Zu Beginn der Corona-Krise sprach BLLV-Vizepräsident Tomi Neckov mit Lehrervertreterin Rossella Benedetti zum ersten Mal. Darüber, wie sie Schule im vom Coronavirus gebeutelten Italien erlebt und welche Sorgen die Lehrerinnen und Lehrer umtreiben. Jetzt, einige Monate später, spricht Neckov erneut mit ihr und will wissen, was sich in der Zwischenzeit bei ihr getan hat.
Tomi Neckov, 2. BLLV-Vizepräsident und stellv. Bundesvorsitzender des VBE: Frau Benedetti, Sie sind Gymnasiallehrerin und gerade zuhause?
Rossella Benedetti, UIL SCUOLA RUA (ital. Arbeitervertretung für Schulen): Ja, ich bin daheim, wir sind derzeit im Distanzunterricht, weil Rom orange ist. Das heißt, dass in Rom alle Gymnasien und die Oberstufe im sekundären Bildungsbereich derzeit online unterrichtet werden. Nur die Grundschulen und die Orientierungsstufe der Mittelstufe haben Präsenzunterricht.
Warum sind die älteren Schüler aus Ihrer Sicht im Fernunterricht?
Die Ansteckungsrisiken bei den älteren Schülern sind vor allem durch die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs immer noch sehr hoch. Es ist zwar Maskenpflicht, aber hier ist kein Abstand und die Busse extrem voll. Und außerdem können die Großen natürlich besser digital unterrichtet werden als die Kleinen.
Jeder italienische Schüler sollte täglich eine Maske bekommen? Hat das nicht geholfen?
Ursprünglich war angedacht, dass sich jeder Schüler seine eigene Maske selbst besorgt. Aber die Regierung hat dann doch allen Schulen Masken zur Verfügung gestellt. Vom Ministerium wurde zudem ein Budget für FFP2 Masken für Lehrer zur Verfügung gestellt. Die Schulleiter entscheiden selbst, ob sie mit diesem Schulgeld FFP2 Masken für Lehrer zur Verfügung stellen.
Müssen die Italiener auch so oft lüften?
Ja, alle 20 Minuten sollen die Klassenzimmer gelüftet werden.
Und wenn sich nun doch Schüler infizieren?
Dann werden die Klassenräume von externen professionellen Reinigungsfirmen gereinigt und desinfiziert. Infiziert sich ein Schüler, muss nur der Schüler für zwei Wochen in Quarantäne. Für Lehrer und den Rest der Klasse gilt das nicht, das Gesundheitsamt entscheidet anhand eines Fragebogens, den der Lehrer ausfüllen muss, ob der Lehrer in Quarantäne gehen muss. Da ein großer Lehrermangel in Italien herrscht, ist gewünscht, dass die Lehrer ihren Unterricht weiterführen können.
In ganz Deutschland werden die Weihnachtsferien jetzt verlängert, was hat Italien im Bezug zu den Ferien geplant?
In Italien gibt es keine vorgezogenen Weihnachtsferien, im Gegenteil, es gibt die Diskussion, ob die Gymnasien noch vor den Weihnachtsferien am 09. Dezember in den Präsenzunterricht zurückkehren, weil der Distanzunterricht nicht wirklich gut funktioniert. Es ist noch nicht klar, ob alle Klassen oder nur in Teilgruppen zu dem Präsenzunterricht zurückgekehrt werden kann, da es stark davon abhängt, ob es ausreichend Lehrkräfte gibt. Stand heute sind viele Lehrer an Covid19 erkrankt und es gibt nicht genügend Lehrer und Ersatzlehrer. Die wenigen Ersatzlehrer kommen vor allem aus Süditalien, sie sind besorgt, dass sie sich auch anstecken und deshalb geben sie ihren Vertrag als Ersatzlehrer auf.
Warum sind so viele Lehrer krank?
Die Alltagsmaske ist nicht ausreichend, um sich vor dem Erreger zu schützen. Und aus meiner Sicht sind Kinder und Jugendliche auch ein Risikofaktor bei der Übertragung von Corona an die Lehrer.
Welche Bedingungen werden als Schutzmaßnahmen für die Lehrer in Italien gestellt?
In den letzten Wochen hat das Ministerium zwar einen Vertrag für Fernunterricht vorgestellt, was die Uil Scuola rua (Anm. d. Red.: Gewerkschaft die Rossella Benedetti vertritt) aber nur als eine vorübergehende Lösung ansieht. Die Gewerkschaft fordert eine Kollektivvereinbarung für Lehrer, dass sie mehr Geld erhalten sollten für die Mehrarbeit, die sie durch die Corona-Situation mit Schülern haben. Zudem braucht es für Fernunterricht eine andere Pädagogik, es ist eine Riesenherausforderung für jeden Lehrer. Außerdem gibt es bis heute keine klare Regelungen für das Arbeiten von zu Hause. Deshalb sehen wir den neuen Vertrag sehr kritisch an und glauben, dass er eher zum Nachteil der Lehrer ist.
Sind die Schulen und Lehrer in der Zwischenzeit wenigstens besser ausgestattet mit digitalen Endgeräten?
Viele Schulen wurden in der Zwischenzeit mit Endgeräten ausgestattet. Die Lehrer erhalten ein Endgerät, müssen aber die Kosten für die Internetverbindung zuhause selbst übernehmen. Aber jeder Lehrer in einer festen Anstellung hat ein Budget von 500€ pro Jahr für Hard- und Software. Allerdings verdienen wir italienischen Lehrer wesentlich weniger als die deutschen Lehrkräfte.
In Bayern haben die Schulleiter eine Leistungsprämie für die Mehrbelastung durch Corona bekommen. In Italien auch?
Die Schulleiter wurden für ihre Mehrarbeit nicht honoriert
Wie gehen die Eltern mit der jetzigen Situation um?
Eltern die vermögend sind, können ihre Kinder besser unterstützen. Eltern, die weniger Einkommen haben, haben es gerade jetzt in der Pandemie Zeit schwer, ihre Kinder zu unterstützen.
Was brauchen Italiens Schulen jetzt?
Mehr finanzielle Unterstützung für die Einführung eines besseren Bildungssystems und natürlich Unterstützung für die Lehrer in ihrer Weiterentwicklung.
Das Interview führte Tomi Neckov, 2. BLLV-Vizepräsident und stellvertretender Bundesvorsitzender des VBE.