Dr. Anke Pielsticker, BLLV-Beratungstherapeutin in München, ist seit Beginn der Beratungsgespräche 2006 dabei und hat dadurch einen umfassenden Eindruck über die Nöte und Probleme von Lehrerinnen und Lehrern gewinnen können. Im folgenden Interview wird klar, mit welchen Themen sich Lehrerinnen und Lehrer an sie wenden und wie sich die Beratungsthemen im Laufe der Zeit verändert haben (dieses Interview erschien zuerst in der Bayerischen Schule im April 2020).
Frau Dr. Pielsticker: Welche Erfahrungen machen Sie als Therapeutin im Rahmen von BLLV-Beratungsgesprächen?
"In den Gesprächen geht es selten um eine rein präventive Beratung. Meistens liegen bereits ausgeprägte psychische oder psychosomatische Symptome vor, die behandlungsbedürftig sind."
Was sind die Nöte von Lehrerinnen und Lehrer und wie haben sich diese im Laufe der Jahre verändert?
"Der Anlass für eine Beratung ist meist eine akute oder dauerhafte Überlastung durch spezifische Situationen an der Schule. In der Regel sind Überforderungssymptome sowohl psychisch als auch körperlich spürbar (z.B. Antriebslosigkeit, Stimmungsschwankungen, Vernachlässigung privater Interessen, Unruhezustände, Migräne, Tinnitus). Manchmal wird aber auch erst nach einer überstandenen Krise ein Beratungsgespräch geführt, um den Anforderungen in der Zukunft besser standhalten zu können. Ich beobachte in den letzten Jahren, dass sich insbesondere junge Lehrerinnen und Lehrer immer häufiger die Frage stellen, ob sie nicht aus dem Lehrerberuf aussteigen sollten. Besonders sehr engagierte Lehrerinnen und Lehrer sind nach den ersten Schuljahren desillusioniert, da sie sich mit Problemen konfrontiert sehen, auf die sie sich nicht vorbereitet fühlen (z.B. Umgang mit Inklusionsschülern, Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund und Sprachdefiziten). Es fällt den jüngeren Lehrerinnen und Lehrerin besonderem Maße schwer, ihren eigenen hohen Leistungsanspruch zu reduzieren und sich in der Freizeit wieder vom Schulalltag zu distanzieren. Ältere Lehrerinnen und Lehrer können dem zunehmend fordernden Lehrerberuf vor dem Hintergrund einer altersbedingt abnehmenden Belastbarkeit häufig nur noch mit erhöhter Anstrengung gerecht werden. In der Folge fühlen sie sich erschöpft und ausgebrannt."
Was hat sich im Hinblick auf Psychotherapien für Lehrer*innen verändert?
„Die klinisch relevanten Symptome sind bei Beginn einer psychotherapeutischen Beratung häufig schon so stark ausgeprägt, dass sie einer längerfristigen Behandlung bedürfen. Oft verzichten Junglehrerinnen und Junglehrer auf eine indizierte Psychotherapie, um ihre Verbeamtung nicht zu gefährden. In diesen Fällen kann nur zu einer Psychotherapie als Selbstzahlerin oder Selbstzahler geraten werden.“