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Geflüchtete Kinder an Schulen Startseite
Ukraine Individuelle Förderung Multiprofessionalität

„Wir brauchen viel Herz, mehr Menschen, weniger Bürokratie und einen Langfrist-Plan!“

Mit UPDATE zu "Willkommensgruppen": Das Engagement von Lehrkräften, geflüchteten Kindern in den Schulen zu helfen, ist enorm, stellt BLLV-Präsidentin Fleischmann klar. Statt Ansagen von oben braucht es dafür pragmatische Lösungen – und vor allem mehr Menschen!

UPDATE 14.3.: Willkommensgruppen brauchen Menschen

Das Kultusministerium hat angekündigt, an allen Schularten für geflüchtete Kinder sogenannte „Willkommensgruppen“ einrichten zu wollen, in denen diese schon vor Beginn der drei Monate nach Ankunft einsetzenden Schulpflicht und Eintritt in Regelklassen auf freiwilliger Basis erste Kontakte knüpfen und spielerisch Deutsch lernen können. Es gehe um „Halt und Stabilität“ für „vielfach traumatisierte Kinder“, sagt Kultusminister Michael Piazolo, der dafür Lehr- und Unterstützungskräfte einsetzen will, idealerweise mit ukrainischen Sprachkenntnissen.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann begrüßt gegenüber der Deutschen Presseagentur den Fokus auf eine Willkommenskultur. Sie betont erneut, dass es weniger um Deutschkenntnisse gehen kann, sondern darum, Kinder emotional aufzufangen, die umgetrieben sind von Fragen wie "Wo ist Papa? Ist mein Haus noch da? Bleiben wir hier?".

Integration braucht Personal vor Ort

Fleischmann warnt erneut, dass es mit Konzepten für Integration nicht getan ist, denn sie muss an der Schule vor Ort von Menschen geleistet werden, von denen es zu wenige gibt:“ Wir haben halt blöderweise auch noch Lehrermangel. Integrations-Konzepte fruchten nicht, wenn wir vor Ort nicht das Personal haben“, stellt die BLLV-Präsidentin klar.

"Es ist nicht zu stemmen. Wir haben einen Lehrermangel an Grund-, Mittel- und Förderschulen", sagt Simone Fleischmann. "Es ist hinten und vorne eine Flickschusterei." Der Lehrermangel führe an manchen Schulen dazu, dass zahlreiche Lehrkräfte doppelt arbeiten müssten. Es gebe Situationen, da betreue eine Lehrkraft 60 Schülerinnen und Schüler in der Aula. Für sie ist es kein Widerspruch zu sagen: "Wir nehmen die Verantwortung an, für die ukrainischen Kinder da zu sein." >> Zum Artikel in der Mainpost (Plus-Artikel)

Darum fordert der BLLV erneut, dass die Experten vor Ort, die nun Integration bei Personalmangel und Corona-Beschränkungen professionell organisieren sollen, aus dem Unterricht herausgehalten werden: Schulleiterinnen und Schulleiter. Beim Einsatz von Unterstützungskräften und geflüchteten Lehrkräften aus der Ukraine ist zudem „unbürokratisches Handeln“ gefragt, wie Simone Fleischmann erneut betont.

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Simone Fleischmann im Interview bei SAT1

Gute Integration braucht Emotion, Rückenstärkung und professionelle Aufstellung

Im Gespräch mit SAT1 Bayern betont BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann angesichts der großen Aufgabe, geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche an den Schulen aufzunehmen: „Wir werden wieder alles geben, was geht.“ Weil aber akuter Lehrermangel herrscht und das Corona-Management zusätzliche Ressourcen braucht und zugleich das emotionale Auffangen von Schülerinnen und Schülern erschwert, fordert Fleischmann: „ Wir brauchen Personal, Freiheiten und Rückenstärkung.“ Insbesondere die Schulleitungen müssen nun entlastet werden und Förderlehrer die Möglichkeit bekommen, wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, die für geflüchtete Kinder und Jugendliche jetzt besonders wichtig ist, nachzukommen.

Die Richtung des Kultusministeriums, zunächst mit Willkommensgruppen zu agieren, begrüßt die BLLV-Präsidentin: „Wir müssen erstmal Angebote machen, die Kinder sozial und emotional abholen, und nicht gleich wieder Druck aufbauen“, sagt Fleischmann.

