehrerinnen und Lehrer, geteilt zu haben. Auch das hat es ihm ermöglicht, über seine gesamte Laufbahn hinweg solch große Beiträge zu leisten. Seien Sie versichert, dass wir das nicht vergessen werden. Sein Vermächtnis ist bei uns in guten Händen.