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Rechtskolumne Service

Laufen lassen?

Wenn Menschen massenhaft gegen Rechts auf die Straßen gehen, geht das an Schulen nicht vorbei. Doch wie soll man den Protest im Unterricht thematisieren? Dürfen Beamte den Schülern mitteilen, dass sie auch dabei sind? Dürften sie sogar zum Mitmachen raten?

Der Fall

Eine Lehrerin möchte im Themenbereich Demokratie des GPG-Unterrichts einer 8. Klasse auch die Bedrohung der Demokratie durch rechte Umtriebe sowie die Demonstrationen gegen Rechts behandeln. Ihr ist klar, dass sie als Beamtin einem Mäßigungsgebot unterliegt. Sie fragt in der Rechtsabteilung nach, wie sie Meinungsfreiheit Ausgewogenheit, Neutralität und die nötigen Sachinformationen unter einen Hut bringen kann.

Der Hintergrund

Infolge eines Berichts von „Correctiv“ über einen mutmaßlichen Masterplan rechter Kreise zur „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund kam es im Frühjahr 2024 zu zahlreichen Demos gegen Rechts. Millionenfach gingen Menschen für Freiheit und Demokratie auf die Straße. Dies warf auch innerhalb der Schulen die Frage auf, inwieweit man als Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler darüber informieren kann, dass man selbst sich daran beteiligt, oder sie sogar aufrufen darf, ebenfalls mitzulaufen.

Die Rechtslage

Grundsätzlich gelten für Lehrkräfte zunächst die allgemeinen Beamtenpflichten. Dazu gehört das politische Mäßigungsgebot, das in Art. 33 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) geregelt ist. „(1) Beamtinnen und Beamtedienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. (…) (2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.“

Das Contra

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG ist für Beamtinnen und Beamte zulässigerweise dahingehend eingeschränkt, dass sie im dienstlichen Bereich zu einer politisch neutralen Amtsführung verpflichtet sind. Außerdem greifen Art. 84 (2) BayEUG („Politische Werbungim Rahmen von Schulveranstaltungen oder auf dem Schulgelände ist nicht zulässig.“) und § 16 Satz 1 LDO („Jegliche Werbung für politische Parteien, Wählergruppen, Bürgerinitiativen oder vergleichbare Vereinigungen sowie für deren Meinungen und Anliegen ist im Unterricht und im schulischen Bereich unzulässig.“).

Und schließlich gilt der sogenannte Beutelsbacher Konsens aus den 1970er Jahren als Referenzrahmen, da er „für die formale politische Bildung auf drei zentrale didaktische Leitgedanken verweist“ (so die Bundeszentrale für politische Bildung):

1. Überwältigungsverbot: Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. (lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens)

Das Pro

Dies alles klingt zunächst sehr eng gefasst und legt Lehrkräften – salopp gesprochen – gewissermaßen einen Maulkorban. Es ist aber keineswegs so, dass die Meinung der Lehrkraft gar nicht erkennbar sein darf, nur darf sie eben nicht dominieren und die Schülerinnen und Schüler in eine (politische) Richtung zu manövrieren versuchen.
Daneben aber haben Beamtinnen und Beamte sogar die Pflicht, sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) einzusetzen, denn auch das steht in § 33 (1) BeamtStG: „Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.“

Die Einlassung des Dienstherrn

Auch die Bayerische Verfassung schreibt in Art. 131 (2) vor, die Schülerinnen und Schüler im Geiste der Demokratie zu erziehen. Dies präzisiert das Kultusministerium ganz aktuell in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage (Drucksache19 / 724): „Schulen haben einen politischen Bildungsauftrag,der (…) zugunsten der in Art. 131 Bayerische Verfassung (BV) und Art. 1 und 2 BayEUG genannten Bildungs-und Erziehungsziele wahrgenommen werden soll und hier insbesondere (,Erziehung im Geist der Demokratie’) für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes (FDGO) eintritt: Demokratieerziehung ist Verfassungsauftrag.
§ 33 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verpflichtet Beamtinnen und Beamte zur parteipolitischen Neutralität, zur unparteiischen, allgemeinwohlorientierten Aufgabenerfüllung und dazu, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur FDGO zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Im Hinblick auf die FDGO sind Beamtinnen und Beamte also gerade nicht zur Neutralität, sondern zum Bekenntnis und Eintreten für die FDGO verpflichtet.“

