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Rechtsfälle Service

BandGefahr

Eine Sportlehrerin ist genervt von Schülerinnen, die sich hartnäckig weigern, Ohrringe für den Sportunterricht abzukleben oder abzulegen. In einem anderen Fall sind es angeblich religiöse Gründe, die es nicht erlauben, Bändchen am Handgelenk abzulegen, auch wenn das ein erhebliches Verletzungsrisiko darstellt. Die Kollegin bittet die Rechtsabteilung um Rat, wie sie sich korrekt verhalten soll.

Zwei Fälle

An einer Mittelschule gehören mehrere Mädchen einer Jahrgangsstufe einer sektenähnlichen Religionsgemeinschaft an. Zu ihrem Glauben gehört es, wie sie sagen, am Handgelenk bestimmte Bändchen zu tragen. Natürlich könnten sie damit irgendwo hängen bleiben. Einfach abnehmen lassen sie sich aber nicht, dazu sind sie zu eng. Öffnen lassen sie sich auch nicht. Sie abzuschneiden
kommt erst recht nicht infrage, die Mädchen und ihre die Eltern können sich auf die Religionsfreiheit berufen.

Eine Grundschulkollegin berichtet, dass ihre Schülerinnen zwar durchaus mit überklebten Ohrsteckern zum Sportunterricht erscheinen. Die verwendeten Klebstreifen seien jedoch derart minderwertig, dass sie nach kurzer Zeit verrutschen und neu fixiert werden müssten. Sie selbst sei aber weder in der Lage, ständig die Ohren der Mädchen neu zu überprüfen, noch habe sie die Zeit, jedes Mal ihren Unterricht zu unterbrechen, um den Sitz der Streifen zu korrigieren. Dies sei auch nicht ihre Aufgabe.

Das Dilemma der Lehrkraft

Im Fach Sport gelten erhöhte Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Sorgfalt. Schulartübergreifend, von Grundschule bis Gymnasium, nennen die Fachprofile beim Beitrag des Faches zu den übergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen unter „Gesundheitsförderung“ auch die Beachtung von Sicherheits- und Hygieneregeln. Wenig Probleme gibt es mit diesen Vorgaben bei Ringen, Ketten, Haarspangen und dergleichen. All das lässt sich mit wenigen Handgriffen entfernen und wieder anbringen. Schwierig wird es bei Ohrringen oder Piercings. Da heißt es oft, das gestochene Loch würde nach dem Entfernen des Schmucks zuwachsen. Zudem sei sowohl das Entfernen als auch das Wiedereinsetzen mit Schmerzen verbunden. Mit diesen Argumenten wird die Anordnung der Lehrkraft verweigert.

Die Dienstpflicht

Häufig schalten sich in solchen Fällen Eltern telefonisch oder schriftlich ein, teilen die Bedenken und versichern bestenfalls, sie würden im Schadensfall die Verantwortung übernehmen, die Sportlehrkraft „solle sich jetzt mal nicht so haben“. So einfach lässt sich die Situation jedoch nicht bereinigen. Zunächst geht an Sportlehrkräfte eine erhöhte Anforderung: Sie müssen für die Sportarten und -bereiche, die sie im Unterricht abdecken wollen und müssen, die jeweils geltenden Sicherheitsanforderungen und -vorschriften kennen und somit auch in der Lage sein, Risikoabschätzungen zu treffen und mögliche Gefährdungspotenziale vorab zu erkennen. Die Kenntnis der Vorschriften ist Dienstpflicht. Aufgrund dieser fachlichen Kompetenz entscheidet die Lehrkraft zunächst, ob durch
das Tragen von Schmuck für die einzelne Schülerin oder auch für Mitschülerinnen eine Gefahr besteht.

Ausschließlich die Lehrkraft hat also die alleinige und umfängliche Verantwortung für ihre Schülerinnen und Schüler. Diese Verantwortung kann deswegen auch nicht durch Mitteilungen mündlicher oder schriftlicher Art durch die Erziehungsberechtigten abgewendet werden. Ihnen fehlt ja genau die notwendige Kompetenz zur Einschätzung der Gefahrenlage.

