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Rechtskolumne Service

Heikles Pflaster

Unterrichtsausfall ist in Zeiten des eklatanten Lehrkräftemangels an vielen Schulen Normalität. Was aber, wenn so viele Kolleginnen und Kollegen ausfallen, dass nicht einmal jemand zur Betreuung der Kinder da ist? Einfach heimschicken? Das kann böse enden.

Der Fall

Wegen mehrerer Krankheitsfälle innerhalb des Kollegiums weiß sich ein Schulleiter nicht mehr anders zu helfen, als den Unterricht einer 5. und einer 6. Klasse in den letzten beiden Stunden abzusagen. Weil an diesem Tag nicht einmal Personal für eine reine Beaufsichtigung zur Verfügung steht, sieht er sich vor folgende Wahl gestellt: Entweder er verteilt die Kinder auf andere Klassen und nimmt in Kauf, dass auch in diesen Klassen kein richtiger Unterricht mehr stattfinden kann. Oder er schickt die Kinder der beiden Klassen vorzeitig nach Hause. Der Schulleiter entscheidet sich für den zweiten Weg. Er unterlässt es aber, die Eltern vorab zu informieren. Dieses Versäumnis erbost eine Schülermutter und veranlasst sie, sich beim Schulleiter zu beschweren. Der fürchtet, der Fall könnte weitreichende Folgen haben.Vorsorglich fragt er in der Rechtsabteilung des BLLV nach, wie er dem Gesetz nach zu verfahren hat.

Die Rechtslage

In der Beratung wird klar: Hier treffen drei Faktoren zusammen: 1. Die Aufsichtspflicht der Schule; 2. Die Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus; 3. Die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Eltern nicht erreicht werden können oder gegebenenfalls auch nicht erreicht werden wollen.

Die Aufsichtspflicht

Klar ist zunächst, dass die Aufsichtspflichtan einem normalen Schultag innerhalb der durchden Stundenplan vorgegebenen Zeiten bei der Schule liegt. Die Aufsichtspflicht endet mit dem Weggang der Schülerinnen und Schüler aus der Schulanlage. „Die Aufsichtspflicht der Schule erstreckt sich auf die Zeit, in der die Schülerinnen und Schüler am Unterricht oder ansonstigen Schulveranstaltungen teilnehmen, einschließlich einer angemessenen Zeit vor Beginn und nach Beendigung des Unterrichts oder der Schulveranstaltungen An Grundschulen sowie Grundschulstufen an Förderschulen gelten als angemessene Zeit vor Beginn des Unterrichts 15 Minuten, als angemessene Zeit nach Beendigung des Unterrichts gilt die Zeit bis zum Verlassen des Schulgeländes.“ § 22 Abs. 1 BaySchO.

Die Eltern können sich also darauf verlassen, dass ihr Kind bis zu dem Zeitpunkt unter Aufsicht durch Lehrkräftesteht, den der Stundenplan als Unterrichtsende vorgibt. Sollte das Kind irgendeine Form von Nachmittagsbetreuung oder Ganztagsangebote wahrnehmen, sodarf auch für diese Zeiten ordnungsgemäße Betreuung angenommen werden. Stehen die Lehrkräfte der letzten Stunden zum Beispiel krankheitsbedingt nicht zur Verfügung,könnten die Kinder auch bis zum stundenplanmäßigen Ende ihres Schultags in der Schule behalten und durch die Schule beaufsichtigt werden, auch wenn kein regulärer Unterricht mehr stattfindet. Lehrkräfte wären gegebenenfalls nach§ 5 LDO zu einer solchen Aufsicht zu verpflichten. Im vorliegenden Fall standen jedoch selbst für eine solch reine Beaufsichtigung keine Kräfte mehr zu Verfügung.

Digitale Kommunikation

Die Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass die Schule die Beaufsichtigung gewährleistet. Daher folgt aus der Entscheidung des Schulleiters zwangsläufig: Es ist den Eltern mitzuteilen, wenn Unterricht vorzeitig endet und damit auch der Zeitpunkt vorverlegt werden muss, ab dem das Kind nicht länger der schulischen Aufsicht untersteht. Diese Mitteilung unterblieb.

Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus begründet sich aus den Artikeln 74-76 BayEUG sowie§ 12 BaySchO. In Art. 74 Abs. 1 BayEUG wird explizit „eine von gegenseitigem Vertrauen getragene Zusammenarbeit“ gefordert. Auch vor diesem Hintergrund ist es vertrauenswahrende Notwendigkeit, Eltern über gravierende Abweichungen in der Beaufsichtigung ihrer Kinder zu informieren. Allerdings gibt es keine näheren Ausführungen, wie beziehungsweise auf welchem Wege diese Information zu erfolgen hat.

