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„Solide Studienlage: Noten ungerecht, willkürlich und nicht lernförderlich“

Diplompädagoge Jöran Muuß-Merholz analysiert die politische Forderung nach der Abschaffung von Noten und Hausaufgaben und für längeres gemeinsames Lernen aus wissenschaftlicher Sicht. Sein Fazit fällt ziemlich eindeutig aus.

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hat den Bildungsexperten Jöran Muuß-Merholz nach einer wissenschaftlichen Einschätzung der aktuellen politischen Forderung der Linken befragt, ein Schulsystem ohne Noten und Hausaufgaben einzuführen und gemeinsames Lernen bis zur 10. Klasse zu ermöglichen.

Hausaufgaben sieht Muuß-Merholz als enormen Beitrag zur sozialen Ungerechtigkeit. Das beginne schon mit der Frage, ob überhaupt ein vernünftiger Arbeitsplatz zur Verfügung steht, denn daran scheitert es für Kinder mit schwierigem sozioökonomischem Hintergrund schon oft. Dabei ist für Muuß-Merholz allerdings durchaus klar: „Selbstständiges Lernen und Üben sind wichtig, damit wir Routinen ausbilden und das selbstständige Arbeiten weiterentwickeln. Aber das ist kein Selbstgänger. Nur weil ich die Aufgabe bekomme, selbstständig zu lernen, werde ich darin nicht automatisch besser.“

Selbst lernen muss in der Schule gelernt werden

Das selbst lernen müsse daher dringend gelernt werden. Aber dieser Prozess gehöre nicht in die Elternhäuser: „Auf jeden Fall sollten wir das selbstständige Lernen fördern. Aber wenn wir das auf den privaten Bereich schieben und nicht in der Schule selbst organisieren, dann hilft das nur denjenigen, die ohnehin schon privilegiert sind“, sagt der Diplom-Pädagoge.

Noten sieht der Bildungsforscher als „die dünnsten anzunehmenden Rückmeldungen“. Dabei sei die Form des Feedbacks essenziell für Lernerfolge, es gehe aber um konkrete Fragen wie: „Was genau könnte besser werden? Was kann ich anders machen? Woran sollte ich arbeiten? Und wie kann ich dabei vorgehen?“ Das beantworten Noten per se aber gerade nicht. „Zudem haben wir inzwischen wirklich eine sehr solide Studienlage, nach der Noten ungerecht, willkürlich und nicht lernförderlich sind“, ergänzt Muuß-Merholz.

Angst lehrt vor allem: Angst

Dass die Forderungen der Linken mit „Lernen ohne Druck und Angst“ überschrieben sind, hält der Diplom-Pädagoge für sinnig. Während gerne damit argumentiert wird, dass Menschen in einer leistungsorientierten Gesellschaft lernen müssen, mit Druck umzugehen, sei erziehungswissenschaftlich gut belegt, wozu lernen mit Angst tatsächlich führt:

„Wir wissen aus der Forschung, dass wir mit Angst sehr gut lernen – nur in der Regel nicht immer das, worauf es ankommt. Um es bildlich zu machen: Wir lernen über Angst, die Finger von der heißen Herdplatte zu lassen. Aber wir lernen nicht, wie man kocht. Dazu besteht die Gefahr, dass wir die Angst ‘mitlernen‘ – also immer, wenn es in der Zukunft um Kochen geht, verbinden wir es mit Angst. Immer wenn es in der Zukunft um Lernen geht, verbinden wir es mit der Angst. Das kann ein funktionierendes Bildungssystem nicht wollen.“

Längeres gemeinsames Lernen sei aus erziehungswissenschaftlicher Sicht ebenfalls der bessere Weg als die übliche frühe Dreiteilung, sagt Muuß-Merholz. Daran rütteln zu wollen ist für den Bildungsforscher derzeit aber Energieverschwendung, denn es gebe „realpolitisch keine Chance für große Veränderungen in Deutschland“.

» zum kompletten Interview: „‘Enormer Beitrag für soziale Ungerechtigkeit‘: Bildungsforscher über Hausaufgaben“