Mit den Hilfsmitteln, die in Schmink-Tutorials verwendet werden, verdienen Influencer viel Geld - und die Industrie, die sie bezahlt, noch mehr ...
Mit den Hilfsmitteln, die in Schmink-Tutorials verwendet werden, verdienen Influencer viel Geld - und die Industrie, die sie bezahlt, noch mehr ...
Selbstvertrauen statt Verschönerungs-Kult Startseite Topmeldung
Eltern Medienkompetenz Psyche Soziale Medien

„Mädchen sind so viel mehr wert als ihre Fake-Klimperwimpern!“

Tutorials auf TikTok & Co. geben Mädchen Schmink-Tipps in Dauerschleife. Der Druck, sich ständig zu verschönern, ist immens, die Beauty-Industrie freut sich. Für die psychische Gesundheit der Kinder ist das allerdings fatal, warnt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.

Das Versprechen, mit ein paar geschickten Handgriffen hübscher, angesagter und attraktiver zu werden, trifft auf Kinder in einer sensiblen Entwicklungsphase, in der Dazugehören und Gesehen-Werden enorm wichtig werden und Persönlichkeits- und Identitätsbildung die jungen Menschen ohnehin enorm fordern. Transportiert wird dieses Versprechen über Schmink-Tutorials auf Tiktok, Youtube, Insta & Co. „Über diese Kanäle findet Körperkultbildung statt“, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch mit dem Straubinger Tagblatt über das Thema klar.

Perfide dabei: Viele Influencer gaukeln dabei – unter anderem über technische Hilfsmittel der Plattformen – eine nie erreichbare Perfektion als Normalität vor. Das setzt Kinder, die das nachahmen wollen, enorm unter Druck. „Da man in der Realität keinen Bildfilter tragen kann, kauft man sich eben die ganze Palette und klatscht sie sich ins Gesicht“, schildert Fleischmann die häufige Reaktion, die sich an Schulen zeigt.

Als freundschaftlicher Tipp getarnter Beauty-Kapitalismus

„Wir gehen auf Kinder zu, die geradezu zugekleistert sind – und das keinesfalls anklagend, sondern wir suchen das Gespräch“, berichtet die BLLV-Präsidentin. Denn in erster Linie gehe es um Aufklärung. Den Kindern ist größtenteils nicht klar, dass die Anbieter solcher Tutorials von den Firmen bezahlt werden, deren Produkte sie in den Anleitungsvideos verwenden – und die Kinder dann gerne nachkaufen, damit der Look hoffentlich genauso toll wird wie im Tutorial. „Das ist alles von den Beauty-Firmen unterwandert, die Wirtschaftskraft dahinter riesig“, stellt Simone Fleischmann klar.

Im besten Fall können das Eltern erklären, wenn sie ihre Kinder mit den Inhalten in sozialen Medien nicht allein lassen. Allerdings stößt man beim Versuch zu erklären, dass Influencer, die sich ja ganz bewusst auf Augenhöhe inszenieren, schlicht Werbefiguren sind, oft auf große Widerstände beim Zielpublikum.

Unsicherheit in den Entwicklungsjahren befeuert das Geschäft

Wenn Eltern dann noch die Mittel fehlen, um die teuren Produkte zu finanzieren, kann das zu „ganz schlimmen Konflikten führen“, beobachtet Simone Fleischmann: „Manche Kinder klauen oder versuchen auf irgendeine andere Art, das Geld zu besorgen.“ Die BLLV-Präsidentin rät in solchen Fällen auch frühzeitig das Gespräch mit Lehrkräften zu suchen.

Denn letztlich gehe es vor allem darum, Kinder dabei zu unterstützen, was hinter dem Wunsch nach Selbstverschönerung steht. „Viel Make-up zeigt, dass Kinder ein Persönlichkeitsentwicklungsproblem haben und kein Selbstwertgefühl“, sagt Simone Fleischmann. Als Beauty-Tipps getarnte Werbung der Industrie setzt genau da den Hebel an. „So manifestiert sich der Gedanke ‘Ich muss mich immer noch schöner machen‘“, warnt die BLLV-Präsidentin.

Brauchen wir schöne oder gute Menschen?

Das Thema Make-up ist dabei zunächst noch vergleichsweise harmlos, kann aber weiter führen: „Es gibt Schülerinnen, die erbrechen in der Pause, um ja nicht zuzunehmen, und das mit der Begründung, dass man die Rippen sehen soll“, berichtet Fleischmann und findet: „Das ist weitaus besorgniserregender!“

Die Auswirkungen des umsatzgetriebenen Selbstverbesserungskultes auf die Gesellschaft sind nicht zu unterschätzen, warnt die BLLV-Präsidentin. Denn nur wer ein intaktes Selbstwertgefühl empfindet, kann sich aus dieser inneren Stärke auch selbst für Werte einsetzen. „Mädchen sind so viel mehr wert als ihre Fake-Klimperwimpern“, betont Simone Fleischmann. „Eine Gesellschaft definiert sich nicht durch eine Beauty-Fake-Welt, sondern durch gute Menschen.“

» ausführlicher Bericht „Der Filter überm Gesicht“ im Straubinger Tagblatt vom Sa., 10.08.2024 (kostenpflichtig)