In vielen Schulen wurden inzwischen webbasierte Infoportale eingeführt wie Schulmanager oder WebUntis. Mithilfe solcher Tools können Stunden-/Vertretungspläne veröffentlicht, Elternbriefe oder auch Einzelnachrichten verschickt sowie Sprechtage vereinbart werden. Da die meisten davon über eigene kostenfreie Apps funktionieren, die sich alternativ zum Smartphone über Desktop-PC bedienen lassen, entstehen keine Kosten fürdie Eltern. Sie brauchen in der Regel nur eine E-Mail-Adresse, um sich registrieren zu können.

Ausnahmen

Heutzutage darf getrost vorausgesetzt werden, dass jeder über eine E-Mail-Adresse und ebenso über ein digitales Endgerät verfügt, auf dem die Mails abgerufen werden können. Die Schule kann somit davonausgehen, dass ein eingeführtes System, dem am besten Elternbeirat / Schulforum zugestimmt haben, von den Eltern auch genutzt wird. Dennoch gibt es offensichtlich Eltern, die sich solchen Plattformen verweigern. Muss die Schule für diese Eltern gesonderte Wege der Kommunikation vorhalten? Hat eine Schule unter Beteiligung von Elternbeirat oder Schulforum eine Infoplattform eingeführt, kann die Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus auch in ihrer Gesamtheit über diese Plattform laufen. Diese ist damit betriebsrelevant. Eltern haben daher keine Wahlmöglichkeit,ob sie über die Plattform oder doch lieber telefonisch, per E-Mail oder sonst wie informiert werden wollen, soweit es Dinge von allgemeiner Relevanz betrifft wie Elternbriefe, Anmeldung oder Elternsprechabend. Bei Einzelfällen wie Krankheit eines Kindes wird man wohl wie bisher eher zum Telefon greifen. Selbstverständlich müssen die Eltern über die Einführung frühzeitig und umfassend informiert werden und gegebenenfalls angeleitet / eingeführt werden.

Fazit

Wo ein digitales System nicht existiert, stehen altbewährte Verfahren bereit: So können die Eltern von Seiten der Schule telefonisch informiert werden oder die Schülerinnen und Schüler können Gelegenheit erhalten, selbst zu Hause anzurufen. Möglicherweise hat man sich bereits zu Schuljahresbeginn per Elternbrief mit Rückantwort das Einverständnis eingeholt, Kinder in dringenden, unvermeidlichen Ausnahmefällen nach Hause schicken zu können. Wo ein derartiges Vorabeinverständnis nicht erteilt worden ist, wird dann aber doch wieder der Griff zum Telefonhörer nötig werden. Wird dann niemand erreicht, gibt es keine andere Lösung: Die Schule muss dann das betreffende Kind bis zum regulären Ende des Unterrichts beaufsichtigen – in welcher Form auch immer.

Kommentar - Notfalls per Whatsapp

Im geschilderten Fall war es Aufgabe der Schule, die Elternüber das vorzeitige Unterrichtsende ihrer Kinder zu informieren. Die Schule hätte sich dazu des eingeführten Infoportals bedienen können. Ein kurzer Satz, ein Klick und die Informationist raus. Was fehlt, ist allerdings die Rückmeldung über den Eingang bei den Eltern. Die Schule verlässt sich darauf, dass sich Eltern fortlaufend über das aktuelle Stundenplangeschehen ihrer Kinder informieren. Der allein selig machende Weg ist dies wohl nicht. Eine Absicherung mittels Elternbrief, man könne in absoluten Ausnahmefällen die Kinder auch vorzeitig nach Hause schicken, erscheint geboten; je jünger die Kinder, desto mehr. Da Eltern oft auch untereinander überaus gut vernetzt sind, wäre auch ein Schneeballsystem über einen Messengerdienst denkbar: Die Schule informiert zum Beispiel die Klassenelternsprecher, diese verteilen es (in den meisten Fällen wohl) über WhatsApp weiter. Da die schulische Nutzung dieses Dienstesdatenschutzrechtlich bedenklich ist, sollten Lehrkräfte darauf verzichten, dies selbst zu tun. Aber am wichtigsten ist ja doch, dass die Kinder wohlbehalten daheim ankommen.