Die am Dienstag in Berlin vorgestellten Ergebnisse der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) sind alarmierend: 25,4 % der Schülerinnen und Schüler in Deutschland erreichen nicht die Kompetenzstufe III, das heißt, sie können im Text verteilt Informationen nicht sinnvoll miteinander verknüpfen. 2001 waren das nur 17%. Gleichzeitig geht die Zahl sehr guter Leserinnen und Leser weiter zurück. Die Lesezeit an deutschen Schulen liegt dabei unter dem EU- und OECD-Durchschnitt.
Wie sich schon bei den erschreckenden Zahlen das IQB-Bildungstrends zeigte, ist auch bei der Lesekompetenz in Deutschland ein besonders starker Zusammenhang zum sozioökonomischen Hintergrund der Kinder und Jugendlichen zu beklagen, die Bildungsungerechtigkeit ist hoch.
Frühe, differenzierte und individuelle Förderung ist personalintensiv
Die Studie wurde im Jahr 2021 durchgeführt, eine Sonderauswertung im Dezember 2022 hat bereits gezeigt, wo die Probleme liegen – und auch die Lösungen. „Wenn das Ergebnis der Studie ist, dass regelmäßige Diagnostik und frühe individuelle Förderung gefordert werden muss, so ist diese Erkenntnis nicht neu“, kommentierte Birgit Dittmer-Glaubig, Leiterin der Abteilung Berufswissenschaften im BLLV, und ergänzte: „Hierfür müssen jedoch Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ressourcen müssen sowohl im Zeitbudget, als auch in der personellen Ausstattung zur Verfügung gestellt werden.“
Leider hat sich der Lehrkräftemangel seither weiter verstärkt, von konsequenter Differenzierung oder gar individueller Förderung können viele Kolleginnen und Kollegen im Schulalltag nur träumen.
Lesen ist Kulturgut, Teilhabe für alle das Ziel
Dabei ist Lesen nicht nur essenziell für den eigenständigen Wissenserwerb und auch Voraussetzung der Nutzung vieler digitaler Angebote. Ein ausgeprägter Wortschatz und gute Wort- und Sprachverständnis sind essenziell für kritisch-reflektierte Mediennutzung. Darüber hinaus ist Lesen der Schlüssel, sich selbstbewusst in einem reichhaltigen Kulturraum bewegen und bestenfalls auch verwirklichen zu können. Auch deshalb unterhä9lt der BLLV das Forum Lesen.
Damit zeigt sich einmal mehr, wie weit das enorme Potenzial gelingender Bildung und die im akut krisengeprägten Bildungssystem mögliche Umsetzung auseinanderklaffen. Diese Lücke wird der BLLV auf seiner Landesdelegiertenversammlung von 18.-20. Mai in Würzburg thematisieren, konkrete Lösungswege aufzeigen und – im intensiven Dialog mit politisch Verantwortlichen – zum wirksamen Handeln auffordern.
» Zusammenstellung des BLLV zur IGLU-Studie 2021
Abnehmende Lesekompetenz: Diagnostik, Differenzierung, Förderung!
Die IGLU-Studie attestiert deutschen Grundschulkindern weiter abnehmende Lesekompetenz, ein Viertel kann Informationen nicht sinnig verknüpfen. Es braucht systematische, möglichst individuelle Kompetenzförderung. Schwierig, angesichts akuten Lehrkräftemangels…
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Interview zum Thema
Simone Fleischmann bei Phönix im Wortlaut:
Die Bedeutung der Studie
"Wir erleben nach PISA und IQB erneut, dass Schülerinnen und Schüler Basiskompetenzen nicht draufhaben: Jeder vierte Viertklässler kann hier in Deutschland nicht richtig lesen. Das ist schon wirklich dramatisch. Es fallen vor allem die Schülerinnen und Schüler hinten runter, deren Eltern nicht helfen können. Die Bildungsungerechtigkeit nimmt erneut zu. Das ist verdammt schade."
Die Folgen
"Es ist ein Alarmsignal, wenn Kinder jetzt nicht die Mindeststandards im Lesen draufhaben. Das wirkt sich in allen anderen Fächern aus. Es wirkt sich auf die Lebensleistung von Kindern aus, natürlich auf die Schulleistung."
Woran es an den Schulen scheitert
"Wir wüssten ganz genau, wie wir diese Kinder, die zu Hause nicht die Unterstützung bekommen, fördern könnten: Individuelle Förderung müsste sein. Wir bräuchten Zeit für diese Kinder. Wir haben nur leider, leider noch ein weiteres Problem: Wir haben nämlich Lehrermangel in ganz Deutschland. Wir sind einfach zu wenige. Uns fehlt die Zeit für das einzelne Kind. Wir haben Kinder, die viel mehr bräuchten, als wir ihnen geben können. Wir brauchen qualifiziertes Personal, qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer, um diesen Kindern in Kleingruppen individualisiert zu helfen."
Gegenmaßnahmen
"Wir brauchen erstens eine klare Fokussierung auf die Kernkompetenzen. Zweitens bestens qualifiziertes Personal. Drittens einen Fokus in der Lehrerbildung auf die Vermittlung von Lesekompetenz. Viertens in der frühkindlichen Bildung einen klaren Fokus darauf. Fünftens extrem gute Unterstützung für Eltern, die nicht unterstützen können. Und sechstens auch mal das Bewusstsein dafür, dass Schule dem einzelnen Kind gerecht werden muss: Wir brauchen eine gute Diagnostik und eine individuelle Förderung – und nicht nochmal sieben Studien, die belegen, dass wir es mit den Kindern nicht schaffen. Politiker müssen handeln. Um den Fokus an den Schulen auf die Kernkompetenzen zu setzen, braucht es entsprechende Ausstattung. Wir können keinesfalls die Standards reduzieren, ganz im Gegenteil, wir müssen die Qualität hochhalten!"
Landesdelegiertenversammlung
Vom 18.-20. Mai in Würzburg arbeitet der BLLV die Schlüsselrolle von Bildung heraus - und stellt klar, was sich ändern muss, damit Pädagoginnen und Pädagogen sie professionell umsetzen können. » bllv.de/ldv