"Nicht nur ich, sondern viele andere denken doch darüber nach, dass wir das Leistungssystem nicht so belassen können, wie wir es seit Jahrzehnten kennen: Das heißt, die Kinder lernen zu Hause, machen Hausaufgaben, wir unterrichten, versuchen den Stoff reinzukriegen in die Kinder und dann schreiben wir eine Schulaufgabe und die bewerten wir. Und da gehen wir davon aus, dass wir die Kompetenzen der Kinder messen. Das ist mir zu kurz gesprungen. Es geht übrigens nicht darum, Noten abzuschaffen, sondern darum, zu diskutieren, wie Noten zustande kommen und darüber zu reflektieren. Wir vom BLLV üben Kritik am 'bulimischen Lernen': dem Reinfressen, Auskotzen und nichts Zunehmen. Eltern und Kinder fragen sich doch, warum sie etwas lernen.
Auch ChatGPT liefert nur Antworten. Früher haben die Kinder vielleicht die Eltern oder Großeletern gefragt. Dann kamen die Kinder in die Schule mit dem - von den Eltern oder Grpßeletern geschriebenen - Referat und Du als Lehrer hast schnell nach ein paar Sätzen gemerkt, dass es das Kind nicht selbst verfasst hat. Heute ist es nicht viel anders: Jetzt schreibt die künstliche Intelligenz die Antworten. Und die können und wollen wir genauso wenig bewerten, wie die Leistung der Eltern oder Großeltern früher. Jetzt kommt der Prozess des 'elaborierten' Lernens, wie wir ihn uns wünschen: Eine Note auf ein Referat geben, ist das eine. Eine Note geben auf das, was das Kind wirklich verstanden hat, ist viel höherwertiger. Wir müssen hineinkommen in einen Dialog über das Wissen. Denn der Dialog über das Wissen, das schafft Kompetenz. Wir wollen also keine Noten abschaffen, wir als Verband möchten einen anderen Prozess, wie man Noten gibt", so begann BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann ihr Interview, als Antwort auf die Frage, wo die Kritik des BLLV an der aktuellen Vergabepraxis von Noten läge und stellte dabei klar: Nein, der BLLV ist nicht gegen Noten.
Über elaboriertes Lernen und eine andere Art der Notenfindung
Gefragt, wie eine alternative Form der Bewertung aussehen könnte, ging die BLLV-Präsidentin näher auf das Konzept des elaborierten Lernens ein - am Beispiel eines Referats, bei dem eben nicht nur die Ergebnisse bzw. die zusammengetragenen Informationen bewertet werden, sondern auch der ganze Prozess "dahinter". Und das könnte dann durchaus ebenfalls mit Noten bewertet werden. Man steige aber tiefer ein. "Fragen dazu könnten lauten: Welche Medien wurden von den Schülern benutzt? Haben Sie die Quelle für ihre Info und die Info selbst kritisch hinterfragt?", erläutert Simone Fleischmann was es bedeutet genauer hinzusehen, zu hinterfragen und so dem elaborierten Lernen näher zu kommen. Es gehe eben darum, nicht nur das "Produkt", also ein Referat oder ähnliches, zu bewerten, sondern in einen Dialog über das Produkt zu treten. Das Ergebnis könne dann eine Note und ggf. noch ein verbales Gutachten sein und sie betont: "Das alles können Lehrkräfte heute schon tun!" Der BLLV bietet Fortbildungen an zu solchen alternativen Formen der Leistungserfassung und es gibt Modellversuche dazu in Bayern. Aber die Tendenz, am Alten und Bekannten festzuhalten ist auf allen Seiten groß und auch verständlich, räumt Fleischmann ein. Nur brauchen und wollen wir eben auch eine Erziehung hin zu Team-orientierten Menschen, die kritisch sind im Umgang mit Wissen, die sich in modernen Arbeitswelten zurechtfinden, die globalisiert denken und vieles mehr. Und das sei eben nicht umsetzbar, wenn wir weiter bulimisch bleiben und auswendig lernen.
Noten sterben so schnell nicht aus - aber wir müssen den ganzen Menschen sehen
Aber auch wenn die BLLV-Präsidentin im Interview das skandinavische Beispiel bemüht, wo man sich von Noten zugunsten eines individuellen Leistungsfeedbacks verabschiedet hat, ist sie sicher, dass es auch in zehn Jahren in Deutschland noch Noten geben wird und sie betont: "Ich glaube, wir sollten Noten so schnell nicht abschaffen." Sie betont zum Abschluss des Gesprächs aber auch, dass wir Noten brauchen, die nicht nur einzelne Aspekte bewerten, sondern den ganzen Menschen in den Mittelpunkt stellen. Die Lernentwicklungsgespräche an den Grundschulen, seien ein schönes Beispiel für eine richtige Entwicklung bei der Leistungsbewertung und: Sie sind leistungssteigernder als eine Note 5!
Den ganzen Artikel können Sie nachlesen in der Printausgabe des Münchner Merkur vom 8. Juli 2023.