Conclusio

Die obenstehende Antwort des KM bezog sich auf eine Anfrage aus der AfD-Fraktion, wo man der Meinung war, durch Aufrufe zu Demos für Demokratie und gegen Rechts in den eigenen Rechten verletzt worden zu sein. Richtig ist aber nur, dass Demo-Aufrufe, die sich gezielt gegen einzelne Parteien richten, innerhalb der Schule unzulässig wären. Wer also dazu aufruft, gegen die AfD oder andere Parteien zu demonstrieren – oder auch FÜR eine bestimmte Partei – verstößt gegen die Neutralitätsverpflichtung und das Mäßigungsgebot.

Wer aber, wie im vorliegenden Fall, die Schülerinnen und Schüler auf eine Demo gegen Rechtsextremismus aufmerksam macht, bewegt sich im zulässigen Rahmen, denn ein „Aufruf zur freiwilligen Teilnahme an einer Demonstration gegen Rechtsextremismus an sich ist deshalb vom Erziehungsauftrag gedeckt“, führt das KM aus und begründet: Der parteipolitisch neutrale Hinweis einer Lehrkraft auf die Möglichkeit, sich als Privatperson an einer Demonstration zu beteiligen, die sich für die FDGO einsetzt, bewege sich im zulässigen Rahmen.

Umgekehrt kann auch die Lehrkraft die Frage aus der Klasse, ob sie denn auch an einer Demo gegen Rechts und für die Demokratie teilnimmt, selbstverständlich beantworten – und insbesondere dann, wenn die Antwort „Ja“ lautet, denn genau das zeigt ja das Eintreten für die FDGO. Wer peinlichst darauf achtet, auch nicht den Hauch einer politischen Richtung von sich selbst preiszugeben, macht zwar aus rechtlicher Sicht alles richtig, geht aber vielleicht an die Grenze der Selbstverleugnung. Die eigene Einstellung, sofern man auf dem Boden des Grundgesetzes steht, durchscheinen zu lassen, ist möglich, solange man sich an den Beutelsbacher Konsens hält.

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Kommentar von Andreas Rewitzer

„Rechtsextremistische Ideologie ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar“, sagt die Bundeszentrale für politische Bildung. Demnach kann von Beamtinnen und Beamten im Allgemeinen und von Lehrerinnen und Lehrern im Besonderen erwartet werden, dass sie sich klar dagegen aussprechen und auch entsprechend handeln.

Sehr erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass das KM in seinen Ausführungen gegenüber dem Landtag keine Zweifel daran lässt, dass der Hinweis auf Demos für Demokratie und Freiheit in den Schulen zulässig ist. Und ich würde noch einen Schritt weiter gehen: Wir Lehrkräfte sind auf die Treue zur Bayerischen Verfassung und zum Grundgesetz vereidigt. Wenn diese und die daraus sich ergebende FDGO von halbseidenen Pseudo- und Antidemokraten – sei es von außerhalb oder aus dem Landtag heraus – bedroht wird, ist es quasi „Dienstpflicht“, dagegen Flagge zu zeigen.

Anlässlich des 75. Jahrestages des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, auch mit Bezug auf die Bayerische Verfassung und mit Blick auf die aktuelle grundsätzliche Herausforderungder FDGO durch extremistische Bestrebungen, als Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler auf Veranstaltungen hinzuweisen, um dort für Demokratie und Vielfalt zu demonstrieren, sollte für uns alle selbstverständlich sein. Getreu dem Manifest des BLLV: Haltung zählt!

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HALTUNG ZÄHLT! Das Manifest des BLLV

Aufruf des BLLV für ein respektvolles Miteinander: Wir Lehrerinnen und Lehrer beobachten mit Sorge die zunehmende Aggressivität in der Sprache und in den Umgangsformen. Unterstützen Sie unser Anliegen und verbreiten Sie das Manifest weiter. ...
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