Schweden gilt im Bildungsbereich als Vorreiterland in punkto Digitalisierung, auch in der Primarstufe. Doch scheint diese Euphorie nun zu kippen, denn eine Verbesserung der Lernergebnisse bleibt aus, und nun werden wieder Schulbücher angeschafft. War die Digitalisierung des Lernprozesses bereits in so jungen Jahren ein Fehler? Seit langem kommen aus der Wissenschaft sehr unterschiedliche Aussagen zum Nutzen und auch Schaden digitaler Medien. Häufig werden diese im öffentlichen Diskurs jedoch viel zu vereinfacht dargestellt.
Schulbuch oder Tablet? Keine Frage des Entweder-oder!
Schweden gilt im Bildungsbereich als Vorreiterland in der Digitalisierung. Oft wird dazu gestritten, ob und wann digitale Medien im Schulalltag zum Einsatz kommen sollen. Pauschale Aussagen sind aber unangebracht, denn es ist – wie so häufig – komplizierter.
Hintergrundbericht
Digitale Medien können sowohl schaden als auch nutzen
Die verschiedenen ‚Lager‘ (‚Digitalisierungsbefürwortende‘ und ‚Digitalisierungsablehnende‘) beziehen sich jeweils auf unterschiedliche Erfahrungen und Studienergebnisse, die häufig auf beiden Seiten nicht ‚falsch‘ sind, denn digitale Medien können sowohl schaden als auch nutzen. Sie sind dann hilfreich, wenn sie passgenau und lernwirksam im Unterricht angewendet werden. Sie können bereits guten Unterricht noch besser machen und verändern diesen auch, da mit digitalen Medien anders gearbeitet werden muss als mit analogen. Zugleich können sie jedoch auch guten Unterricht schlechter machen, wenn sie eben nicht passgenau und lernwirksam eingesetzt werden, und ohnehin bereits schlechten Unterricht machen sie in der Regel noch schlechter. Entscheidend ist folglich nicht ob, sondern wie digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden.
Digitale Medien bergen enorme Potenziale
Nicht zu unterschätzen sind in Zeiten künstlicher Intelligenz die enorm großen Potenziale digitaler Medien für den Bildungsbereich. Screenings, Diagnostik, automatisierte lernförderliche Auswertungen und Beurteilungen mit Feedback an Lernende und Lehrende, individuelle Förderpläne, adaptive Lehr-Lern-Angebote und vieles mehr – all diese Möglichkeiten bieten uns digitale Medien. Klammert man diese aus dem Bildungsalltag aus, verzichtet man auf eine unfassbare Bandbreite an Potenzial zur individuellen Förderung.
Digitalität ist Teil unser aller Lebenswirklichkeit
Da digitale Medien und entsprechende Kompetenzen aus unserer Lebenswirklichkeit – und damit auch aus der der Kinder und Jugendlichen - nicht mehr wegzudenken sind, sollten auch sie möglichst frühzeitig einen gesunden, reflektierten, kritischen und konstruktiven Umgang mit diesen erlernen. Doch dabei brauchen Sie kompetente Begleitung und Unterstützung. Wenn Bildungseinrichtungen diesen zentralen Bildungs- und Entwicklungsauftrag hinauszögern, kann dies problematische Folgen für Kinder und Jugendliche haben, die diesen Medien mit Suchtpotenzial in ihrem Alltag häufig quasi hilflos ausgesetzt sind. Digitale Medien sind zur gesellschaftlichen Normalität geworden und deshalb müssen sie auch so behandelt werden – auch und gerade in unseren Bildungseinrichtungen.
Digitale Medien dort nutzen, wo sie einen Mehrwert haben
Den Einsatz digitaler Medien pauschal in jeder Situation vorzuschreiben ist genauso kontraproduktiv, wie sie in jeder Situation pauschal zu verbieten. Entscheidend beim Einsatz digitaler Medien ist, auf die Möglichkeiten zurückzugreifen, die analoge Lehr-Lernformen nicht bieten, oder beide Formen gewinnbringend miteinander zu verknüpfen. Ein Vorgehen nach dem Motto „Alter Wein in neuen Schläuchen“, beispielsweise indem die analogen Schulbücher nun als PDF digital zur Verfügung stehen, hat für sich genommen überhaupt keinen Mehrwert. Auch für die Feinmotorik und das Schreibenlernen ist der klassische ‚analoge‘ Stift im Vergleich zu einem ‚digitalen‘ Stift völlig ausreichend und zielführend. Geht es aber um eine sehr genaue Diagnostik und um die Erstellung und Bereitstellung passgenauer Materialien, dann können digitale Werkzeuge einen wunderbaren Mehrwert zum analogen Lernen haben und hier auch Lehrkräfte enorm entlasten – vorausgesetzt, dass entsprechende Programme vorhanden und genehmigt sind und dass Lehrkräfte befähigt werden, diese lernwirksam einzusetzen. Hier ist noch viel zu tun!
Digitale Medien sollten reflektiert und nicht einfach um ihrer selbst willen in Schulen eingesetzt werden. Zudem brauchen die Kinder und Jugendlichen zum Erlernen von Medienkompetenz eine gute Begleitung. Wenn uns dies gelingt, dann können digitale Medien einen lernwirksamen Unterricht unterstützen und uns Zeit verschaffen für Beziehung, denn die ist und bleibt die wichtigste Grundlage für erfolgreiche Bildung.
Lesen Sie auch die BLLV-Position „Thesen zur Schule im Zeitalter der Digitalität“.