Ab 11. Mai sollen nach Beschluss des bayerischen Ministerrats und der Vorgaben des Kultusministeriums die sogenannten „Vorabschlussklassen“ wieder Präsenzunterricht in den Schulen erhalten – also jene Klassen, für die im kommenden Schuljahr Abschlüsse bzw. Übergänge anstehen, so beispielsweise auch die Viertklässler in Grundschulen. Am 18. Mai kommen weitere Jahrgangsstufen hinzu, vor allem die jüngeren Schüler, wie z.B. Erstklässler in Grundschulen, Fünftklässler an Mittelschulen, Fünft- und Sechstklässler an Realschulen und Gymnasien. All dies findet im Wechsel von Präsenzunterricht mit geteilten Klassen und Lernen zuhause statt, unter Beachtung von Hygienevorschriften. Darüber informiert das bayerische Kultusministerium.
Nun ist eine öffentliche Diskussion im Gange um das Konzept von Staatsregierung und Kultusministerium. „So ein Plan ist immer nur so gut, wie wir ihn als Lehrerinnen und Lehrer und Schulleiter vor Ort auch umsetzen können“, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch mit SAT1 Bayern klar und nennt das wichtigste Kriterium: „Für uns ist ganz entscheidend, dass die Gesundheit vorgeht, die Gesundheit aller: der Lehrerinnen und Lehrer, der Kinder, letztendlich der ganzen Gesellschaft. Und daran werden wir messen, wie gut dieser Plan ist.“
Rückendeckung, wenn’s so „nicht läuft“
Das sukzessive Vorgehen bei den Schulöffnungen hatte der BLLV mehrfach gefordert und die Bedeutung von Präsenzunterricht unterstrichen: „Wir waren immer der Meinung, je mehr Schule live desto besser“, sagt Fleischmann gegenüber Sat1. Bei der Umsetzung gebe es aber offene Fragen und bei weitem nicht alle habe das Kultusministerium bisher geklärt, so die BLLV-Präsidentin auch mit Blick auf den akuten Lehrermangel, der sich in der Krise noch verschärft hat: „Jetzt gibt es aufwändige Hygienemaßnahmen, es gibt riesige Schwierigkeiten, was die Personalsituation angeht. Es gibt räumliche Schwierigkeiten. Es gibt beispielsweise High End digitale Schulen, gar die kein Waschbecken mehr im Klassenzimmer haben. Wie soll man dort dann die Hygienemaßnahmen hinkriegen?“
Simone Fleischmann kündigt hier eine kritische Prüfung an und fordert bei Problemfällen Unterstützung von Kultusministerium und Staatsregierung: „Wir werden das evaluieren. Wenn wir jetzt vor Ort immer mehr Schülerinnen und Schüler zu uns bekommen und das Hygienekonzept umsetzen sollen, dann dürfen wir auch Rückmeldungen geben, wie gut das geht. Wir werden natürlich alles tun, dass es gut geht. Aber wenn es irgendwo Engpässe gibt, dann muss man uns auch den Rücken freihalten und dann kann das vielleicht auch dazu führen, dass eine Schule den Plan so nicht fortsetzen kann.“ Dies wäre dann ein Entscheidung der zuständigen Schulleiter.
Thomas Dittmeyer beispielsweise, Schulleitersprecher des BLLV Freising, sieht sich außerstande zu kontrollieren, ob und wie sich 10-Jährige auf der Toilette die Hände waschen, und sieht weiteren Öffnungen mit Sorge entgegen: "Unsere erste Öffnung mit den großen Schülern hat mich auch nicht besonders ruhig schlafen lassen, weil wir einfach nicht wussten, was auf uns zukommt. Das Maß an Verantwortung ist sehr hoch. Es sind sehr viele Kinder und es hängen Familien dran!", so Dittmeyer in der Politsatiresendung "quer" im Bayerischen Fernsehen.
