Die Zwischenzeugnisse in diesem Jahr sind jetzt nach drei Jahren Corona und nach einer Krisenzeit, in der wir auch den Lehrermangel enorm zu spüren bekommen, schon was Besonderes. Und hier müssen wir eines klar stellen: Ja, wir wollen ja den Kindern Rückmeldung geben und ja, Lernstandserhebungen sind wichtig und richtig. In der Grundschule liefern das die Lernentwicklungsgespräche und in den weiterführenden Schulen gerade jetzt die Zwischenzeugnisse. Ich denke, es ist aber auch Zeit, genau jetzt zu hinterfragen: Was bedeuten und was leisten die Lernstandserhebungen und wofür sind sie gut? Es geht um einen Zwischenbericht der beleuchtet, wo die Schülerinnen und Schüler gut waren, wo sie noch Schwächen haben und wo wir ihnen in der Schule helfen können. Wir wollen ihnen zeigen, wo sie Weichen stellen können und wo vielleicht auch die Eltern helfen können.
Lernstandserhebungen ja – Auslese nein
Die andere Frage ist, in welcher Form das geschieht und man kann durchaus die Frage stellen, ob und wofür wir einem Kind Fünfer ins Zeugnis schreiben, wenn wir wissen, dass wir im Grund- und Förderschulbereich so einen eklatanten Lehrermangel haben, dass wir den Kindern aktuell kaum angemessen unter die Arme greifen können. Leistung wird dabei immer noch in erster Linie als Grundlage für Zertifizierungen, Klassifizierungen und Auslese-Entscheidungen verstanden. Gerade nach Corona brauchen wir aber eine Schule, in der alle Kinder etwas leisten können und dürfen! Um jedes Kind individuell zu fördern, braucht es auch eine individuelle und differenzierte Sicht auf die Entwicklung, den Lernfortschritt und die unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten der Kinder und Jugendlichen. Das ist auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit!
Denn wir spüren sehr klar genau das, was die Zahlen der letzten Studien eindeutig ergeben haben: dass gerade die Kinder aus sozioökonomisch schwachen Verhältnissen zusätzlich benachteiligt sind und durch die Polykrise starke Leistungseinbrüche und sozial und emotional teils sehr schwierige Zeiten erlebt haben. Diese Bildungsungleichheit muss das bayerische Schulsystem ausgleichen können. Und genau das können wir derzeit nicht, weil wir kaum noch Förderung und kaum noch Differenzierung durch Förderlehrer anbieten können. Weil wir keine AGs mehr haben für die Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwächen und weil uns so viele Möglichkeiten gerade fehlen.
Individuelle Förderung durch ganzheitliche Leistungsbewertung
Ein Zwischenzeugnis ist immer nur so sinnvoll, wie man dann mit den festgestellten Stärken und Schwächen auch umgehen kann. Eine Rückmeldung bringt dann etwas, wenn wir sie nicht nur als Feedback sehen, sondern auch als „Feedforward“. Es geht darum, was dieser Zwischenbericht für die weitere Förderung der Schülerin oder des Schülers bedeutet. Es geht darum, was er für das Engagement bedeutet. Es geht darum, was man dann gemeinsam mit den Eltern reflektieren muss. Und in einer Lernstandserhebung geht es auch darum in die Analyse zu gehen, wie es den Kindern und Jugendlichen geht und warum und wie sich das auf die Leistung auswirkt. Auch das kommt im aktuellen Lehrkräftemangel natürlich oft zu kurz.
Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir deshalb schon bewusst reflektieren, ob wir nicht ein Schulsystem wollen, das mehr auf Ganzheitlichkeit und ganzheitliche Leistung ausgerichtet ist. Ein Schulsystem, das nicht immer nur auf die Noten schielt, sondern auf echtes Feedback, auf echte Entwicklung der Stärken. Wir wollen diskutieren, was der Auftrag von Schule ist und auch selbst nicht immer nur auf die Noten schielen, sondern gemeinsam mit den Kindern auch an die bevorstehenden Ferien und die Faschingsfeiern denken, die für viele Kinder nach der langen Corona-Zeit sozial und emotional viel wichtiger sind als Noten.