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„Wir wollen die Krise bewältigen helfen und brauchen dazu volle Rückendeckung!“

In einer Live-Diskussion bei Focus Online schildert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann die großen Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer bei Schulöffnungen und bemängelt späte, widersprüchliche Kommunikation und fehlenden Mut, Schulen zu vertrauen.

An der kontroversen Debatte über das Vorgehen bei Schulöffnungen beteiligt sich Focus online mit einer Live-Diskussion auf Facebook: Unter dem Titel „Ärger über Schulrückkehr“ tauschen der oberbayerische Bezirksschülersprecher Alexander Löher und BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann Eindrücke und Einschätzungen aus und beantworten Fragen aus der Online-Community.

Fleischmann spricht über die enormen Herausforderungen bei den obersten Prioritäten Gesundheitsschutz und Arbeitsschutz sowie bei der Organisation von Präsenzunterricht und Lernen zuhause. Sie berichtet von der Verärgerung vieler Lehrkräfte über die späte, widersprüchliche Kommunikation aus dem Kultusministerium, die nicht den angekündigten Spielraum für pragmatische Entscheidungen an den einzelnen Schulen lässt. Die BLLV-Präsidentin plädiert dafür, den pädagogischen Auftrag, den Schule für eine ganzheitliche, nachhaltige Bildung junger Menschen hat, nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern als Lehre aus der jetzigen Krise die Aufgaben von Schule neu zu denken und einen Leistungsbegriff zu entwickeln, der nicht nur in Notmaßnahmen mündet.

Fazit von Simone Fleischmann:

„Wir teilen die Klassen, wir müssen die Hygienemaßnahmen einhalten, wir müssen den Arbeitsschutz für uns bedenken, den Gesundheitsschutz für die Kinder, wir müssen in die Notbetreuung, wir sollen in den Ferien etwas zur Verfügung stellen, wir sollen die Kinder zuhause coachen, währenddessen wir live im Klassenzimmer unterrichten, weil wir ja die Gruppen teilen. Das ist eine große Aufgabe und wir wollen den Weg gehen. Wir wollen das schaffen und wir wollen stolz unseren Beitrag leisten, damit diese Krise mit den Lehrerinnen und Lehrern hier in Bayern bewältigt werden kann.

Aber es gibt viele, die Sorge haben, dass sie das nicht gut hinkriegen und deswegen brauchen wir absolutes Vertrauen von der politischen Spitze und absolute Rückendeckung. Leider war der Mut nicht da, nur Rahmenbedingungen zu setzen und zu sagen: Die Schulleiter machen es dann schon richtig. Stattdessen hieß es dann doch: So und so und so muss es im Detail genau laufen. Und diese Details kamen dann auch noch zu spät. Es ist nicht gut, heute ein Konzept zu schreiben und zu kommunizieren und dann am Montag wieder zurück zu rudern. Das ist unprofessionell, das macht die Lust und den Mut und die Kraft der Schulleitungen und der Lehrer kaputt.“

Video (Preview):


Weitere Gesprächsbeiträge von Simone Fleischmann:

  • "Es wird am Montag nicht gleich mit den zwei Stunden Latein losgehen, die Herr Löher im Stundenplan stehen hat. Wir sind alle Menschen, wir hatten Ängste und Sorgen. Einige Kinder und Jugendliche haben in der Familie ganz schwierige Situationen erlebt. Wir müssen erstmal anlaufen und da können wir nicht gleich mit den Vokabeln auf Seite 87 starten."
     
  • "Ganz viele Kolleginnen und Kollegen sagen: Wenn wir jetzt das Konzept haben und starten, dann schaffen wir das. Ich gebe alles, ich versuche alles, wir wollen es hinkriegen. Aber es wird auch einige geben, die sagen: Moment, ich kann hier die Sicherheit nicht vorhalten, ich gefährde hier die Kinder. Und dann ist es sehr verantwortungsbewusst, wenn der Schulleiter das Gesundheitsamt anruft und sagt, dass er die Schule wieder schließen muss, weil er sie so nicht sicher geöffnet lassen kann."
     
