So sehr sich die Mitglieder des Bezirksausschusses auf das persönliche Treffen in Viechtach auch gefreut haben, vielen war an diesem Samstag anzusehen, wie müde und erschöpft sie sind. Dabei war das neue Schuljahr an diesem Termin gerade einmal sechs Wochen alt. Aber nicht nur Corona und die Begleitumstände machen vielen zu schaffen. Besonders die Kollegen an Mittel- und Grundschulen kämpfen mit einer zu dünnen Personaldecke. Evi Wenig, Vorsitzende des Kreisverbandes Regen, brachte es auf den Punkt: Es sei der „Wahnsinn“. Die Unterrichtsversorgung sei im Grund- und Mittelschulbereich im Landkreis so auf Kante genäht, dass wirklich niemand ausfallen dürfe und viele längst an ihrer persönlichen Leistungsgrenze angelangt wären.
"Pflaster heilen nicht, sie überdecken nur"
Wie schlimm ist die Lage an Niederbayerns Schulen wirklich? Beim Bezirksausschuss des BLLV Niederbayern Ende Oktober in Viechtach wurde Tacheles gesprochen. Es wurde deutlich: Viele Kolleginnen und Kollegen sind bereits sechs Wochen nach dem ersten Schultag im Schuljahr 2021/22 an ihrer Belastungsgrenze. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann war dankbar für den ehrlichen Einblick in den niederbayerischen Schulalltag. Sie nahm sich den ganzen Tag Zeit, um sich in Ruhe und ohne Termindruck mit den Mitgliedern vor Ort auszutauschen und so viele Eindrücke wie möglich mit nach München zu nehmen. Ihr Resümee am Ende des Tages: „Es brennt lichterloh! So kann es nicht weitergehen!“
Evi Wenig sprach aus, was viele belastet: Obwohl man alle Reserven bündle, die Zähne zusammenbeiße, habe man das Gefühl, den Kindern nicht gerecht zu werden. Gerade jetzt bräuchten die Schüler aber mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit als sonst, müssten aufgefangen werden, Stoff aufgeholt und Wissenslücken geschlossen werden. Es sei erkennbar, dass die Corona-Pandemie an vielen Kindern und Jugendlichen nicht spurlos vorbei gegangen sei. „Es geht um das Wohl der Kinder“, sagte sie. Und zu wissen, man müsste eigentlich noch viel mehr leisten, das mache viele engagierte Kollegen fertig. Eigentlich müsste man sich klonen können.
Zuviele Rollen müssen ausgefüllt werden
Das gilt auch für Schulleitungen. Je nach Größe der Schule müssen viele Rektoren nicht nur die Schulverwaltung stemmen, sondern zugleich sehr viele Unterrichtsstunden selbst halten. Im Fall von Evi Wenig bedeutet das: Wenn ihre Verwaltungsangestellte, die nur zehn Stunden die Woche im Haus ist, nicht da ist, muss sie zusehen, wie sie zeitgleich Kindern Stoff vermittelt, Anrufe entgegennimmt oder dem Kurierfahrer persönlich die Pooltests überreicht, denn vor der Tür abstellen darf sie die Tests nicht. Die am Bezirksausschuss teilnehmenden Schulleitungen konnten das bestätigen. Man reibe sich zwischen Unterricht und Verwaltung auf. Man müsse zu vielen Rollen gerecht werden, springe für erkrankte Kollegen ein, versuche der Bürokratie, die immer mehr zu werden scheine, Herr zu werden.
Wissenslücken aufzufüllen, Kinder individuell zu fördern, das ist eigentlich die Uraufgabe der Förderlehrkräfte. Doch gerade sie haben mit der aktuellen Situation sehr zu kämpfen. Anstatt sich um die schwächsten Schüler zu kümmern, müssen sie immer häufiger Klassenlehrkräfte ersetzen. André Römer, Schatzmeister und Leiter der Fachgruppe Förderlehrer auf Bezirksebene, machte deutlich: Durch den Einsatz der Förderlehrkräfte werde versucht, den Lehrermangel zu kaschieren. Und obwohl man für den Beruf grundständig ausgebildet sei, müsse man nun erfahren, dass Quereinsteiger und nicht-pädagogisches Personal besser bezahlt werden. Wertschätzung für Förderlehrer sehe anders aus.