Zunächst geht es also um viel Herz, eine gesunde Portion Pragmatismus und die pädagogische Expertise von Lehrerinnen und Lehrern. Doch das wird auf lange Sicht nicht reichen, stellt die BLLV-Präsidentin klar: „Wenn es um das nächste Schuljahr geht, muss man richtig Geld in die Hand nehmen, dann brauchen wir richtig viel Personal, um gute Integration anzubieten – sprachlich, emotional und für die Persönlichkeitsentwicklung. Dafür müssen wir uns professionell aufstellen.“

Aus Sicht des BLLV heißt das auch, über die Schulen hinaus weitere Akteure einzubinden: Ob Sachaufwandsträger oder Kommunen - um die anstehenden großen Aufgaben zu schultern, müssen alle Menschen in allen Strukturen auch auf lange Sicht das tun, was an den Schulen gerade passiert: Zusammenstehen, um zu helfen.

» Das Interview in voller Länge auf SAT1.de (Video)

Simone Fleischmann im Gespräch mit BR 24

Bayern plant Angebote für ukrainische Schülerinnen und Schüler

Gegenüber BR24 betont Simone Fleischmann, dass die Situation der aus der Ukraine geflüchteten Kindern sehr unterschiedlich ist und Pädagoginnen und Pädagogen sehr genau hinschauen müssen, welches Bedürfnis jedes Kind mitbringt: "Der Jugendliche, der kurz vor einer Prüfung steht, braucht etwas anderes als ein Mädchen, das ich bei uns vor Ort in der Flüchtlingsunterkunft kennengelernt habe, das keine Sekunde von der Mama weg will und gar nicht in die Schule gehen kann: Sie ist traumatisiert! Sie braucht einen Psychologen in der Flüchtlingsunterkunft. Sie braucht keine Deutschvokabel, sie braucht auch kein deutsches Schulsystem, sondern sie braucht jetzt eigentlich einen Traumatherapeuten!"

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Originalmeldung vom 11. März

Während die Politik in Berlin und München über Masterpläne, Task Forces und bestmögliche Unterrichtsformen diskutiert, schildert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann gegenüber Medienvertretern die aktuelle Realität an Schulen so: „Es geht hier um Kinder und Jugendliche, die gerade geflüchtet sind. ‘Wo ist der Papa?‘, fragen die sich und ‘Bleibe ich in Deutschland?‘. Oder sie fragen, ‘Mir geht es nicht gut, wer nimmt mich an die Hand?‘“

Aus Sicht von Simone Fleischmann gibt es darauf aus Sicht professioneller Pädagogen nur eine Reaktion: „Wir zeigen Herz und Haltung und nehmen die Kinder an jeder Schule so an, wie es dort am besten möglich ist. Aber nicht mit einem Masterplan, der Vollgas gibt Richtung Leistungsorientierung! Es geht nicht darum, dass diese Kinder nächste Woche Deutsch können.“

Alles geben für ein bisschen „Aufgehoben sein“

Der Fokus auf die Formate, die 2015 in der Flüchtlingsbeschulung angewendet wurden, und auf die politische Entscheider angesichts der jetzigen Situation gerne verweisen, ist für Fleischmann zu formal und greift deutlich zu kurz: „Was noch mehr hilft als die Erfahrungen von 2015, sind unser Herz und unsere Einstellung als Lehrerinnen und Lehrer. Wir wissen, was diese Kinder brauchen, und spüren, wo sie emotional gerade stehen. Das spürt man als Mensch, und darin sind wir Profis. Wir werden das stehen und wir werden alles geben, damit es diese Kinder in dieser schwierigen Zeit bei uns in den Schulen, so gut es geht, gut haben.“

Zur Wahrheit gehört dabei aus Sicht des BLLV auch, dass dieses „so gut es geht“ von sehr viel mehr abhängt als von Herz, Kopf und Hand der Pädagoginnen und Pädagogen. „Wir sind noch mitten in der Corona-Pandemie mit besonderen Herausforderungen in den Schulen und wir haben zu wenig Lehrkräfte“, sagt Simone Fleischmann und stellt gleichzeitig klar: „Wir jammern hier nicht über unsere Arbeitsbedingungen, wir stellen sie nur fest. Wir brauchen Erleichterungen, weil wir eins wollen: Die Kinder, die so große Ängste haben, die nicht wissen, wie es mit ihrem Leben weitergeht, und die zu uns in die Schule kommen – wir wollen und werden sie integrieren! Wir werden diesen Kindern alles geben, damit sie ein bisschen Normalität, ein bisschen Sicherheit, ein bisschen Aufgehoben sein in der Schule fühlen.“

