230102_bs_1_rechtskolumne.jpg
Rechtskolumne Service

Hergehört!

Immer wieder bitten Eltern von Kindern mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen Lehrkräfte, bei medizinischen Maßnahmen während der Schulzeit zu helfen. Wie beim Inklusionsschüler einer Regelschule. Warum es besser ist, die hohe Verantwortung abzulehnen.

Der Fall

Ein Schüler mit einer Hörbehinderung besucht die Grundschule im Rahmen der Inklusion. Der Schüler trägt ein Cochlea-Implantat, eine sogenannte Innenohrprothese. Die Eltern verlangen von der Lehrkraft, dass sie ihrem Sohn das hochempfindliche Gerät jedes Mal vor dem Schwimmunterricht abnimmt und umrüstet, damit er daran teilnehmen kann.

Der Hintergrund

Eine Teilnahme am Schwimmunterricht mit Cochlea- Implantat ist grundsätzlich möglich, allerdings sind einige Handgriffe erforderlich, damit das Gerät nicht durch eindringendes Wasser beschädigt wird. In dem konkreten Fall mussten die externen Teile des Implantats sowie der Sprachprozessor abgesteckt werden. Die Eltern boten der Lehrkraft an, sie in die Handhabung des Cochlea-Implantats einzuführen. Sie wiesen allerdings ausdrücklich darauf hin, dass das Gerät sehr kostenintensiv sei und eine falsche Bedienung zu hohen Schäden führen könne. Die Lehrkraft war daraufhin verunsichert. Ihr war auch nicht klar, ob dem Schüler bei einer falschen Handhabung des Geräts ein körperlicher Schaden entstehen könne.

Die Eltern machten dazu keine Angaben. Zudem hatte die Lehrkraft aus haftungsrechtlicher Sicht Bedenken. Die Anschaffungskosten eines solchen medizinischen Gerätes bewegen sich schließlich im unteren fünfstelligen Bereich. Die Eltern vertraten die Ansicht, dass die Lehrkraft verpflichtet sei, das Cochlea-Implantat für den Wasserbetrieb umzurüsten. Die Lehrkraft sah dies anders. Sie wandte sich deshalb mit der Frage an die Rechtsabteilung des BLLV, ob sie dazu wirklich verpflichtet werden könne.

Die rechtliche Einschätzung

Das Cochlea-Implantat auf den Wasserbetrieb umzurüsten – was in diesem Fall bedeutete, die externen Teile des Implantats einschließlich des Sprachprozessors abzunehmen – beinhaltet eine medizinische Hilfsmaßnahme. Darunter sind Unterstützungsleistungen zum Zwecke der medizinischen Versorgung zu verstehen, die nicht mit einem Eingriff in die körperliche Integrität verbunden sind und daher keiner medizinisch-fachlichen Ausbildung bedürfen. Im Gegensatz zu medizinischen Maßnahmen können medizinische Hilfsmaßnahmen von unterwiesenen Laien durchgeführt werden (KMS vom 19.08.2016, Az.:II.5-BP4004.8/2/22).

Voraussetzung dafür, dass die Lehrkraft verpflichtet ist, die medizinische Hilfsmaßnahme auszuüben, wäre, dass dieser Aufgabenbereich zu ihren Dienstpflichten gehört. Lehrkräfte sind jedoch Pädagogen und besitzen regelmäßig keine Fachkenntnisse für die Bedienung von solchen medizinischen Geräten. Die Umrüstung des Cochlea-Implantats für den Schwimmunterricht gehört zu den Aufgaben der Erziehungsberechtigten und nicht zu dem Aufgabenbereich der Lehrkräfte. Dass dies auch von den Behörden so gesehen wird, dafür hat sich der BLLV in der Vergangenheit vehement und mit Erfolg eingesetzt. Die Personensorgeberechtigten haben deshalb keinen rechtlichen Anspruch darauf, dass die Lehrkraft die Durchführung der medizinischen Hilfsmaßnahme übernimmt.

Die Lehrkraft kann medizinische Hilfsmaßnahmen jedoch freiwillig übernehmen. Es sollte aber bedacht werden: Erleidet eine Schülerin oder ein Schüler durch fehlerhafte Anwendung einer solchen Maßnahme einen Gesundheitsschaden, kann ein Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet werden. Dieses Risiko lässt sich auch nicht durch einen zivilrechtlichen Vertrag ausschließen.