Die Rechtslage

Am 8. April 2003 veröffentlichte das Kultusministerium die KMBek Sicherheit im Sportunterricht (Az.: V.6 - 5 K 7405 - 3.26 816; KWMBl. I 2003 S. 202, 2272-K), die nach wie vor gilt. Unter Punkt 2 geht es nicht nur um funktionelle, den „Gegebenheiten der jeweiligen Sportart angemessene und den Sicherheitsanforderungen genügende Sportkleidung und -schuhe“, sondern auch um Schmuck. Konkret heißt es: „Schmuck, Piercings, Uhren u. Ä. stellen eine Verletzungsgefahr dar und sind grundsätzlich vor Beginn des Sportunterrichts abzulegen oder ggf. abzukleben.“ Damit will man die Lehrkraft weitgehend entlasten. Sie muss sich nämlich nun nicht mehr auf ihre eigene Verantwortung und Kompetenz berufen, sondern kann auf die Weisung des Dienstherrn verweisen. Die Lehrkraft entscheidet lediglich, ob bestimmte Gegenstände aus ihrer Sicht unbedenklich erscheinen (also, dass von ihnen keine Verletzungsgefahr ausgeht) und deshalb toleriert werden können.

Die Folgen einer Weigerung

Trägt eine Schülerin oder ein Schüler einen Schmuckgegenstand, von dem nach Einschätzung der Lehrkraft eine Verletzungsgefahr ausgeht, und weigert sich, diesen vorübergehend abzulegen oder notfalls zu überkleben, muss sie/er durch die Lehrkraft von der Teilnahme an den aktiven sportpraktischen Übungen ausgeschlossen werden. Bestehen bleibt aber die Anwesenheitspflicht, um
möglichen sporttheoretischen Anteilen des Unterrichts folgen zu können. Eine vollständige Befreiung vom Unterricht scheidet auch aus aufsichtsrechtlichen Gründen aus. Weigert sich eine Schülerin oder ein Schüler trotz entsprechender Ermahnungen und Belehrungen fortgesetzt, Schmuckgegenstände abzulegen oder zu überkleben, so hat die Lehrkraft zu überprüfen, welche Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen ergriffen werden können. Aufgrund des Tragens von Schmuckgegenständen versäumte
Leistungsnachweise sind mit der Note „ungenügend“ zu bewerten.

Die Rolle der Eltern

Überhaupt ist es wichtig, die Eltern einzubeziehen. Man muss ihnen sowohl die möglichen Verletzungsgefahren erläutern, als auch eindringlich darauf hinweisen, dass sie die Verantwortung für das Tragen von Schmuck während des Sportunterrichts und etwaige Verletzungsfolgen nicht selbst übernehmen können. Dazu können Sie auch auf die Ausführung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung verweisen. Diese schreibt: „Die Träger der Schüler-Unfallversicherung warnen vor dem Tragen von Piercings im Sportunterricht. Grund ist die hohe Verletzungsgefahr: Die Schülerinnen und Schüler können leicht an den Schmuckstücken (Ringe, Stäbe und Kettchen) hängen bleiben und sich schwer verletzen. Gerade beim Mannschaftssport, vor allem bei den Ballsportarten, ist auch eine Gefährdung der Mitschüler nicht ausgeschlossen. Die Schüler sollten ihre Piercings deshalb im Sportunterricht entweder abnehmen oder überkleben.“ Die KMBek für Bayern schafft dafür die rechtliche Grundlage, sodass die Kolleginnen und Kollegen bei entsprechender Umsetzung auch gut geschützt sind.

Die Lösung

Was im Fall des religiös begründeten Bändchentragens auf den ersten Blick wie ein unlösbarer Konflikt erschien, ließ sich ziemlich einfach regeln. Man kam überein, dass die Mädchen eng anliegende Schweißbänder über die Bändchen streifen. Im Fall der schlecht sitzenden Klebestreifen wurde den Eltern dazu geraten, es ihren Kinder selbst zu überlassen, die Streifen ausreichend gründlich für die Dauer des Sportunterrichts zu befestigen, notfalls schon zu Hause.

Die Rechtskolumne erschien in der bayerischen schule #5/2023.