Das erste Halbjahr der Qualifikationsphase ist geschafft und die Oberstufenschülerin Selina hat zum ersten Mal in fast jedem einzelnen Fach ihres Stundenplans eine Schulaufgabe geschrieben: Im Oktober ging es los mit Biologie. Darauf folgten im November vier Prüfungen in Ethik, Englisch, Politik und Gesellschaft sowie in ihrem Leistungsfach Wirtschaft. Weitere fünf Prüfungen kamen im Dezember in Deutsch, Kunst, Geschichte, Mathematik und Chemie dazu. Die Weihnachtsferien hatte sie nun wirklich dringend nötig. Im Januar stand zuletzt noch eine mündliche Prüfung im Kurs Englisch Konversation an, den sie freiwillig belegt. Dieses Spiel folgt nun in ähnlicher Weise noch zweimal in den Ausbildungsabschnitten 12/2 und 13/1.
Prüfungsstress im ersten Halbjahr der Qualifikationsphase
Bei der Gestaltung der neuen Profil- und Leistungsstufe im neunjährigen Gymnasium hat das Kultusministerium erfreulicherweise erkannt, dass diese Prüfungsdichte im verkürzten Ausbildungsabschnitt 13/2 nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch ihre Lehrkräfte kurz vor den Abiturprüfungen unnötig unter Druck setzt. Eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern von Schülerinnen und Schülern, Erziehungsberechtigten, Gymnasien, Verbänden und der Schulaufsicht hat daher richtig entschieden, in diesem Halbjahr auf Schulaufgaben in den Kursen auf grundlegendem Anforderungsniveau zu verzichten. Hier war Bayern bisher wieder einmal über die Anforderungen der KMK hinausgegangen, welche Schulaufgaben nur in den ersten drei Schulhalbjahren der Qualifikationsphase als verpflichtend vorschreibt.
Es ist sehr bedauerlich, dass die gymnasialen Mitglieder des größten Lehrer- und Lehrerinnenverbands Bayerns in diesen Entscheidungsprozess nicht eingebunden waren. Somit konnten wir unsere Forderung, die letzte Phase vor dem Abitur von Ende Januar bis Ende April gänzlich von Schulaufgaben freizuhalten, nicht direkt einbringen. Da hilft es auch wenig, dass die Staatsministerin in einem Schreiben, in dem sie auf unsere Forderung eingeht, dem BLLV für die „konstruktive Begleitung der Einführung der neuen Oberstufe“ dankt.
Ungerechte Belastung in den Kursen auf erhöhtem Anforderungsniveau
Wir als Fachgruppe Gymnasium im BLLV vertreten weiterhin den Standpunkt, dass auch in den Kursen auf erhöhtem Anforderungsniveau (Mathematik, Deutsch und Leistungsfach) nur drei Schulaufgaben geschrieben werden sollen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet die Lehrkräfte dieser Fächer im letzten Halbjahr doppelt belastet sein sollten. Gerade in diesen drei Kursen ist die Abiturprüfung ja für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend und damit der Aufwand für die einzelne Lehrkraft im Vergleich zum grundlegendem Anforderungsniveau deutlich höher. Das Kultusministerium begründet die Beibehaltung der vierten Schulaufgabe mit den „hohen Anforderungen in der schriftlichen Abiturprüfung“ in diesen Kursen und bezeichnet sie als „bestmögliche Vorbereitung auf die schriftlichen Prüfungssituationen“. Diese Argumentation ist aus verschiedenen Gründen nicht haltbar.
Erstens wird es Schülerinnen und Schüler geben, die in einem dieser drei Fächer eine mündliche Abiturprüfung ablegen. Für diese ist eine weitere Schulaufgabe das völlig falsche Format. Schulaufgaben haben sie in ihrer Schullaufbahn genug geschrieben, mündliche Prüfungen kennen sie in der Regel nur aus den Fremdsprachen. Statt die ohnehin schon knappe Unterrichtszeit in 13/2 für eine Schulaufgabe und deren Vorbereitung zu verwenden, könnte sie dafür genutzt werden, Schülerinnen und Schüler gezielt auch auf die ungewohnte mündliche Prüfungssituation vorzubereiten.
Zweitens ist es aus lernpsychologischer Sicht höchst fragwürdig, eine unter Leistungsdruck geschriebene Prüfung als Übungssituation anzusehen, wie es im Schreiben der Staatsministerin zum Ausdruck gebracht wird. Ganz zu schweigen vom Organisations- und Korrekturaufwand, der damit einhergeht, diese Schulaufgabe tatsächlich unter Abiturbedingungen abzuhalten. Deutlich besser geeignet sind die an vielen Gymnasien bewährten unbenoteten Abitursimulationen, an denen nur die Schülerinnen und Schüler teilnehmen, die im entsprechenden Fach auch tatsächlich eine schriftliche Abiturprüfung ablegen.
Unsere Forderung: Mehr Zeit für eine gezielte Abiturvorbereitung
Wir werden uns daher weiterhin für die Abschaffung aller Schulaufgaben in 13/2 einsetzen. So könnte man nicht nur alle Lehrkräfte, sondern auch Abiturprüflinge wie Selina in diesem kurzen letzten Halbjahr entlasten und es ihnen ermöglichen, die verbleibende Unterrichtszeit wirklich sinnvoll zu nutzen, um sich – angepasst an die jeweilige Prüfungssituation – auf das Abitur vorzubereiten.