Pragmatismus statt Paragraphen, gesunder Menschenverstand statt Bürokratie

Dieses große Engagement zeigt sich sogar bei Pädagogen, die eigentlich gar nicht mehr im Schuldienst sind oder ihre Arbeitszeit reduziert hatten: „Es kommen schon pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, die in Ankunftszentren und Unterkünften bereits Kontakt mit den Kindern hatten“, berichtet die BLLV-Präsidentin. „Die Hilfsbereitschaft ist groß, auch Teilzeit-Kolleginnen und Kollegen werden aufstocken. Wir werden alles versuchen, weil wir spüren, dass diese Kinder die Schule brauchen.“

Auch für den Einsatz von geflüchteten ukrainischen Lehrkräften spricht sich Fleischmann daher klar aus: „Wenn eine ukrainische Lehrerin jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft ist, dann wird die Schule vor Ort alles daran setzen, dass diese Lehrerin an der Schule unterstützen kann. Fragen nach Versicherungen, oder Verträgen können dabei nicht im Vordergrund stehen. Jetzt geht’s darum, Bürokratie beiseite zu legen und mit dem Herzen und dem guten Menschenverstand zu helfen. Wenn wir da warten, bis der Zettel von oben kommt, und von der ukrainischen Lehrerin ein polizeiliches Führungszeugnis fordern oder eine Bescheinigung, was sie eigentlich studiert hat und wo sie eigentlich herkommt, und infrage stellen, ob sie überhaupt einen Fuß in die Schule setzen darf, dann können wir diesen Kindern sicher nicht helfen.“

Schulleitungen brauchen eine faire Chance, Integration zu organisieren

Ob Teilzeitaufstockung, Einsatz von Pensionisten oder ukrainischen Lehrkräften: All das muss organisiert werden – gleichermaßen professionell wie pragmatisch. Gleichzeitig muss den Lehrkräften im Einsatz der Rücken gestärkt werden. Das können einmal mehr nur die Schulleiter vor Ort, die wegen der Organisation sich hochfrequent ändernder Corona-Regelungen bei gleichzeitig prekärer Personalsituation unter hohem Dauerdruck agieren: „Wir haben es vor Corona gesagt, vor dem Lehrermangel und jetzt haben wir nochmal eine schreckliche Situation, nämlich den Krieg in Europa: Wir müssen die Schulleiter vor Ort ermächtigen, die Politik muss ihnen den Rücken freihalten“, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.

Denn: „Eine Grundschulleiterin, die selbst noch in der Klasse 4b die Klassenleitung stemmt, die jetzt geflüchtete Kinder aus der Ukraine integrieren will, die muss raus aus ihrem Unterricht, denn sonst kann sie den Kindern vor Ort mit den nötigen Netzwerken nicht helfen. Das ist nicht leistbar, und das muss jetzt endlich erkannt werden.“

"Eine schulische Heimat geben": BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann auf Radio Arabella


Was Kinder vor allem brauchen, brauchen wir jetzt vor allem!

Der Lehrermangel erschwert aber nicht nur die Organisationsarbeit der Schulleiterinnen und Schulleiter. Er bedeutet auch, dass Experten für Integration und individuelle Förderung – also genau die Pädagogen, die ukrainische Kinder jetzt am meisten bräuchten – nicht verfügbar sind: „Uns gehen die Menschen aus, die helfen können, denn wir haben nicht genug multiprofessionelle Teams und die Förderlehrer und  Fachlehrer werden statt ihrer eigentlichen Aufgabe als Klassenleiter eingesetzt“, konstatiert Simone Fleischmann. „Wir stopfen also mit was nur geht – oft nicht einmal mit Lehrern – die Lücken. Das ist die Realität.“

Da sich an dieser Situation kurzfristig nichts ändern wird, ist für die BLLV-Präsidentin klar: „Wir können nicht warten bis ein Schulpsychologe kommt, bis der Bedarf an Multiprofessionalität erkannt wird, bis die seit Langem geforderten Gesundheitsfachkräfte da sind. Die Kinder sind nämlich JETZT da! Jetzt wird jede Lehrerin und jeder Lehrer die Kinder mit voller Herzenskraft und mit der Professionalität, die wir alle als Menschen haben, in der Schule annehmen.“