  • "Wenn, wie mir an einer Schule berichtet wurde, die Desinfektionsmittel selber bestellt werden müssen, weil der Sachaufwandsträger geschlafen hat, und dann aber die Lieferzeit vier Wochen beträgt, na dann wird’s schwierig mit dem Hände desinfizieren an dieser Schule."
     
  • "Wir werden keine 100%ige Sicherheit bieten können und diese Angst treibt uns um. Du bist verantwortlich für die Kinder, vor allem für deren Gesundheit. Das wird vor allem bei den sehr agilen und mobilen Erstklässlern kritisch. Hier wird die Praxis zeigen, ob das funktionieren kann: Wir müssen auf dieser Marathonstrecke genau hinschauen in den Schulen vor Ort. Nicht nur die Virologen, nicht nur die Politiker können jetzt die Ansage machen, wir müssen das tun. Wenn es für die Schüler gesundheitsschädlich wird, dann müssen wir ganz klar sagen: Wir schaffen es eben nicht. Denn die Entscheidung, jetzt die Erstklässler in die Schulen zu holen, die ist schon sehr sehr mutig…"
     
  • "Wir sind immer auch noch Pädagogen, uns geht es darum, wie es in diesem Schuljahr bildungsgerecht für alle Schülerinnen und Schüler weitergeht. Beim Abitur ging es um Fairness. Bei den Viertklässlern ist gerade null Fairness, die sollen jetzt auch noch in den Probeunterricht!"
     
  • "Was mir aufstößt: Die Kinder, die jetzt zuhause alleine waren, die keine Endgeräte hatten, die keinen Zugang zu den anderen hatten, die haben uns schwer Kopfzerbrechen und Herzschmerzen bereitet. Denn die sind jetzt noch weiter abgehängt worden. Wir haben ohnehin ein System, in dem Bildungsgerechtigkeit kaum gegeben ist. Und jetzt auch noch die abzuhängen, die kein Endgerät haben oder in der Familie großes Leid, das ist wirklich schlimm. Da haben wir Lehrer sehr gefehlt. Hier ist es an der Zeit, sich um diese Kinder wieder live in der Schule zu kümmern."
     
  • "Unterricht, der digital ist, ist nicht automatisch der Beste. Es gab in Coronazeiten in Dörfern Lehrerinnen und Lehrer in der Grundschule, die sind mit dem Fahrrad zu jedem Kind nach Hause gefahren. Ein Lächeln über den Zaun ist vielleicht manchmal mehr wert als ein superdigitales Tool."
     
  • "Wir dürfen niemanden verlieren, und das wird schwierig. Es wird sehr schwierig, jedes einzelne Kind reinzuholen. Denn es werden ja auch im September vermutlich noch die beiden Wege mit Lernen in der Schule und Lernen zuhause gegangen werden. Da müssen wir uns die Frage ganz neu stellen: Wie gehen wir dann mit Leistung um? Wie melden wir Leistung zurück? Wie geben wir eine Note? Das wird sich definitiv verändern müssen. Diese Diskussion ist dem BLLV sehr wichtig, weil wir es satt haben, dass es immer nur darum geht: Hey, ich hab eine Vier, dann schickt die Mama den Rechtsanwalt. Wir wollen lieber einen anderen Lern- und Leistungsbegriff leben. Vielleicht lehrt uns das Corona und gibt uns die Chance, hier eine Veränderung zu erhalten."
     
  • "Wir können es in der jetzigen Situation nicht allen recht machen. Das schafft ja auch die Politik nicht. Egal, welche Ansage man macht, es gibt immer Argumente dagegen. Es wird immer Eltern, Schüler und Lehrer geben, die es lieber so gemacht hätten oder eben genau anders gemacht hätten. Das ist in einer Krise ganz klar. Aber es geht auch darum, Verantwortung zu übernehmen."
     
  • "Es geht in der Schule einerseits um Wissen und Kompetenzen. Aber es geht auch um die Begegnung, es geht auch um die Beziehung. Es geht darum zu sagen: Ich bin da für dich! Lass uns gemeinsam über das nachdenken, was gerade passiert. Wir sind nicht nur die Wissensvermittler. Sondern wir sind Menschen, die mit Beziehung arbeiten wollen. Man lernt bei dem Lehrer am meisten, der sehr fair ist, der in die Beziehung geht, den man mag, mit dem man sich gut verständigen kann."
     

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