Begleitung fachfremden Personals kostet Zeit
Der Einsatz des fachfremden Personals an den Schulen wurde bei der Bezirksausschuss-Sitzung ebenfalls diskutiert. 16 verschieden Berufsgruppen ohne pädagogische Ausbildung sind derzeit an den Schulen in Bayern eingesetzt, um den Lehrermangel zu kaschieren, wo es nur geht. Bezirksvorsitzende Judith Wenzl fasste die Diskussion zusammen: „Es gibt sehr gute Leute, die den Unterricht übernehmen, und wir sind sehr froh, dass wir sie haben, sonst wäre es zappenduster.“ In vielen Klassen könnte man sonst nicht den regulären Unterricht abdecken. „Aber es kostet auch sehr viel Zeit, diese Leute zu begleiten.“ Dies sei enorm problematisch, weil die Lehrkräfte allein durch Corona schon einen großen Mehraufwand zu bewältigen haben. Ohne intensive Begleitung des fachfremden Personals gehe es aber definitiv nicht. „Wer noch nie vor einer Klasse gestanden und damit auch keine pädagogische Ausbildung hat, muss an die Hand genommen werden. Das muss deutlich gesagt werden.“
Immer wieder betont die Staatregierung im Gegenzug dazu, dass es so viele Lehrer wie noch nie in Bayern gab. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann ergänzte: „Die Situation an unseren Schulen war auch noch nie so krass wie heute.“ Was der Ministerpräsident oder der Kultusminister nie sagen würden: Dass es noch nie so viele externe Kräfte gibt, die an den Schulen den Unterrichtsbetrieb aufrechterhalten. Genau genommen seien es sogar 16 Berufsgruppen ohne pädagogische Ausbildung. Wenn man die alle in die Lehrerrechnung miteinschließe, komme man zu dem Schluss, dass es noch nie so viele Lehrkräfte wie heute gegeben hat. Aber damit mache man Eltern und Öffentlichkeit etwas vor. „Es ist noch gar nicht so lange her, da haben wir mit großen Augen Richtung Berlin gesehen und mit Bestürzung festgestellt, dass über 50 Prozent der Kräfte, die an den Grundschulen arbeiten, keine Lehrerausbildung haben“, erinnerte Simone Fleischmann. Und jetzt sei Bayern auch auf dem Weg dahin. Was aber sei dann mit der vielgepriesenen und hochgelobten Bildungsqualität in Bayern? Wo soll das noch alles hinführen?
Der Einsatz fachfremder Berufsgruppen, die den Lehrermangel abfedern sollen, ist besorgniserregend. Zähle die grundständige Ausbildung als Lehrkraft nichts mehr? „Kann denn jeder einfach so Kindern lesen, schreiben und rechnen beibringen?“, fragte Simone Fleischmann in die Runde. Natürlich nicht, so die Überzeugung aller Teilnehmer. Gerade die kleinsten und schwächsten Schüler bräuchten gut ausgebildete Pädagogen – und es sind gerade diese Schularten, Grund-, Mittel- und Förderschulen, die am meisten unter dem Personalmangel leiden. Beispiel Mittelschule: Die Politik habe jahrelang zugesehen, wie diese Schulart ausblute. Sie werde nicht nur von Kindern und Eltern gemieden, sondern sei auch diese Schulart, für die sich die wenigsten Lehramtsstudenten in Bayern entscheiden. Simone Fleischmann unterstrich: „Da hilft auch die Umbenennung der Mittelschule in Macherschule nichts, wie die Freien Wähler vorgeschlagen haben. Wenn wir die Mittelschule retten wollen, dann brauchen wir kein neues Schild an der Tür, sondern doppelt so viel Geld, Ausstattung und Personal.“
Große Sorge um die Mittelschule
Auch Judith Wenzl, selbst Mittelschullehrerin, sieht mit großer Sorge die Entwicklung der Mittelschulen. „Seit der NC für das Grundschullehramt abgeschafft worden ist, haben sich viele Studierende, die eigentlich für das Lehramt Mittelschule eingeschrieben war, den Studiengang gewechselt und sich für Grundschule entschieden. So werden in den nächsten Jahren noch mehr Kollegen an der Mittelschule fehlen wie bisher angenommen.“ Im Plenum wurde auch diskutiert, woran das liegt. Sicherlich spiele die Besoldung eine Rolle, so die Meinung der Bezirksausschussmitglieder. Während Realschule, Gymnasium und Förderschulen ihre Lehrkräfte mit A13 entlohnen, werden Grundschul- und Mittelschullehrkräfte nach wie vor mit A12 als Einstiegsgehalt entlohnt. Simone Fleischmann erinnerte an das geflügelte Wort von Ludwig Eckinger, dem ehemaligen Vizepräsidenten und gebürtigen Niederbayern: „Alle Lehrer sind Lehrer!“ Folglich müsste für alle Lehrkräfte, egal an welcher Schulart sie unterrichten, dieselbe Eingangsbesoldung gelten: A13. „Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen“, versprach Simone Fleischmann. Und man wolle der Politik und Öffentlichkeit auch deutlich machen: Alle Notmaßnahmen, um den Lehrermangel zu kaschieren, könnten keine langfristige Lösung sein, denn „Pflaster heilen nicht, sie überdecken nur“.
Am späten Nachmittag ging die Sitzung des Bezirksausschusses zu Ende. Die Präsidentin bedankte sich bei den Teilnehmern für den offenen Austausch und den ehrlichen Einblick in den Schulalltag vor Ort. „Danke, dass ich diesen Tag mit euch verbringen durfte“, so Simone Fleischmann. Gerne hätte sie bei diesem Treffen auch wieder pädagogische Themen wie Bildung von „Herz, Kopf und Hand“ oder Nachhaltigkeit angesprochen, „Themen jenseits der Krise“. Aber Lehrermangel und Corona seien zu große Baustellen, die den Schulalltag dominieren.
-> Autorin: Claudia Rothammer (Autorin für die Niederbayerische Schule)