Integration gelingt nur mit Herz, Kopf und Hand

Aus Sicht des BLLV rächen sich somit nun Versäumnisse bei der politischen Weichenstellung für eine Schule, die verfassungsgemäß ganzheitliche Bildung und Erziehung leistet. Dafür braucht es verschiedenste Experten an den Schulen, die nicht Ziffernleistungsbewertungen, die es vor allem für rechtssichere Sortierungsentscheidungen braucht, in den Mittelpunkt stellen – sondern eben Bildung für und mit Herz, Kopf und Hand. Also genau das, was sich die Kinder an den Schulen jetzt wünschen!

Dementsprechend fordert der BLLV sofort langfristige Maßnahmen. „Sonst wird uns auf lange Sicht die Professionalität fehlen“, analysiert Präsidentin Fleischmann. „Wir brauchen Lehrer für Deutsch als Zweitsprache, wir brauchen besondere interkulturelle, religiöse Angebote. Auf lange Strecke muss dafür ein Programm aufgelegt werden.“

Alles geben im „erschöpften System“

Die Süddeutsche Zeitung beschreibt das Problem so: „Schutzbedürftige treffen nun auf ein vielerorts erschöpftes System. Auf Kitas, die in den Speckgürteln mit Mitarbeiterwohnungen um Betreuer buhlen. Auf Deutschlehrerinnen, die noch mitten im Studium sind und trotzdem angestellt wurden, weil der Bedarf so groß ist. Auf Schulen, deren Lehrer und Schulleiter ausgelaugt sind von den Strapazen zweier Corona-Schuljahre. Auf Schulpsychologen, die mit ihren wenigen Anrechnungsstunden jetzt schon kaum hinterherkommen. Auf ein System, in dem fast jede zehnte Lehrkraft fehlt, weil diese entweder krank oder schwanger ist.“

Trotzdem stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar: „Wir müssen und werden den Kindern, die in unseren Schulen ankommen, eine Willkommenskultur gestalten. Dafür brauchen wir nächste und übernächste Woche erstmal pragmatische Menschen mit viel Herz und Haltung. Das sind wir und das können wir.“

Zuhören und Dialog helfen – auch zwischen Schule und Eltern

Das brauchen natürlich alle Kinder. Denn auch die, die schon länger in den bayerischen Schulen sind, erleben jetzt zusätzlich zu Corona gleich die nächste Ausnahmesituation. Simone Fleischmann weiß, dass der Krieg in Schule und Elternhaus sehr präsent ist und wünscht sich, ganz im Sinne des BLLV-Ansatzes einer Erziehungspartnerschaft, eine enge Zusammenarbeit. „Wenn es für Kinder sehr schwer wird, müssen Schule und Elternhaus zusammenkommen“, regt sie im Gespräch mit Radiojournalisten an.

Wenn Eltern nicht wissen, wie sie mit dem Thema Krieg zuhause umgehen sollen, rät Simone Fleischmann: „Schön ist es, wenn Eltern einfach Zuhören und Raum geben. Statt sich also eine Nachrichtensendung nach der anderen reinzuziehen und permanent am Handy zu hängen, sagen: Wir machen jetzt alle Medien aus! Und fragen: ‘Wie geht es Dir? Hast Du Angst? Hast Du etwas nicht verstanden?‘ Also reden, reden, reden! Das hilft, wenn Menschen in einer Krise sind, ob im Sitzkreis in der Schule, ob am Abendbrottisch im Elternhaus.“

Es gebe aber Alarmsignale, bei denen Kindern und Jugendlichen am besten gemeinsam geholfen werden sollte: „Wenn Kinder Schlafstörungen entwickeln und nicht mehr aufhören, Medien zu konsumieren, wenn Kinder permanent von toten Kindern reden, wenn Kinder plötzlich dauernd am Papa drankleben, dann ist etwas los“, sagt Simone Fleischmann und bittet: „Hier braucht es die Sensibilität der Eltern für ihr Kind – und bitte informieren sie uns als Schule, wenn sie merken, dass ihre Tochter oder ihr Sohn ganz schwer darunter leidet.“