"Wir müssen hinstehen, Haltung beweisen und diejenigen sein, die diese Demokratie hochhalten!"
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch über Demokratiebildung mit Schulentwicklungsexperten von schultransform.org:
"Wir als Lehrerinnen und Lehrer müssen uns besinnen, was eigentlich unser Kernauftrag ist – der Pythagoras oder vielleicht politische Bildung und Demokratiebildung im Sinne von: Wie ordne ich Medien politisch ein? Wie informiere ich mich? Was mache ich eigentlich, wenn ich irritiert bin und nicht mehr weiter weiß und Angst habe in dieser Welt? Jetzt, nach einer Woche, in der wir international und national erlebt haben, dass irgendwie alles im Wanken ist, stellt sich schon die Frage, ob wir bei ‘A Quadrat plus B Quadrat ist C Quadrat‘ bleiben können, oder ob wir uns besinnen sollten, welche Gefahren entstehen, wenn Schülerinnen und Schüler das alles nicht verstehen.
Als 2015 die Flüchtlingswelle – die ich gar nicht so bezeichnen möchte – kam, da habe ich im Parlament in Bayern erlebt, wie Menschen teilweise über diese Menschen gesprochen haben. Das führte dazu, dass wir als Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband ein Manifest herausgegeben haben mit dem Thema HALTUNG ZÄHLT. Wir haben uns ganz klar dafür ausgesprochen, dass wir in den Schulen die Demokratie hochhalten wollen. Wir wollen das vielfältige Zusammenleben begleiten, wir wollen respektvollen Umgang miteinander bei den Kindern.
Wenn Politik verbal aufrüstet, beeinflusst das die Schulen
Das gelingt uns aber nur, wenn wir einerseits diese Themen wichtig nehmen und andererseits auch ab und an der Politik mal sagen: ‘Könnt ihr euch vielleicht auch mal zusammenreißen?‘ Deswegen ist die Frage, wie wir mit den gesellschaftlichen Herausforderungen in der Schule umgehen, für uns eindeutig beantwortet: Wir müssen sie in der Schule thematisieren! Warum ist eine Ampel am Ende? Was bedeutet Trump? Was ist eine AfD? Was bedeuten Juniorwahlen, bei denen 40 % die AfD wählen? Da stimmt doch irgendwas nicht. Das müssen wir zum Thema machen. Wenn Schülerinnen und Schüler mich fragen: ‘Für wen bist du im Kriegsgeschehen?‘ Dann wird zurückziehen und den Kopf in den Sand stecken gefährlich! Nein, wir müssen hinstehen, Haltung beweisen und diejenigen sein, die diese Demokratie hochhalten!
Ich muss als Lehrerin schauen, was meine Kinder beschäftigt und besprechen: Was wollt ihr diskutieren, was habt ihr in den Medien gehört, was ist euch auf Tiktok begegnet? Warum sagst du ‘Du Judenschwein!‘? Was sagst du da? Ich muss also annehmen, was da gerade passiert, ich muss mit den Kindern die gesellschaftlichen Themen angehen. Ich muss aber auch als Person hinstehen und einstehen für die Demokratie, für eine Haltung und dann auch die Eltern mitnehmen, die ja oftmals lieber den Pythagoras unterrichtet hätten, als dass die Kinder zu kritischen Mediennutzern erzogen werden.
Gesunder Menschenverstand, Herz und Mut
Festhalten am Lehrplan mit Scheuklappen links und rechts und die Ohren zu machen, das wird nichts. Wir müssen unsere Systemrelevanz, wie es in Corona hieß, wahrnehmen. Wir müssen mit der Gesellschaft Diskussionen führen: Was wollt ihr denn als Auftrag der Schule? Kinder müssen lesen, rechnen und schreiben können, gar keine Frage. Wir müssen uns aber gleichzeitig aufschließen für neue Aufgaben und mit der Gesellschaft diskutieren: Was soll Schule eigentlich leisten? Das sehe ich als eine große Herausforderung. Wir müssen jetzt schauen, was hier in Deutschland passiert, wenn drei unterschiedliche Parteien es nicht mehr schaffen, dieses Land zu regieren. Was passiert in Kriegsgebieten? Warum hast du Angst vor Armut? Die Welt bietet – leider – so viele Themen, die wir alle nicht dachten, dass diese zu thematisieren sind. Aber das muss jetzt mitten rein in die Schule.
Ich muss mich dazu als Lehrerin auch mal frei machen von Vorgaben, ich muss meinen Menschenverstand einsetzen und mutig hinstehen, denn ich habe das Herz am rechten Fleck. Wir sind Pädagogen geworden, weil wir mit Kindern arbeiten wollen und nicht, weil wir Lehrpläne abarbeiten wollen. Wir wollen nicht Haken setzen und Wissen abprüfen, sondern die Gesellschaft von morgen gestalten. Wenn wir das nicht tun, wenn wir immer alles andere wichtiger nehmen, dann verlieren wir die Kinder von heute."
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