Auch sollte der Lehrkraft bewusst sein: Wird das Cochlea- Implantat beim Abstecken beschädigt, haftet sie zivilrechtlich bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. In zivilrechtlichen Streitigkeiten ist die Abgrenzung zwischen "einfacher" und "grober" Fahrlässigkeit oftmals sehr schwierig.

Das Bayerische Kultusministerium hat mit dem KMS vom 19.08.2016 Az.:II.5-BP4004.8/2/22 "Medikamentengabe durch Lehrkräfte an Schulen" eine Handlungsempfehlung dazu herausgegeben, wie verfahren werden soll, wenn medizinische Hilfsmaßnahmen bei Schülerinnen und Schülern notwendig werden, die an chronischen Krankheiten leiden oder die, wie in diesem Fall, eine Einschränkung haben.

Das KMS führt grundsätzlich aus: Sollten die Personensorgeberechtigten auf sozialversicherungsrechtlicher Grundlage einen Anspruch auf Übernahme der Kosten durch Pflegefachkräfte haben, dann scheidet eine Übernahme der medizinischen Hilfsmaßnahmen durch Lehrkräfte aus. In einem solchen Fall sollten deshalb die Erziehungsberechtigten abklären, ob nicht im Zuge einer medizinischen Behandlungspflege nach SGB V ein Anspruch auf eine medizinische Schulbegleitung für den Schwimmunterricht besteht. Das KMS vom 16.08.2016 stellt ausdrücklich klar, dass diese Aufgaben von den Lehrkräften nur freiwillig übernommen werden können, da es sich bei medizinischen Hilfsmaßnahmen eben nicht um Dienstpflicht handelt. Sollte sich eine Lehrkraft dazu entschließen medizinische Hilfsmaßnahmen zu übernehmen, sind hierbei die Vorgaben des dafür einschlägigen KMS genauestens zu befolgen. Es bedarf folgender Voraussetzungen:

  • schriftliche Vereinbarung zwischen den Personenberechtigten und der Lehrkraft
  • Vorliegen einer ärztlichen Verordnung
  • Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht
  • Vorlage eines Notfallplans mit der Erreichbarkeit der Personensorgeberechtigten
  • Unterweisung der Lehrkraft in die medizinische Hilfsmaßnahme
  • keine Handlung gegen den Willen des Kindes
  • Regelung der Vertretung – es muss sich eine weitere Lehrkraft dazu freiwillig bereit erklären, die medizinische Hilfsmaßnahme in Vertretung zu übernehmen. Hierbei gelten dann für die Vertretung dieselben Regelungen wie oben.
  • Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs der Vereinbarung seitens der Personensorgeberechtigten; die Schule hat eine zweiwöchige Frist einzuhalten.

Die Entscheidung

In unserem Fall hat sich die Lehrkraft gegen die Übernahme der Umrüstung des Cochlea-Implantats auf den Wasserbetrieb entschieden. Grundlage für ihre Entscheidung war die Erkenntnis darüber, dass die Übernahme der medizinischen Hilfsmaßnahme nicht zu ihren Dienstpflichten gehört und sie es somit auch ablehnen kann. Ihr erschien auch das Risiko zu groß, dass das Kind durch einen fehlerhaften Umbau des Geräts einen Körperschaden erleidet und gegen sie ein Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet werden könnte. Durch unsere ausführliche rechtliche Beratung wurde ihr zudem klar, dass auch ein zivilrechtliches Haftungsrisiko besteht, da die Abgrenzung zwischen grober Fahrlässigkeit und einfacher Fahrlässigkeit eben sehr schwierig ist.

Fazit

Lehrkräfte stehen oftmals in einem Dilemma. Einerseits wollen sie den betroffenen Schülerinnen und Schülern unbedingt helfen. Andererseits wissen sie nicht, worauf sie sich mit der freiwilligen Übernahme von medizinischen Hilfsmaßnahmen einlassen.

Wir in der Rechtsabteilung des BLLV sehen es als unsere vorderste Aufgabe an, unsere Mitglieder eingehend darüber aufzuklären, welchen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Risiken sie sich bei einer freiwilligen Übernahme medizinischer Hilfsmaßnahmen aussetzen. Denn nur durch eine umfassende Aufklärung über die bestehenden Risiken kann die Lehrkraft eine für sie richtige Entscheidung treffen. //

Die Rechtskolumne erschien in der bayerischen schule #1/2023.