Um Noten kann es jetzt nicht gehen
Bei der Umsetzung begrüßt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann gegenüber dem Münchner Merkur die Eigenverantwortlichkeit, die Schulen prinzipiell eingeräumt wurde, um den Unterricht – wie vom BLLV angeregt – gemäß örtlicher Unterschiede bei Räumlichkeiten, Personal und Schülerschaft zu organisieren. Sie merkt aber an: „Das Ministerium hat bisher wenig Wert auf Eigenverantwortlichkeit gelegt und kann diese jetzt nicht einfach voraussetzen.“ Denn tatsächlich bleibe die Kommunikation des Ministeriums an vielen Stellen für den Geschmack vieler Kolleginnen und Kollegen zu sehr im Ungefähren, beispielsweis zum Vorgehen bei 2. und 3. Klassen. "Es braucht nicht nur einen Fahrplan, sondern auch sehr klare Regeln im Detail", stellt Simone Fleischmann gegenüber der Mainpost klar.
Das gelte insbesondere für den Umgang mit Prüfungen und Noten mit Blick auf die zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich Schülerinnen und Schüler derzeit konfrontiert sehen. Kultusminister Piazolo hatte lediglich angekündigt, den Notenschluss auf Ende Juli zu verschieben. Das reicht aus Sicht vieler Lehrerverbände aber mit Blick auf Leistungsbewertung nicht. „Wir brauchen hier die Rückendeckung von oben“, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. "Die Lehrer brauchen deshalb die klare Ansage, hier loslassen zu können".
Unsensibel, unpädagogisch!
Daher ist ein großer Kritikpunkt aus Sicht des BLLV auch der Plan des Ministeriums, beim Übertritt von Viertklässlern den Probeunterricht an weiterführenden Schulen durchführen zu wollen. Wenn richtigerweise an anderen Stellen Prüfungen ausgesetzt würden, sei nicht einzusehen, warum man ausgerechnet die Jüngsten unter Leistungsdruck setzt: „Ich bin sehr erstaunt, dass gerade die Kleinsten in unserem Schulsystem als einzige nun unfair behandelt werden“, so Simone Fleischmann in einer Pressemitteilung des BLLV. Sie nennt die Regelung „unsensibel und unpädagogisch“ und fordert gegenüber dem Münchner Merkur erneut, den Übertritt nach einer verpflichtenden Beratung mit Lehrkräften in die Entscheidung der Erziehungsberechtigten zu legen.
Bis zu den Pfingstferien kehren etwa die Hälfte der bayerischen Schülerinnen und Schüler an die Schulen zurück. Für die anderen 50% hat das Kultusministerium eine Perspektive für nach den Pfingstferien in Aussicht gestellt. Die jetzt offenen Fragen und Probleme verschärfen sich dann. In der Sendung "quer" warnt Simone Fleischmann: "Es wird Busprobleme geben, es wird Verhaltensprobleme geben, und womöglich, das wäre das Schlimmste, Infektionsprobleme. Deswegen sagen wir: In dem Moment, wo der Arbeitsschutz und der Gesundheitsschutz nicht vorgehalten werden können, muss man auch überlegen, die ein oder andere Schule zu schließen."
Auch die Personalsituation droht aus Sicht des BLLV dramatisch zu werden, weil viele Lehrerinnen und Lehrer in der Krisensituation nicht für den Unterricht zur Verfügung stehen, weil sie beispielsweise Risikogruppen angehören. Gleichzeitig steigt der Personalaufwand durch Klassenteilungen und die Parallelität von Präsenzunterricht und Lernbegleitung beim Lernen zuhause.
Lasst uns das Lernen lehren
„Wir müssen uns besinnen, was jetzt im Mittelpunkt stehen soll“, sagt Simone Fleischmann daher gegenüber Sat1 und berichtet aus den pädagogischen Erfahrungen der letzten Wochen: „Am besten dran waren die Schüler, die sehr eigenverantwortlich lernen konnten, die das zuhause hingekriegt haben. Aber lehren wir das, fördern wir das in der Schule? Wir würden es gerne und wir Lehrerinnen und Lehrer wissen auch, wie das geht.“
Doch der Druck durch Fächerzersplitterung und Lehrplanfokussierung verhindere eben oft, dass wichtige Meta- und Lebenskompetenzen erworben werden könnten. Das könne sich nun im Sinne eines Lernens aus der Krise, das Ministerpräsident Söder und Kultusminister Piazolo als wichtiges Ziel ausgegeben hatten, ändern, regt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann an: „Wenn man in dieser Richtung aus der Situation rund um Corona für die Schule der Zukunft etwas lernen könnte, wäre viel Gutes aus dieser Krise gewonnen für ein modernes Bildungssystem von morgen.“