MARGIT WILD
Bildungspolitikerin - SPD-Direktkandidatin in Regensburg – stellv. SPD-Fraktionsvorsitzende
„In unserem Schulsystem steckt zu viel Druck“
Zeit und ein offenes Ohr, darauf setzt Margit Wild nicht nur am Infostand. Von Beruf heilpädagogische Förderlehrerin, hat sie früh gelernt, sich auf ihr Gegenüber einzustellen. Während der letzten Landtagswahl 2013 erklärte sie eine Zeitungsumfrage zur beliebtesten Politikerin in Regensburg. Beziehungsarbeit führte sie auch in die Politik und zum BLLV: der Landtagsabgeordnete Alfons Schneider, BLLV-Bezirksvorsitzende Ursula Schroll und Regensburgs erste Oberbürgermeisterin Christa Meier zählen zu ihren Weggefährten. Vom BLLV hat sie gelernt, auch brisante Themen aufzugreifen.
Frau Wild, Sie scheuen sich nicht vor brisanten Themen. Wie beurteilen Sie das politische Klima zur Zeit in Bayern?
Ich finde es sehr bedauerlich, dass man nicht mehr nur sachlich in die politische Auseinandersetzung geht. Auf vielen scheint ein Druck zu lasten, den sie weitergeben. Das spüre ich auch jetzt während des Wahlkampfes an den Infoständen. Viele Menschen stehen erkennbar unter Stress. Manche reagieren darauf – oft unbewusst – mit Aggression.
Dieses Klima macht auch vor den Schulen nicht Halt. Spätestens in den 3. und 4. Klassen der Grundschulen ist dieser Leistungsdruck spürbar. Viele Eltern geben mit dem Blick auf die Arbeitswelt und vermeintliche Berufschancen den eigenen Druck an ihre Kinder weiter. Auch Lehrkräfte nehmen diesen Druck manchmal unweigerlich auf. Es ist schade, dass wir unsere Kinder diesem Stress schon so früh aussetzen. In diesem Alter sind die meisten in ihrer emotionalen Entwicklung noch nicht so weit, dass sie dem gewachsen wären. Längeres gemeinsames Lernen in einem guten Ganztagsangebot mit multiprofessionellen Teams könnte da viel Druck rausnehmen.
Richten wir unsere Bildungsziele zu sehr an den Kriterien des Arbeitsmarkts aus?
Kinder gehen in die Schule, um fürs Leben zu lernen. In der Schule lernen sie, sich mit sich und ihrer Umwelt sprachlich auseinander zu setzen und sich so Stück für Stück die Welt zu erobern. Die Schule ist der Ort, wo Kinder an sich Talente entdecken und entfalten und sich auch mal ausprobieren dürfen. Der Blick auf den Arbeitsmarkt hat für mich an dieser Stelle noch gar nichts zu suchen. Da läuft die politische Diskussion meines Erachtens schon länger in eine falsche Richtung. Als Pädagogin gilt für mich: Schule soll Stärken stärken. Wenn Kinder fürs Leben gestärkt sind, sind sie es später auch für den Arbeitsmarkt.
Apropos Stärken: Sie sind von Beruf Heilpädagogin. Individuelle Förderung spielt in der Sonderpädagogik eine noch größere Rolle als im herkömmlichen Schulalltag. Wie beurteilten Sie vor diesem Hintergrund das Zusammenspiel von Förderzentren und Inklusion an Regelschulen?
Förderschulen machen eine gute Arbeit und haben ihre große Berechtigung. Daneben gibt es weitere Angebote wie die Partner- und Kooperationsklassen an Regelschulen. Noch geht die Initiative hier meist von den Förderschulen aus, weil die Eltern der Schüler/innen dort, ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder mit anderen Gleichaltrigen im Schulalltag in Kontakt kommen. In der Inklusion haben wir den vergangenen Jahren schon vieles angestoßen, wir könnten aber noch viel mehr möglich machen.
Lehrer/innen müssen heute breiter ausgebildet werden.
Zum Beispiel?
Das Wissen über Inklusion gehört für mich zur Basisausbildung jedes Lehrers, jeder Lehrerin. Bis jetzt ist der Grundstock an Wissen darüber bei den Kolleg/innen minimal. Ähnlich wie die Zusatzqualifikation „Deutsch als Zweitsprache“ kann ich mir eine Zusatzqualifikation „Inklusion“ in der Lehrerbildung vorstellen. Jede angehende Lehrkraft muss schon in der Ausbildung ein Grundwissen über die verschiedenen Erscheinungsformen von Behinderung, über Kriterien der Diagnostik und die Zusammenarbeit mit Fachdiensten erhalten – eben, weil diese Kinder einfach an unseren Schulen sind.
Werden Förderkinder heute schneller diagnostiziert?
Ja. Auch die Zahl der Förderkinder ist tatsächlich gestiegen, nicht nur bei der Einzelinklusion, auch in den Förderzentren. Das liegt daran, dass wir heute viel genauer hinsehen und Symptome früher erkennen. Auch die Eltern sind sensibilisiert. Ich rate hier zu großer Sorgfalt. Ich will keinem Lehrer zu nahe treten, aber wer ein auffälliges Kind in der Klasse hat und mit ihm nicht gut zurecht kommt, – einfach, weil er es nicht gelernt hat, mit ihm umzugehen – rät Eltern möglicherweise eher zum Wechsel an ein Sonderpädagogisches Förderzentrum, was sich absolut verstehen kann.
Wer mit Förderkindern in der Klasse eine zweite pädagogische Kraft zur Seite hat, kann ganz anders arbeiten. Wenn die Klassenstärke dabei überschaubar bleibt und Wissen und Erfahrung zur inklusiven Beschulung vorhanden ist, kann man auch an Regelschulen mit Behinderung ganz anders umgehen.
Ich bin für die selbstständige Schule.
Welches ist für Sie das drängendste Bildungsthema?
Die Lehrerversorgung. Ich kann mich noch gut an den vorigen Kultusminister erinnern, der mit Blick auf die Einstellungszahlen oft selbst davor gewarnt hat, auf Lehramt zu studieren. Dass man selbst als Dienstherr nicht mehr für den Beruf wirbt, finde ich sehr bedauerlich.
Natürlich ist der Beruf sehr fordernd, er hat aber auch eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung. Um das anzuerkennen, muss man auch zugeben, dass es angesichts der Heterogenität in den Klassenzimmern eine andere Ausbildung braucht. Lehrer/innen müssen heute viel breiter ausgebildet werden als es noch vor zehn, zwanzig Jahren der Fall war. Ich denke da an Zusatzqualifikationen wie Deutsch als Zweitsprache, Digitales Lernen oder eben Inklusion.
Unattraktiv wird der Lehrerberuf für viele dann, wenn sie mit nur wenig Mitsprache an Einsatzorte in ganz Bayern geschickt werden. Wenn man zwischen Wohn- und Schulort zu weit pendeln muss oder gar ein Umzug nötig wird, wird jungen Paaren die Familiengründung erschwert. Familienzeiten – ganz gleich, ob man Kinder oder kranke Familienangehörige zu versorgen hat – werden ganz unmöglich. Das ist ein großes Thema. Die Oberpfälzer sind sehr heimatverbunden.
Ich war lange an einer schulvorbereitenden Einrichtung tätig. Dort konnte sich die Einrichtungsleitung ihr Team weitgehend selbst zusammenstellen. Denn sie weiß ja am besten, welchen Bedarf sie hat, und wer gut ins Team passt. Ich bin für die selbstständige Schule. Auch Schulleiter/innen brauchen mehr Entscheidungskompetenz. / sha